Roman "Asymmetrie":Die wichtigste Instanz der USA

New yorkers play baseball in Central Park in New York

Amerikanische Intellektuelle: Ezra Blazer ist Fan der Yankees, Alice hält zu den Red Sox, aber ihre Beziehung hält das aus.

(Foto: Charles Platiau/Reuters)
  • Ihren Debütroman "Asymmetrie" hat die amerikanische Schriftstellerin Lisa Halliday in drei Teile gegliedert.
  • Part eins handelt von der Beziehung einer jungen New Yorkerin mit einem 45 Jahre älteren, weltberühmten Schriftsteller. Im zweiten Teil wird die Geschichte eines muslimischen Mannes erzählt, der mehrere Tage am Flughafen Heathrow festsitzt.
  • Der letzte Teil ist ein Protokoll einer bekannten amerikanischen Radiosendung, in der Prominente zu ausgewählten Songs Geschichten aus ihrem Leben erzählen. Wie die drei Teile zusammenhängen, ist nicht immer offensichtlich.

Von Felix Stephan

Der amerikanische Lyriker Ezra Pound, der im Zweiten Weltkrieg als Radiopropagandist für Mussolini arbeitete, hat eine besondere Technik zur Herstellung von Bedeutung entwickelt. In seinen Gedichten stellte er Aussagen, die nichts miteinander zu tun hatten, unverbunden nebeneinander, woraufhin sich der interessante Effekt ergab, dass sich doch jedes Mal bestimmte Bedeutungen identifizieren ließen. Pound nannte das Verfahren "Imagismus", einerseits wegen der Bilder, anderseits wegen der Imagination.

In ihrem Debüt "Asymmetrie" hat die amerikanische Schriftstellerin Lisa Halliday das Prinzip nun auf die Prosa übertragen. Der Roman besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil geht es um die Beziehung einer jungen New Yorkerin namens Alice zu dem 45 Jahre älteren, weltberühmten Schriftsteller Ezra Blazer. Im zweiten Teil wird die Geschichte eines muslimischen Mannes erzählt, der einen irakischen und einen amerikanischen Pass besitzt und mehrere Tage am Flughafen Heathrow festsitzt. Und der dritte Teil schließlich ist ein Protokoll einer bekannten amerikanischen Radiosendung, in der Prominente sieben Songs spielen dürfen, die sie geprägt haben, wenn sie dazu Geschichten aus ihrem Leben erzählen. In der Folge, die in "Asymmetrie" protokolliert ist, lautet der Name des prominenten Gastes Ezra Blazer. Ob, und wenn ja, wie diese Teile zusammenhängen, das ist nicht eben offensichtlich.

Der Schlüssel liegt außerhalb des Textes, in der Welt, in der das Buch entstanden ist, und in der Biografie der Autorin. In den frühen Nullerjahren, als Lisa Halliday in ihren Zwanzigern und noch bei der Agentur Wylie tätig war, der einflussreichsten, gefürchtetsten, bedeutendsten Literaturagentur des Planeten, hatte sie eine Beziehung zu dem sehr viel älteren Schriftsteller Philip Roth. Diese Beziehung war nie ein Geheimnis, und auch deshalb ist der Roman von Halliday lange mit einiger Spannung erwartet worden. Die allgemeine Annahme lautete, dass es sich bei diesem Debüt aller Wahrscheinlichkeit um einen Philip-Roth-Schlüsselroman handeln würde, schließlich ist das unbezahlbares literarisches Material und Halliday verfügte in dieser Sache über exklusive Informationen.

Lisa Halliday begegnet dieser leicht entwürdigenden Erwartungshaltung nun, indem sie im ersten Teil des Buches einen Text abliefert, der genau dieser Schlüsselroman sein könnte. Gleich in der ersten Szene lässt sich die Protagonistin von dem berühmten Schriftsteller Ezra Blazer von der Straße weg auflesen. Auf einer Parkbank im Central Park spricht er sie an, sie weiß sofort, wer er ist, die Spaziergänger fangen an zu tuscheln, die Jogger verlangsamen ihre Schritte.

Im Original spricht Blazer die Einladung an die junge Alice mit einer Formulierung aus, die nicht ganz verlustfrei zu übersetzen ist: "Are you game?" Denkbar wäre die Wendung: "Hast du Lust zu spielen?" In der Übersetzung von Stefanie Jacobs heißt es: "Sind Sie dabei?" Alice bejaht beides, sie hat Lust zu spielen und ist dabei. Sie lässt sich auf die Affäre ein und führt fortan eine Beziehung zu einem Mann, der biologisch ihr Großvater sein könnte. In den Passagen, die nun folgen, bedient das Buch gut gelaunt das voyeuristische Interesse der literarischen Öffentlichkeit. Wir erfahren, wie sich die Lippen des berühmten Schriftstellers anfühlen, wie er die untertänigen Briefe der Lektoren kommentiert, die um seinen neuen Roman buhlen, wie viele Medikamente er vor dem Schlafengehen einnimmt, wie er Interesse an Sex anmeldet, dass er Kondome ablehnt, wie er die Spiele der New York Yankees schaut. Alice selbst ist Fan der Red Sox, aber das hält die Beziehung aus.

Das dunkle Herz der amerikanischen Buchwelt

Zur zeitlichen Orientierung dienen in diesen Passagen die Jahre, in denen Ezra Blazer wieder einmal nicht den Nobelpreis bekommt, die Abschnitte beginnen hier gern so: "Der Nobelpreis für Literatur des Jahres 2003 wurde an den südafrikanischen Schriftsteller John Maxwell Coetzee vergeben, der, in den Worten der Jury, ,in zahlreichen Verkleidungen die überrumpelnde Teilhabe des Außenseitertums darstellt'. Alice schaltete das Radio aus und ging wieder ins Bett." Als der Preis 2004 an eine gewisse Elfriede Jelinek geht, wird die Stimmung in New York gereizter. Im Central Park rufen Passanten Ezra Blazer zu, er sei um den Preis betrogen worden. Alice nimmt in der Beziehung verschiedene Rollen ein. Sie ist eine Mischung aus Bewundrerin, Liebhaberin, bester Freundin, Dienstmädchen und Krankenschwester. Aber sie hegt auch selbst schriftstellerische Ambitionen, was Ezra Blazer auf harmlose Weise amüsant findet. Und auch er spricht sie darauf an, dass er selbst doch glänzendes Material wäre.

Das kurze Gespräch, das sich daraufhin entspinnt, ist der poetologische Zentralmoment des Romans. Als Alice erklärt, dass sich nicht vorhabe, über ihre Beziehung zu schreiben, kann Blazer es kaum glauben: "Worüber schreibst du dann?" Antwort: "Über andere Menschen. Menschen, die interessanter sind als ich." Es käme ihr, sagt Alice, "uninteressant vor, über mich selbst zu schreiben", statt über "Krieg. Diktaturen. Weltangelegenheiten". Ein paar Zeilen später denkt sie darüber nach, "ob ein ehemaliges Chormädchen aus Massachusetts wohl in der Lage wäre, sich in die Gedankenwelt eines männlichen Muslims hineinzuversetzen", woraufhin Blazer einwendet: "Mach dir um wichtig oder unwichtig keine Gedanken. Wenn etwas gut gemacht ist, gewinnt es ganz von allein Bedeutung."

Dieser kurze Austausch baut die Brücke zum zweiten Teil des Buches, der Ich-Erzählung des muslimischen Mannes, die einen grellen Gegensatz zur poetischen Strategie des ersten bildet. Es ist eine klassisch politische Erzählung, der Protagonist ist vor allem deshalb bedeutsam, weil er aufgrund seiner Religion, seiner Ethnie, seiner irakischen Herkunft die amerikanische Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte von der anderen Seite erzählen kann: die Golfkriege, die Flucht in die USA, der Neuanfang, das Misstrauen, das ihm im Westen trotz seiner vorbildlichen Bildungsgeschichte noch immer entgegenschlägt. Er sitzt tagelang in Heathrow fest, weil ihm die britischen Behörden die Einreise aufgrund rein rassistischen Argwohns verweigern. Sie glauben ihm nicht, dass er nur ein paar Tage im Land bleiben möchte, sondern unterstellen ihm, in Großbritannien Sozialhilfe beziehen zu wollen, wofür es außer seiner arabischen Herkunft keinerlei Indizien gibt.

Teil drei: fiktives Protokoll einer Radiosendung

Allerdings geht dieser gesellschaftlich relevanten Erzählung ein identitätspolitisches Dilemma voraus, das Alice selbst zuvor klar benannt hat und das sowohl sie betrifft als auch Lisa Halliday: Wie soll "ein ehemaliges Chormädchen aus Massachusetts" sinnvoll die Erfahrungswelt eines muslimischen Mannes erzählen können? Schließlich verbirgt sich schon in dieser Aneignung eine Art Übergriff. Indem sich die engagierte New Yorker Mittelschichtsautorin in bester aufklärerischer Absicht die Perspektive des muslimischen Mannes zu eigen macht, wird zwangsläufig auch diese Erzählung Teil des globalen kulturindustriellen Komplexes, der das kolonialisierte Subjekt seiner eigenen Stimmen beraubt. Andererseits käme die Geschichte des muslimischen Mannes in Heathrow, wenn weder Alice noch Lisa Halliday sie schreiben würden, aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt nicht vor.

Der dritte Teil des Romans schließlich ist ein Kommentar auf den misslichen Umstand, dass auch Alice selbst in der literarischen Weltdeutungsindustrie nur bedingt souverän ist. Dieses Kapitel ist das fiktive Protokoll einer Radiosendung, in der Ezra Blazer Gelegenheit bekommt, in aller Ausführlichkeit über das zu sprechen, was er für bedeutsam hält, und das ist in erster Linie er selbst. Es geht in dem Gespräch also darum, warum er Kinder hat, von denen er lange nichts wusste, warum er Monogamie ablehnt, was er von Ehelosigkeit im Alter hält, bei welchen Gelegenheit er depressiv wird (Wenn er von einer Frau verlassen wird, die er unglaublich geliebt hat, Anm. d. Red.). Streng genommen handelt es sich bei alledem lediglich um Tratsch, weil es aber Ezra Blazer ist, werden die Banalitäten behandelt, als materialisiere sich in ihnen der Weltgeist. Er selbst sieht das durchaus auch so. Sein promiskuitives Leben erklärt er damit, dass er lediglich seine Pflicht der Evolution gegenüber erfüllt habe: "Es hat mir Spaß gemacht, von der Evolution gerufen zu werden." Am Ende der Sendung beginnt Blazer, die Moderatorin live on air anzugraben. Ob sie nicht Lust habe, mit ihm heute Abend ins Konzert gehen, Maurizio Pollini spiele Beethovens letzte drei Klaviersonaten, und sie sei eine sehr attraktive Frau. Der letzte Satz des Romans gehört Ezra Blazer: "Are you game?" - "Sind Sie dabei?"

Damit schließt sich der selbstreferenzieller Kreis des Romans: Nicht nur die Binnenerzählung des muslimischen Mannes verdankt ihre Existenz einer amerikanischen Autorin, die wiederum selbst von ihrer Beziehung zu einem männlichen Genie profitiert hat. Auch das vorliegende Buch mit dem sprechenden Titel "Asymmetrie" hätte es ohne Lisa Hallidays Beziehung zu Philip Roth mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht gegeben - gewiss nicht bei einem so renommierten Verlag, mit so viel wohlwollendem Interesse. In diesem Sinne offenbart sich das eigentliche Thema des Buchs erst in der letzten Zeile. Es geht um das dunkle Herz der amerikanischen Buchwelt, die wichtigste ästhetische Instanz des Landes: Philip Roths Libido.

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