Diskussion um Eckhart und Nuhr:Was sind das eigentlich für Gags?

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Die Frge ist: Über wen wird hier eigentlich gelacht? Lisa Eckhart bei einem Auftritt in Bayreuth. (Foto: imago images/HMB-Media)

Kabarettisten sorgen gerade wieder für einen unfruchtbaren Streit. Höchste Zeit, über das wirkliche Problem des deutschen Humors zu reden.

Von Jens-Christian Rabe

Die jüngsten Ereignisse um die beiden Comedians Dieter Nuhr und Lisa Eckhart wurden aufgeregt als Diskussionen über die sogenannte "Cancel Culture" geführt. Es ging also darum, ob es mit der Meinungsfreiheit vereinbar ist, dass ein Beitrag Dieter Nuhrs von der Webseite der Deutschen Forschungsgemeinschaft genommen wurde und dass Lisa Eckhart vom Hamburger Literaturfestival Harbour Front ausgeladen wurde, nachdem die Betreiber des Veranstaltungsortes den Eindruck hatten, die Nachbarschaft könnte die geplante Lesung mit ihr sprengen.

Hintergrund war im Falle Nuhrs, dass er von seinen Gegnern mindestens für einen Verharmloser des Klimawandels und der Corona-Pandemie gehalten wird. Die 27-jährige, in Leipzig lebende, in Österreich geborene Lisa Eckhart wiederum, bis vor wenigen Monaten noch mit Preisen bedachter Kabarett-Jungstar, geriet in die Kritik, als vor einiger Zeit Äußerungen von ihr über Harvey Weinstein und Roman Polanski in einer Folge der Kabarettsendung Mitternachtsspitzen vom September 2018 wieder ausgegraben wurden - Äußerungen, die nur mit Mühe nicht als antisemitisch zu verstehen sind.

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Um die Frage, ob es die "Cancel Culture" gibt oder nicht, soll es hier nun allerdings nicht gehen. Die Lage scheint etwas unbeweglich gerade, deshalb bloß der Zwischenstand: Diejenigen, die tendenziell eher einverstanden sind mit der Kritik, finden, es gebe sie gar nicht, die "Cancel Culture", sie sei ein Gespenst. Die anderen sind, zurückhaltend formuliert, sehr, sehr besorgt um die Meinungsfreiheit.

Könnte es sein, dass nicht nur die Comedians das Problem sind?

Bis sich in dieser Sache wieder etwas Interessantes tut, kann man zur Abwechslung auch eine andere Frage stellen: Wie geht's eigentlich dem deutschen Humor gerade so? Was sind das eigentlich, humortechnisch betrachtet, für Gags und Comedy-Strategien, die für so viel Erfolg und Aufregung sorgen? Und könnte es womöglich sein, dass nicht nur die Comedians das Problem sind?

Im Fall Lisa Eckhart zum Beispiel, deren Kunst man trotz ihrer außergewöhnlichen Erscheinung problemlos stellvertretend für das Dilemma des deutschen Humors betrachten kann, lohnt sich ein Blick auf ein paar andere Gags aus dem damaligen vierminütigen Mitternachtsspitzen-Auftritt. Sie sagte zum Beispiel: "Die Erektion des schwarzen Glieds braucht alle sieben Liter Blut, über die ein Mensch verfügt." Und: "Wenn jetzt noch ein Rollstuhlfahrer einer Dame zu lange aufs Gesäß schaut ... was, zugegeben, in seiner Position nicht zu tun sehr schwierig ist." Oder: "Wenn ein Mann, der einmal zuvor eine Frau war, sein chirurgisch konstruiertes Tartar von Gemächt ungefragt voll Nostalgie an seinem einstigen Geschlecht reibt..."

Eckharts ganzer Act, für den sie eine aristokratisch-arrogante, meist in freizügige Versace-Kleider gewandete, so strenge wie maliziöse Madame erfunden hat, die betont theatralisch und so selbst- wie sprachverliebt der Welt die Leviten liest, feiert in der ostentativen Wiederholung die allerbilligsten Klischees. Und typischerweise wird dabei in alter deutscher Kabarett-Tradition der gute alte Alltag der Vergangenheit gegen den degenerierten Alltag der Gegenwart ausgespielt (Rauchen vs. Nichtmehrrauchendürfen, Damen-/Herren-Toiletten vs. Unisex-Toiletten, Nahrungsmittel vs. Nahrungsmittelempfindlichkeiten) und vorher das Publikum ins Boot geholt mit Sätzen wie: "Sie sind da ja wahrscheinlich noch vom gleichen Schlag wie ich ..."

Ähnlich der Humorfall Nuhr. Eine einzige Anbiederung ans Publikum im Namen eines vermeintlich gesunden Menschenverstands gegen die politische Korrektheit, die einem heutzutage an jeder Ecke auflauert und das gute alte Leben zur Hölle auf Erden macht: "Wenn ich in die Welt gucke, denke ich auch: Sind die alle bekloppt geworden?" Also die anderen, die da draußen, die Trottel, die dank Social Media sich plötzlich alle zu Wort melden können. Früher, so Nuhr im Januar bei einem Soloauftritt in Berlin, hätten die noch alleine vor ihrem Glas an der Theke gestanden. Heute "vernetzen sich die Idioten, die teilen ihre Gedanken im Internet und so wird der Schwachsinn ansteckend", "wie Genitalherpes". Na ja. Und so weiter.

Gelacht wird, wenn ein vermeintlicher Fehler vorliegt und es nicht der eigene ist

Sieht man sich das alles an - und die Kollegen von der ZDF-Satiresendung Die Anstalt und die Heute-Show und Carolin Kebekus und Mario Barth und die Zeitschrift Titanic und Diverses, woran der erfolgreichste deutsche Gagschreiber Micky Beisenherz beteiligt ist - kommt man um eine bittere Erkenntnis nicht herum: Wenn der Satz stimmt, dass man gute Satire, Kabarett und Comedy immer daran erkennen kann, was sie aus den Klischees macht, mit denen sie spielen muss, dann steht es schlecht um den deutschen Humor. Denn die Werkseinstellung des deutschen Humors ist leider die Schadenfreude. Gelacht wird vor allem aus zwei Gründen: wenn ein vermeintlicher Fehler vorliegt und es nicht der eigene ist.

Wundern sollte es einen aber nicht. Schon von Hegel gibt es die lakonische Notiz zu Charakter und Art der Fröhlichkeit der Bewohner verschiedener europäischer Nationen. Die Fröhlichkeit der Franzosen sei witzig und geistreich, die der Engländer frei und roh. Über "Deutsche" schreibt er: "denkend - zu seiner besonderen Meinung, welche vernünftig, allgemeingültig, an und für sich sein soll - nicht bloß, weil sie gilt, sondern sein Gewissen gerechtfertigt. - Fröhlichkeit: steif, pedantisch, feierlich".

Der deutsche Comedian, die deutsche Comedienne verbünden sich - von den üblichen zarten Pro-forma-Frotzeleien abgesehen - mit dem anwesenden Publikum gegen abwesende Dritte, um diese dann genüsslich zu deklassieren. Seien es Menschen mit mehr als 10 000 Euro Monatsgehalt, die Harald Schmidt einst zu den legitimen Zielen erklärte, oder Politikerinnen oder Social-Media-Nutzer oder eben Transsexuelle oder Menschen mit Behinderung.

Bevor man zu lange darüber grübelt, woran das liegen mag (wollte man Hegel aktualisieren, müsste man womöglich sagen: bestenfalls an Gefühllosigkeit und fehlendem gesunden Selbsthass wegen dieser merkwürdigen deutschen Charaktermelange aus selbstgerechter Kleingeistigkeit, falsch verstandenem Freiheitsdrang und blankem Größenwahn), sollte man daran denken, dass es auch ganz anders geht. Zum Beispiel im von Juden und dem zutiefst selbstironischen, jüdischen Humor geprägten Comedy-Olymp in England und Amerika. Das Englische kennt interessanterweise gar kein eigenes Wort für Schadenfreude.

Comedians wie Lenny Bruce, oder Jerry Seinfeld verstricken sich selber in die Widersprüche der Welt

Der erste Feind der (gefeierten) Comedians dort ist immer er oder sie selbst. Weshalb die Inszenierung der jeweiligen Bühnenfigur immer der ganz normale Typ ist, die Frau von nebenan (und nicht wie hierzulande so oft, siehe Lisa Eckhart, irgendeine Karikatur, von der man als Zuschauer bequem weit entfernt ist), nur eben ein kleines bisschen gebeutelter und unaufgeräumter. Aber nur ein ganz kleines bisschen. Das ist ja der Trick. Dann kommt auch das Publikum nicht davon. Der Treibstoff dieser Satire - die Comedians wie Lenny Bruce, Jerry Seinfeld, Louis CK, Larry David, Ricky Gervais, Dave Chapelle, Marc Maron, Sarah Silverman, Nikki Glaser, Whitney Cummings, Hannah Gadsby, Michelle Wolf, Amy Schumer oder Iliza Shlesinger geprägt haben und prägen - ist die eigene Verstricktheit in die Widersprüche und die Heuchelei, die ganze Schlechtigkeit und Schlimmheit der laufenden Ereignisse. Nicht immer nur die der anderen.

Ein Hoffnungsschimmer ist immerhin, dass es mit Josef Hader und Gerhard Polt mindestens auch zwei deutschsprachige Comedy-Giganten gibt, von denen man lernen könnte, was es heißt, sich selbst in seine Comedy zu verstricken. Wie man nicht irgendwem irgendeinen "Spiegel vorhält", sondern gemeinsam hineinschaut. Das Klischee ist dabei nicht einfach schon die billige Pointe, sondern das Guckloch in die eigenen Abgründe.

"Dialektisches Denken, liebe Freunde, das ist, was uns heute fehlt."

Mit anderen Worten: Was auch der deutschen Comedy in einer von ihren offenen Widersprüchen und Uneinigkeiten so schwer gebeutelten Zeit wie dieser fehlt, ist, was der Kulturwissenschaftler Thomas Bauer "Ambiguitätstoleranz" genannt hat, die Fähigkeit, die Mehrdeutigkeit und Vielfalt auszuhalten. Oder, noch besser, daraus die Pointen zu destillieren. Wie wäre es eigentlich mal mit Eindeutigkeitsintoleranz?

Wenigstens gab es in diesem Sinne gerade einen echten Coup. Offenbar wegen eines Missverständnisses um eine Verschwörungsideologie-Nummer von ihm im NDR wurde der Kabarettist Florian Schroeder von den Veranstaltern einer Stuttgarter Demo gegen die Corona-Maßnahmen als Redner eingeladen. Sie dachten, er sei einer von ihnen. Schroeder allerdings hielt den Demonstrantinnen und Demonstranten, sichtlich nervös, "in der Geburtsstadt Hegels", einen Vortrag über Dialektik: "Dialektisches Denken, liebe Freunde, das ist, was uns heute fehlt." Unter Beifall des Publikums kritisierte er dann Regierung und Robert-Koch-Institut, um schließlich jedoch zu bekennen, dass er all das im Spiegel und in der Zeit gelesen habe, der aus Sicht der Demonstranten von Merkel doch gleichgeschalteten Mainstream-Presse. Man sehe sich das Youtube-Video an und staune. Es könnte ein guter Anfang einer neuen deutschen Comedy sein.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes war von Dieter Nuhrs Kabarettsendung "Mitternachtsspitzen" die Rede. Tatsächlich handelt es sich um die WDR-Sendung "Mitternachtsspitzen", bei der Dieter Nuhr lediglich einige Male Gast war. Wir haben dies korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

© SZ vom 14.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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