Liebesgeschichte:Halb weiß, halb dunkel

In Elisabeth Steinkellners Roman "Esther und Salomon" treffen zwei Kulturen aufeinander.

Von Antje Weber

Haut

Haut

Haut

Haut

Haut

und irgendwo oben

ein runder Mond.

Das ist schon der ganze Text, der die Seite107 des neuen Jugendbuchs von Elisabeth Steinkellner füllt. Doch nein, "Esther und Salomon" ist kein Gedichtband. Nein, es ist auch kein herkömmlicher Jugendroman. Dieses Buch ist ein literarisches und visuelles Experiment - ein geglücktes.

Der wenige Text ist hier in freien Versen mit viel Luft über die Seiten verteilt. Das erinnert an Anne Webers preisgekrönten Roman "Annette, ein Heldinnenepos". Der Text wird zudem von Bildern ergänzt - Fotos einer Sofortbildkamera im ersten Teil, den Esther erzählt; Zeichnungen im zweiten Teil, den Salomon erzählt. Zwischen allem ist sehr viel leerer, weißer Raum. Luft zum Durchatmen für die Leser, Luft für eigene Gedanken.

Denn man kann und muss sich an vielen Stellen dieser Geschichte seine eigenen Gedanken machen. Die Seite mit der Haut und dem Mond zum Beispiel - sie spielt auf die erste intimere Begegnung des Liebespaars Esther und Salomon an. Sie sind beide 14, sie haben sich in einem Ferienresort kennengelernt, sie sind abends aus ihren Hotels ausgebüxt, um sich zu treffen. Explizit wird die Sexualität hier nicht ausgebreitet, aber unterschwellig ist sie natürlich vibrierend da - das sei nur deshalb erwähnt, weil der Deutschen Bischofskonferenz jüngst in Steinkellners vorherigem Roman "Papierklavier" wohl unter anderem der Umgang mit Sexualität missfiel; sie legte ihr Veto ein, als die Jury des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises die österreichische Schriftstellerin auszeichnen wollte.

Steinkellner wird andere Preise bekommen, und sie wird sich hoffentlich nicht beirren lassen. Denn im Vordergrund stehen bei ihr letztlich ganz andere Themen. Vor allem die Frage nach der Kraft von Gefühlen: Wie entwickeln sich Beziehungen innerhalb heute oft brüchiger Familien? Ihre Protagonistin Esther leidet unter der Trennung der Eltern, die sich im Familienurlaub bedrohlich abzeichnet. Umso mehr findet sie Halt ausgerechnet bei der fünfjährigen Schwester Flippa, über die sie am Strand dann Salomon und dessen kleine Schwester kennenlernt. Auch in Salomons Familie wiederum, so wird erst nach und nach klar, ist nichts mehr, wie es einmal war. Seine Mutter ist mit ihm nach der Ermordung des Vaters aus einem nicht genau benannten Land geflüchtet, viele traumatisierende Erlebnisse haben sich in ihm festgesetzt. Die Auswirkungen werden im zweiten Teil - außer in Zeichnungen zum Teil auch in Briefform erzählt - in all ihrer Härte deutlich.

Wenn es sein muss, ist diese Autorin also durchaus explizit - ihr feines Textgewebe schwingt in einer stimmigen Balance aus Ausgesprochenem und nur Angedeutetem. Die Gedichtform ist dabei gut geeignet, um entscheidende Momente zuzuspitzen, Leerstellen zu markieren. Die Fotos und Zeichnungen schaffen weitere Ankerpunkte beziehungsweise ergänzende Räume für die Fantasie. Und für Überraschungen: Ein Sofortbild in der Mitte des Buches zeigt, so suggeriert es zumindest, Esther und Salomon. Ihre Gesichtshälfte ist weiß, seine dunkel - ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Doch auch in Worten stellt dieses Buch knapp und klar immer wieder die wirklich wichtigen Fragen. Zum Beispiel:

Wie können

Sorge und Sehnsucht,

Traurigkeit und Glück

nur so nahe

beieinanderliegen?

Elisabeth Steinkellner: Esther und Salomon. Mit Fotos der Autorin und Zeichnungen von Michael Roher, Tyrolia-Verlag, Innsbruck und Wien 2021, 334 Seiten, 19,95 Euro (ab 14 Jahren)

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