Süddeutsche Zeitung

Liedermacher:Angst ham's

Bei seinem Konzert in der Alten Kongresshalle beweist Voodoo Jürgens, dass er der beste Entertainer der Welt ist. Ehrlich

Von Egbert Tholl

Erst einmal steht da ganz allein eine junge Frau auf der Bühne der Alten Kongresshalle, dem wunderschönsten Konzertort Münchens. Zunächst klingt sie ein bisschen nach Kate Bush, aber völlig unverhuscht, denn sie hat das zauberhafte Selbstbewusstsein, sich mit der größten Selbstverständlichkeit und nur mit ihrem Akkordeon da oben hinzustellen und sehr bald sehr seltsame Sachen zu singen. Über ihre Liebe zum Dreck beispielsweise. "Wer nur sauber ist, ist bei mir unten durch." Und Blutegel, Ameisenhaufen und Brombeerstacheln sind auch super. Die Alicia Edelweiß spielt dann in der Band vom Voodoo Jürgens mit und spielt auch am 30. Januar in der Milla.

Es läuft also schon mal gut. In freudiger Erwartung des Kommenden, also Voodoo Jürgens. Frau Edelweiß kann übrigens noch "den besten Trick der Welt", nämlich einen Hula-Hoop-Reifen an ihrer Nase kreisen lassen, während sie dazu Akkordeon spielt. Der, der nach ihr kommt - nein, noch nicht der Voodoo - kann so etwas nicht. Es ist Peter T. von Euroteuro, die übrigens auch am 30. Januar zu hören sind, weil da im Volkstheater die Premiere von "Am Wiesnrand" ist, worin sie die Live-Musik machen. Wobei live relativ scheint, nun bei Peter T., weil der zwar eine Band dabei hat, doch die ist nur im Laptop drin. Das hindert ihn nicht, selbst eher verschroben herumzufuhrwerken, er macht so Achtzigerjahre-Popexistenzialimus, also Autoscooter-Musik im schwarzem Mantel und kommt aus Ottakring.

Nun endlich können wir uns dem Kern des Geschehens an diesem denkwürdigen Abend zuwenden, dem Voodoo Jürgens und der Ansa Panier. Letzterer Ausdruck zielt auf die sechsköpfige Band und zeigt schon auf, dass man an diesem Abend längst nicht alles verstehen wird, selbst als sprachklanglich süddeutsch geprägter Mensch. Übrigens wird am nächsten Tag ein lieber Freund bestätigen, er, ein Wiener, verstehe vom Voodoo auch nicht alles.

Wenn Tom Waits oder Bruce Springsteen aus Wien kämen, wäre es bei denen genauso. Voodoo Jürgens ist der lässigste, coolste, gespinnertste Geschichtenerzähler der Popgeschichte. Und zwar vor allem genau das. Er erzählt Geschichten. Geschichten von Leuten, denen meist niemand Geschichten schreibt und für deren Geschichten sich nie eine alte Sau interessiert. Aber er verleiht diesen Geschichten und damit den Menschen in ihnen etwas von seiner eigenen Grandezza. Und diese endet nie, wie die Nacht nie endet, sondern nur im Sonnenaufgang verschwindet.

Es werden Musikwünsche geäußert, aber "wir san doch ned der Wurlitzer. Wir ham uns was überlegt." Ist eh alles drin. Die "Eisensau" - ein Bankomat, der nichts mehr ausspuckt -, der "L'amour-Hatscher" (ein langsames Liebeslied), der "Ohrwaschlkräuler" (Ohrwurm). Die Band, neben Frau Edelweiß fünf Herren, die Kontrabass, diverse Gebläse, Geige, Klavier, Schlagzeug und manchmal Gitarre spielen, malt Voodoos Geschichten und seinen nie versiegenden Optimismus herbstbunt an und verpasst nie eine Gelegenheit, fabelhaft Stimmung zu machen.

Im Grunde ist das alles ein Tanz fröhlich klappernder Skelette - Voodoo, bürgerlich David Öllerer, war mal bürgerlich Friedhofsgärtner -, ist Cabaret, Vaudeville und auch Agententhriller. Und radikal politisch. Das letzte offizielle Wort lautet "Angst". Danach kommen schon noch einige Zugaben, aber diese Setzung ist enorm. "A Angst ham's", also eine Angst haben sie, alle, die nie genug kriegen, die schlecht ausschauen, die nicht zuhören. Die Angst bleibt erst einmal im Raum stehen, dann folgen noch ein paar sensationell erzählte Geschichten von diesem Entertainer-Jahrhunderttalent. In kurzer Zeit hat er einige Lieder herausgebracht, die schon jetzt zum schönsten österreichischen Kulturgut gehören. Großartig etwa das von der Frau, die grausliche Lieder singt und damit aufhören soll, "weil sunst wieder a Bua von da Bruckn springt".

Voodoo Jürgens, weitere Live-Termine, u.a. Augsburg am 15. Februar, Passau am 20. Februar, Würzburg am 28. Februar

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4719371
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.12.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.