Liedermacher Hannes Wader wird 70:Von tiefem Ernst und stacheliger Poesie

Wäre man selbst ein altes Volkslied, man würde sich Hannes Wader bedingungslos anvertrauen. Weil er das politische Lied vom scheppernden Ernst-Busch-Pathos befreit hat und weil er ohne Attitüde singt. Nun wird der Volkssänger 70 Jahre alt.

Hilmar Klute

In den achtziger Jahren, als die politischen Festivals noch einmal eine letzte Blüte erlebten, bevor sie zu freudlosen DKP-Würstchengrillabenden verkamen - damals war Hannes Wader so etwas wie die Nachtigall der kritischen Liederszene: ein großgewachsener hagerer Mann mit früh ergrautem Bart, der mit seiner wunderschönen, samttiefen und an Tremoli reichen Stimme jene Lieder sang, von denen man inzwischen annimmt, sie gehörten dem deutschen Volksgut an: "Heute hier, morgen dort", "Der Rattenfänger" und natürlich "Es ist an der Zeit", die elegische Ansprache an einen gefallenen Soldaten, gewissermaßen die Hymne der Friedensbewegung.

Hannes Wader, einer der letzten Liedermacher alter Schule

Hannes Wader bei einem Auftritt 2010 in Hamburg.

(Foto: dapd)

Hannes Wader ist ein Sänger ohne Attitüde. Er benötigt keine ironische Brechung, wenn er das Lied von den Moorsoldaten singt; er muss sich nicht mit einem Augenzwinkern beim Publikum absichern, bevor er die großen Lieder der Arbeiterbewegung vorträgt, er muss nicht sagen, dass "Bella Ciao", "Mamita Mia" und "Wie schön blüht heut der Maien" eigentlich heute irgendwie nicht mehr gehen. Wäre man selbst ein altes Volkslied, man würde sich bedingungslos dem Wader anvertrauen. Weil er das politische Lied vom scheppernden Ernst-Busch-Pathos befreit und dem Shanty die falsche Sentimentalität genommen hat. Ihm ist es gelungen, die Lieder aus Schuberts Winterreise so zu singen, dass die Verse von Wilhelm Müller in ihrer großen Weltverlorenheit aufscheinen.

Lieder von tiefem Ernst und stacheliger Poesie

Ein Volkssänger ist Hannes Wader, obwohl ihm die große Popularität seines Freundes Reinhard Mey versagt blieb. Der 1942 in Bethel geborene Wader absolvierte eine Lehre als Schaufensterdekorateur, bevor er als Grafiker an der Seite von Eckhard Henscheid, Robert Gernhardt und F.W. Bernstein bei der Titanic anfing. Später geriet er, wie viele Linke in jener Zeit, in den Verdacht, Kontakte zur Baader-Meinhof-Gruppe zu unterhalten. Die Fernseh- und Rundfunksender boykottierten ihn deshalb, ein paar Freunde hielten zu ihm und sicherten ihm das Weiterleben auf den Bühnen.

Hannes Wader hat Lieder von tiefem Ernst und stacheliger Poesie geschrieben - Gedichte einer oft finsteren Innenschau, in denen eine große Schwere, eine Untröstlichkeit liegt, wenn selbst die Sehnsucht, nach Süden ans Meer zu kommen, nur von dem Wunsch getragen wird, "dass von den tausend Händen, /die mich das ganze Jahr/ befingert und geschlagen haben,/ keine Spur mehr übrig bleibt".

Ihm sind Texte von großer Bildmächtigkeit gelungen, atmosphärisch dichte Elegien wie "Am Fluss", worin Wader mit bukolischer Metaphorik beschreibt, wie einen Lebensangst und Weltverdruss überwältigen können. Er hat in langen, oft bitter-aggressiven Balladen von dem erzählt, was man die Ungerechtigkeit der Welt nennen kann. Und er konnte etwas, das nur wenige Autoren vermögen: Linke Milieus präzise und mit lässiger Komik beschreiben ohne sie zu denunzieren ("Ankes Bioladen").

Hannes Wader ist kein Ankläger. Er ist ein versponnener, nach dem genauen Wort suchender Dichter. Seine Beharrlichkeit ist manchmal rührend, sein Gitarrenspiel farbig und seine Stimme immer noch tief und schön. An diesem Samstag wird er 70 Jahre alt, und es ist gut, dass er weitermacht.

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