Literaturfestival Lit.Cologne in Köln:Innerlich schunkeln

Lesezeit: 3 min

Vor zwei Jahren kamen noch über 100 000 Zuschauer, jetzt verlieren sich die Veranstalter im Hygieneabstand bei einer Pressekonferenz. (Foto: Lit.Cologne/Ast)

Im vergangenen Jahr ist Europas größtes Literaturfestival, die "Lit.Cologne", komplett ausgefallen. Jetzt kehrt es zurück - zumindest digital.

Von Alexander Menden

"Aufschwung" steht in riesigen Lettern auf dem deckenhohen Gemälde, das den Kölner Besprechungsraum des "Lit.Cologne"-Teams dominiert. Diese Arbeit eines Aachener Künstlers, die einen Turner am Reck zeigt, würde man in normalen Zeiten vielleicht als etwas unsubtile Motivationsbotschaft lesen. Unter den gegebenen Umständen wirkt sie eher wie eine Verheißung.

Das dem Publikumszuspruch nach größte Literaturfestival Europas, das an diesem Mittwoch beginnt, findet trotz sinkender Corona-Inzidenzzahlen digital statt. Das ist ein Fortschritt im Vergleich zu 2020. Da fiel die "Lit.Cologne" zum ersten Mal seit ihrer Gründung 2001 ganz aus.

Nachholtermine abgesagt
:Lit.Cologne fällt 2020 aus

Das bereits im Frühjahr vom Coronavirus verhinderte Literaturfestival Lit.Cologne muss die für den Herbst geplanten Nachholtermine absagen. "Bei den Nachholterminen handelt es sich ausnahmslos um ausverkaufte Veranstaltungen. Die allgemeinen ...

"Die einen Autoren haben damals gelassen reagiert und gesagt: Ich komme. Andere sagten: Ich bin von meiner Familie dazu angehalten worden, nicht zu reisen", erinnert sich Geschäftsführer Rainer Osnowski. Am 10. März, an dem die 20. Ausgabe des Festivals mit der Verleihung des Deutschen Hörbuchpreises beginnen sollte, musste eine Enscheidung fallen. "Es war noch kein Flächenbrand", sagt Osnowski. "Aber die Gefahr war zu groß, dass dann alles im Verlauf des Festivals auseinanderfallen würde. Also sagten wir schweren Herzens ab."

Rainer Osnowski ist keiner von denen, die großartig lamentieren über die Einschränkungen, die Corona mit sich gebracht hat. Er betont gern das Positive. Zum Beispiel, dass Frank Schätzing, Erfolgsautor und Kölner, noch am Tag der Absage in der WDR-Regionalsendung "Aktuelle Stunde" auftrat und jene, die bereits Tickets für die restlos ausverkauften Veranstaltungen hatten, aufforderte, sich den Kaufpreis nicht erstatten zu lassen, "sondern die Karten als eine Art Spende und Investition in die Zukunft des Festivals am Kühlschrank hängen zu lassen", wie Rainer Osnowski es formuliert. Rund 38 Prozent wurden tatsächlich einbehalten, teils mit, teils ohne Spendenquittung.

Man kann sich das alles nicht recht ohne das Kölner Publikum vorstellen

Jetzt herrscht in der Büroflucht in der Kölner Südstadt, wo die Vorbereitungen für die 18-tägige "Lit.Cologne" 2021 in den letzten Zügen liegen, eine Art ruhiger Betriebsamkeit. Im Korridor hängt ein hinreißendes Porträtfoto des Dichters und Zeichners Robert Gernhardt, auf dem er einen Gehstock mit Entenkopfknauf in der Hand hält. Dieser scheint mit der anderen Hand zu parlieren, deren Finger ebenfalls zum Entenkopf geformt sind.

Legendär noch heute Gernhardts "Lit.Cologne"-Auftritt im März 2006, drei Monate vor seinem Tod, in dessen Verlauf er und der Kritiker Marcel Reich-Ranicki einander abwechselnd beharkten und feierten. Genau die Art von Show also, für die dieses Festival berühmt ist. Man kann sich das alles nicht recht ohne das begeisterungswillige, gleichsam permanent innerlich schunkelnde Kölner Publikum vorstellen. Zur Ausgabe 2019 kamen 111 000 Zuschauer.

Dass dieser wichtigste Aspekt eines solchen im besten Sinne populären Festivals zwangsläufig wegfällt, sei "schon ein bisschen die zweite Phase der Trauerarbeit", sagt Rainer Osnowski. "Wir investieren wahnsinnig viel Arbeit in die Gestaltung unseres Programms. Ich könnte auch bei den Verlagen anrufen und sagen: Was plant ihr denn als Bestseller, gebt die mal her."

"Der Aufwand ist noch nie so groß gewesen"

Das Programm ist eines, das zwar vor Publikum am besten gezündet hätte, aber angesichts der Teilnehmer auch online funktionieren kann: Katharina Thalbach und Bela B lesen Texte von Autoren wie David Sedaris und Thomas Wolfe, untermalt durch Musik von Chilly Gonzales. Die Eröffnungsveranstaltung ist ein Gespräch mit T.C.Boyle, dessen neuer Roman "Sprich mit mir" gerade auf Deutsch erschienen ist. Welche der drei Autorinnen Mithu Sanyal, Lisa Krusche und Anna Brüggemann das "Silberschwein" gewinnt, den mit 2222 Euro dotierten "Lit.Cologne"-Debütpreis, entscheidet diesmal das Publikum per Online-Abstimmung.

Osnowski glaubt, dass die digitale Ertüchtigung ein wichtiger Teil der Zukunft der "Lit.Cologne" sein wird. Ein Subventionsprogramm, das die Stadt Köln auf Bestreben von Oberbürgermeisterin Henriette Reker im vergangenen Jahr sehr rasch auflegte, wurde, wie Osnowski betont, nicht zum Ausgleich der finanziellen Verluste durch den Festivalausfall 2020 genutzt. Aber er räumt ein, dass die für die Digitalisierung notwendigen technischen Maßnahmen ohne Hilfe nicht zu stemmen gewesen wären. "Das war ein wichtiger Beitrag der Stadt zu Zukunftsfähigkeit des Festivals", so Osnowski.

Klar ist: So, wie der E-Reader das raschelnde Buch aus Papier nie ersetzen wird, so wird auch dieses Festival erst dann wieder ganz es selbst sein, wenn die lesefreudigen Massen erneut dicht an dicht analog in Köln auflaufen können.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Corona und Kultur
:Die Künste in Zeiten des Virus

Noch nie zuvor ist das Kulturleben in Friedenszeiten und demokratischen Ländern so umfassend eingeschränkt worden. Ein Überblick über die Institutionen und die Folgen.

Von SZ-Autoren

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: