Literatur:Als Amerika noch cool war

Ein Heimatroman erinnert an die Träume der Fünfzigerjahre in einem bayerischen Kaff. Der Autor heißt Johann Bauer - er debütiert mit 76

Von Bernhard Blöchl

Johann Bauer muss warten. Zum Interview-Termin erscheint er viel zu früh, was ihm aber nichts ausmacht. Bauer hat Geduld gelernt. Als junger Mann habe er einmal eine Kurzgeschichte verfasst, die Gustl Weishappel im Bayerischen Rundfunk vorlas. "Eine Art Ferienerlebnis in der Camargue", wie der Autor erzählt, "danach habe ich lange nichts geschrieben". Beinahe sechs Jahrzehnte sind es geworden. So lange musste er bis zur Veröffentlichung seines Debütromans warten. Zwischen dem Vollenden seiner Geschichte und der Veröffentlichung vor ein paar Monaten liegen immerhin zehn Jahre. Allein drei Jahre sind vergangen, bis der Maro-Verlag reagiert hat und das vollständige Manuskript lesen wollte. Wieder ein paar Monate verstrichen, bis die Zusage des Maro-Verlegers Benno Käsmayr kam. "Das war natürlich ein Schock", erinnert sich Johann Bauer. "Ein positiver Schock. Damit habe ich nicht mehr gerechnet."

Warten muss auch der junge Ich-Erzähler in Bauers Buch. "Onkel Amerika" heißt der schwungvolle Roman, und auf die Rückkehr des Onkels, der einst nach Amerika ausgewandert ist, wie man sich im bayerischen Kaff erzählt, hofft der Teenager sehnsüchtig. Dann steht der Stenz mit "Koteletten bis unter die Ohrläppchen" eines Tages tatsächlich vor der Tür. Im Ami-Schlitten, in den Fünfzigern, in einer kleinen Bergarbeiterstadt im Alpenvorland. Einem Ort, den Bauer mit präziser Wortwucht beschreibt: "Die Stadt war ein, in ihren Anfängen mit einigen Siedlungshäusern, Wohnbaracken und Mietskassernen zunächst die enge Nähe des riesigen Förderturmes suchendes, dann aber später wie aus plötzlichem Abscheu vor dem monströsen Gestell wild in alle Himmelsrichtungen hinauswucherndes Irgendwas, das selbst von den auf all ihr Erreichtes sonst so stolzen Stadtvätern, sei es aus Gewohnheit, sei es aus stiller Einsicht, lange nach der Stadterhebung noch weitaus öfter ,Kaff' als ,Stadt' genannt wurde."

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Im Amischlitten durch die deutsche Provinz: Das Foto vom "European Elvis Festival" in Bad Nauheim kommt dem Lebensgefühl des Romans "Onkel Amerika" sehr nahe.

(Foto: Michael Schick/imago)

Der Mann, der das Kaff in- und auswendig kennt, heißt eigentlich Hartmut Johann Friedrich Baptist Bauer. Weil er Hartmut nicht mag, kam der Johann zum Zug. Er war um die acht Jahre alt, als er nach Penzberg kam. Dorthin war sein Vater nach der Kriegsgefangenschaft als Polizist versetzt worden. Geboren wurde Bauer 1943 in der Nähe von Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern. In Penzberg ging er auf die Volksschule, in Weilheim auf die kaufmännische Mittelschule. Bis er endlich nach München durfte, raus aus dem Kaff ("ein richtig schmuddeliger Industrieort"), musste er warten. "Eine Geldfrage", wie er sagt. Nach der Ausbildung zum Verlagsbuchhändler bei Goldmann zog es ihn in die Werbung ("ich hatte eine Familie zu ernähren"). Und in die Großstadt. Später von einer in die andere, immer weiter weg vom Kaff: Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf. Mittlerweile lebt er mit seiner Frau in Dießen am Ammersee.

Vieles an seinem Roman ist autobiografisch gefärbt, nicht nur der Handlungsort, auch die eine oder andere Figur. "50 oder 60 Prozent des Buches", schätzt Johann Bauer. Die Themen seiner Coming-of-Age-Heimat-Geschichte sind denn auch die Themen seiner eigenen Jugend: die Kriegs- und Vertriebenen-Erlebnisse, die zerrütteten Familien und das Stammtisch-Gepolter, das freudige Entdecken von amerikanischen Büchern und Filmen, von AFN und Corned Beef. Dass sich Bauer die Fünfziger nicht nur angelesen hat, kann man auch an markigen Begriffen festmachen, "Dachbodngrattler" zum Beispiel oder "Metzgerlackln". Vergnüglich lesen sich die Abschweifungen. Die Episode etwa, warum der Bub beim Wort Amerika an den klanglich ähnlich gestrickten Namen Angelika denken muss, "meiner allerersten großen Liebe", der Aushilfe im Kindergarten. Oder wie er fasziniert ist vom Büstenhalter der Frau Baumgärtl und wie es ihm nicht aus dem Kopf geht, "dass das, was man sah, nichts anderes war als eine Art Behältnis für das, was man nicht sah."

Schriftsteller Johann Bauer

Johann Bauer.

(Foto: Bernhard Blöchl)

Nach der Rückkehr des Onkels geschehen auch heftige Dinge. Nur so viel sei verraten: Nicht alle Figuren überleben, aber selbst ein Fall von Kindesmissbrauch ändert nichts an der scheinbar ewigen Konstante, dass im Kaff vieles so bleibt, wie es ist. Und war. Von der herzustellenden Symmetrie der Dinge schwärmt der Onkel gern, vom Gleichgewicht im Sinne von Bestrafungen. Ein Rätsel, das den Ich-Erzähler sehr beschäftigt. Und den Leser auch.

Mit 76 Jahren das erste Buch vorzulegen, ist kurios. "Kommt nicht oft vor", stimmt Bauer zu, "außer vielleicht bei ,Herbstmilch'". Anna Wimschneider war immerhin über 60, als sie ihren später von Joseph Vilsmaier verfilmten Lebensbericht schrieb. Ansonsten scheint ein Literaturmarkt, auf dem Sensatiönchen herbeigesehnt werden wie junge außergewöhnliche Stimmen, für alte unbekannte Erzähler nicht viel Platz zu bieten.

Dabei bringt Johann Bauer einen verblüffend leichten, jung klingenden, elegant gebauten, die Schönheit der Schlenker suchenden und reifen Erzählstil zu Papier. "Das hat sich so ergeben", stapelt der Autor tief. An ein paar Stellen im Buch verlässt er die Ich-Perspektive, eigentlich ein Killer, aber Bauer legt es als künstlerische Freiheit aus. "Ich habe mich da durchgesetzt", gibt er zu. Gelesen und geliebt habe er "die Amerikaner, durch die Bank". Hemingway, Faulkner, Steinbeck, Wolfe. Mit Sicherheit hat ihm auch seine Karriere als Werbetexter geholfen, wie sie unter anderen auch dem erfolgreichen Kollegen Wolf Haas nicht hinderlich gewesen sein dürfte. Bauer hat für namhafte Agenturen gearbeitet, darunter Young & Rubicam, und dabei mehrere internationale Preise gewonnen.

50 Jahre

ist der Maro-Verlag inzwischen alt. Gegründet, vorangebracht und geleitet von Benno Käsmayr (seit Kurzem kräftig unterstützt von seiner Tochter Sarah), ist der Augsburger Independent-Verlag eng mit amerikanischen und deutschen Autoren verbunden, die nicht so recht in den Mainstream passen. Hier waren in den frühen Siebzigern die ersten Titel von Charles Bukowski auf Deutsch erschienen - der Durchbruch für Maro. Aber auch John Fante, Jörg Fauser und Günter Ohnemus haben hier eine Heimat gefunden. Das Erscheinungsbild ist stark durch die Illustrationen von Rotraut Susanne Berner geprägt. 2002 gab's den Kurt-Wolff-Preis, 2017 den Bayerischen Kleinverlagspreis.

Das Verfassen längerer Texte nahm er erst im Ruhestand wieder auf. Was als Short Storys unter dem Arbeitstitel "Kaff-Geschichten" begann, ist zum Roman herangewachsen. Das Manuskript habe er mit der Hand geschrieben, jedes Kapitel in ein Schulheft, von 2006 bis 2008. "Ich habe das Gefühl, wenn es erst mal drin steht im Computer, wirkt es schon so endgültig." Nach etlichen Absagen und Jahren der Überarbeitung schickte er den nun per Schreibmaschine abgetippten Roman im Leitz-Ordner zu Maro nach Augsburg.

Nach Amerika hat es Johann Bauer übrigens nie geschafft. "Das blieb immer eine Sehnsucht", sagt der Vater einer Tochter. "Heute würde es mich wahrscheinlich sehr enttäuschen." Stimmt schon, hin und wieder ist das Warten die Erfüllung.

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