Lit.Cologne:Putin, Pop und Panikherz

Lit.Cologne - Benjamin von Stuckrad-Barre

Hat die eine oder andere private Drogendummheit hinter sich und berichtet jetzt davon: Benjamin von Stuckrad-Barre bei der 16. Lit.Cologne.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Festivalauftakt in Köln mit Benjamin von Stuckrad-Barre, Nadja Tolokonnikowa und Kamel Daoud.

Von Hans-Peter Kunisch

Verzerrter Orgeldonner aus der Dose, etwas Verspätung, erste Ungeduld beim Festivalpublikum der 16. Lit.Cologne, und da war er schon: Benjamin von Stuckrad-Barre kam in weißen Hosen auf die Bühne gehampelt. Der ausgemergelte Büßer der Saison, der seine Karriere als Pop-Groupie begonnen hat und einfach nicht von dieser Rolle loskommt. Wieder sollte der Abend zu einer Huldigung an "Udo" werden, diesmal unter der Assistenz von Friedrich Küppersbusch. Ihm hatte Stuckrad, wie er in "Panikherz" erzählt, vor Jahren in Köln als eine Art Pressereferenten-Praktikant gedient. Jetzt stand Küppersbusch dem einstigen Schützling bei, machte mit beim mal gehässigen, mal selbstgefälligen Geplauder über Dritte und den wiedergewonnenen Bestseller-Status.

Gleich anfangs wurde klar, was "Panikherz", diese autobiografische Drogenbeichte, dem schaudernden Publikum vorführen soll: das Purgatorium eines Pastorensohns aus Rotenburg an der Wümme, der sein Leben lange Zeit in Abwehr und Verleugnung dieses Erbes zugebracht hat und auf seinem schwierigen Weg in der weiten Welt, neben so vielen tollen Leuten, in Udo Lindenberg einen wahrhaftigen Ersatzvater hat kennenlernen dürfen.

Wie anders, geradezu bescheiden, wirkte da doch, drei Tage zuvor an selber Stelle im großen Saal des WDR, der Auftritt der russischen Pop-Protestlerin Nadja Tolokonnikowa. Die schmolllippig auftretende junge Pussy-Riot-Aktivistin und ihre flockig-philosophische "Anleitung zur Revolution" mögen Klischeevorstellungen von durchgeistigten Heldenfrauen und Denkerinnenprosa nicht entsprechen. Doch Tolokonnikova und ihre Mitstreiterinnen haben einen Nerv des autokratischen Putin-Regimes getroffen, in dem orthodoxe Kirche und politische Macht in inniger Umarmung leben. Tolokonnikova hat dafür, von ihrer Tochter getrennt, eine Haftstrafe im Lager abgesessen, wirkt aber, trotz Albträumen, von denen sie erzählt, nicht halb so gemartert wie Stuckrad-Barre nach seinen privaten Drogendummheiten, die ihn von seiner "westdeutschen Drübersteher-Überfunktion" (Stuckrad-Barre) freilich nicht entlastet haben.

Kamel Daoud attestierte Fundamentalisten ein krankes Verhältnis zur Wirklichkeit

Eher in die Riege Tolokonnikowas gehört der algerische Journalist und Schriftsteller Kamel Daoud, der so klug war, einen schon lange diskutierten blinden Fleck von Albert Camus' "Der Fremde" zu einem Roman zu machen. Daoud, Ex-Chefredakteur und Kolumnist der Voix d'Oran, einer algerischen Zeitung aus Camus'Pest-Stadt, hat dem von Meursault im "Fremden" getöteten namenlosen Araber ein Gesicht gegeben, indem er seinen Bruder von ihm erzählen lässt. Aber Daoud zielt, wie die Russland- und Kapitalismus-Kritikerin Tolokonnikova, nicht nur in eine Richtung. Nach seinem kolonialismuskritischen Roman, der am ehesten in seinem thesenhaften Auftakt überzeugt, hat er in einem polemischen Le Monde-Essay zur Kölner Silvesternacht die Rolle der Frau im Islam frontal angegriffen.

Es wäre spannend gewesen, den Polizistensohn Daoud am Schauplatz seines Essays zu treffen. Doch er hat sich bei einem Autounfall beide Beine gebrochen und musste in Algerien bleiben. Das Skype-Gespräch zwischen Köln und Oran aber, das Lena Bopp im überdachten Innenhof der Deutschen Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft (DEG) mit ihm führte, klappte erstaunlich gut. Die Skype-Konferenz, so Daoud entschuldigend, vermittle allerdings "einen falschen Eindruck. Als wäre ich ein Dissident, der sich verstecken muss. Das erinnert ein bisschen an den Kalten Krieg. Aber das stimmt nicht. Das ist ein ganz normales Gespräch."

Wie Tolokonnikova hat es Daoud mit einer patriarchalischen Macht zu tun, die Medien-Berühmtheiten gegenüber etwas vorsichtig geworden ist. Der erfolgreiche Provokateur Daoud, dessen Fatwa aufgehoben wurde - der Prediger, der sie ausgesprochen hatte, muss, ein bislang einmaliges Ereignis, ins Gefängnis -, gab sich moderat und dennoch entschlossen. Er schränkte seine Klage gegen den arabischen Fundamentalismus ein und weitete sie gleichzeitig aus: "Ich habe verstanden, dass der Fundamentalismus eine universelle Krankheit ist", sagt Kamel Daoud. "Es gibt den jüdischen ultra-orthodoxen Fun-damentalisten, es gibt den islamistischen Fundamentalisten, es gibt den katholischen Fundamentalisten et cetera. Aber paradoxerweise finden sich bei allen die gleichen Symptome: Sie haben ein krankes Verhältnis zum Begehren, sie haben ein krankes Verhältnis zum Körper, sie haben ein krankes Verhältnis zur Frau, sie haben ein krankes Verhältnis zur Gegenwart."

Das kranke Verhältnis zur Frau zeigt sich Daoud zufolge im "Verschleiern", im "Verstecken", im "Ignorieren" und im "Steinigen". Das zeuge nicht von einer Haltung der Liebe. Und hier liegt in seinen Augen auch die Wurzel für das Verhältnis von Fundamentalismus und Terrorismus: "Wenn ein Mann geliebt wird, wenn er selbst liebt, wenn er die Möglichkeit hat, jemanden in den Arm zu nehmen, glauben Sie, dass er sich in die Luft sprengen wird? Nein." - Wobei die Angelegenheit vielleicht doch ein wenig komplizierter ist. In Palästina beispielsweise machen arabische Mütter oft genug bei der Heroisierung mit, wenn aus ihren Söhnen Selbstmordattentäter geworden sind.

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