Liebesgeschichte:Himmelhöllische Zustände

Die schwierigen Wege für die erste Liebe in "Landkarten für Verliebte & andere Verirrte". Das Mädchen und der Junge erzählen abwechselnd über ihre Zuneigung.

Von Siggi Seuß

Landkarten, die immer wieder faszinieren, sind die auf den Frontispizseiten von Abenteuerromanen. Eine Karte mit Schauplätzen einer Liebeseskapade ist dem Rezensenten allerdings noch nicht in die Hände geraten. Dass er sich deshalb während der Lektüre von "Landkarte für Verliebte & andere Verirrte" der schwedischen Autorin Johanna Lindbäck in Ermangelung einer Frontispizkarte den Plan der Schärenlandschaft südöstlich von Stockholm neben das Buch legen würde, hätte er sich vor Kurzem noch nicht träumen lassen.

Was soll denn an dieser von Susanne Dahmann übersetzten Geschichte einer ersten großen Liebe zweier Fünfzehnjähriger so besonders sein? In einer Zeit, in der der Büchermarkt vor Liebesgeschichten überquillt? Da gibt es Julia aus Stockholm, die seit zwei Wochen heimlich mit dem schönen Isak liiert ist, den eigentlich Julias beste Freundin an Land ziehen will, die von all dem nichts ahnt, während Julia ihr schlechtes Gewissen mit in die Sommerferien nimmt und auf der Schäreninsel Dalarö Rasmus kennenlernt. Sie verlieben sich ineinander, gestehen sich das aber selbst nicht ein und lassen auch den anderen im Ungewissen. Das Tohuwabohu entwickelt sich. Könnte unterhaltsam werden, aber was, bitte, soll da das Neue sein?

Es ist die Dramaturgie, die den Leser nicht mehr loslässt, mit der die Autorin wechselweise zwei personale Erzähler von jedem Fitzelchen der Erregungszustände der beiden Liebenden berichten lässt. Das Beeindruckendste dabei ist die dialog- und bildreiche Offenheit, mit der Johanna Lindbäck nahezu minutiös das Innerste der Liebesleidenden nach außen kehrt, ohne die beiden vorzuführen. Im Gegenteil: Selbst uralte Liebeserfahrene erkennen in jeder winzigen Faser des Gefühlsschlamassels der jungen Menschen ihre eigenen himmelhöllischen Zustände eines Verliebtseins, das hilflos zwischen tausend Möglichkeiten hin und her geistert. Getrieben von der Angst, die Signale des anderen falsch zu deuten. Getrieben von der Sorge, sich zu blamieren, oder vom schlechten Gewissen, jemanden Dritten zu verletzen. Und bedrückt von der Scheu, das Gerede der Freunde ertragen zu müssen. Und über all dem dieses Gebilde der ersten großen Liebe, das sich wie ein monströses Wolkenkuckucksheim aus Illusionen, Erwartungen und Versagensängsten vor einem auftut. Aus der Sicht der beobachtenden Leser hingegen ist die Sache eindeutig. Wenn man bei den Liebenden so viele gemeinsame Töne und Zwischentöne in den Blicken auf die Welt entdeckt, selbst wenn sie schweigen, dann sollten sie eine Chance bekommen. Julia fasziniert vor allem Rasmus' Art, sich sein Universum mit unendlicher Fantasie zeichnerisch zu erschließen. Er hingegen ist von Julias literarischer Leidenschaft begeistert, mit der sie sich der Welt nähert.

Wohin also führen die Spuren auf der Landkarte für Verliebte, die der Junge mit Witz, Verstand und Leidenschaft gezeichnet hat? Finden Julia und Rasmus ihr idyllisches Eiland oder versinken sie im schwedischen Meer zwischen tausendundeiner Schäreninsel? Kaum zu glauben, dass eine einfache Liebesgeschichte so viele Facetten zu Tage fördert. (ab 14 Jahre)

Johanna Lindbäck: Landkarte für Verliebte & andere Verirrte. Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann. Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus, Stuttgart 2020. 280 Seiten, 17 Euro.

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