Lieber Romantik als RAF:"Ein Akt der Zensur"

War die Europa-Ausstellung nur eine Notlösung? Kulturminister Bernd Neumann hielt es offenbar für keine gute Idee, in Brüssel den Nationalsozialismus und die RAF zu thematisieren. In Belgien spricht man von Zensur.

Cornelia Bolesch

Ist die Ausstellung "Blicke auf Europa", das zentrale Schaustück im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel (SZ vom 12. März), nur eine "Notlösung" gewesen? Die flämische Tageszeitung De Standaard wirft diese Frage auf und gibt ihren Lesern dabei auch Einblicke in die Empfindlichkeiten der Deutschen im Umgang mit ihrer jüngsten Geschichte.

Unter dem Titel "Deutsche Romantik tabu für Belgien" hatte die Zeitung einen Blick auf die zweijährige Vorgeschichte des viel beachteteten Ausstellungsprojekts geworfen.

"Keine gute Idee"

Nicht die "Schilderkunst" des 19. Jahrhunderts hätte ursprünglich im Brüsseler Museum Bozar gezeigt werden sollen, berichtet De Standaard, sondern Beispiele des "revolutionären Charakters der Deutschen Romantik". Die "Dritte Romantik", so der Titel der geplanten Ausstellung, hätte bis ins 20. Jahrhundert gereicht und auch die Pervertierungen der romantischen Idee durch den Nationalsozialismus und die RAF umfasst.

Einer von zwölf Sälen sollte nach Motiven von Hans-Jürgen Syberbergs "Hitler - ein Film aus Deutschland" gestaltet werden. Für einen anderen Saal wollte man aus New York Gerhard Richters "Oktober"- Zyklus" heranschaffen, die künstlerische Beschwörung der letzten Stunden der RAF-Gefangenen in Stammheim.

Der belgische Kunstprofessor Hans de Wolf und der Leiter des Berliner Museums der Gegenwart, Eugen Blume, hatten sich für Bozar dieses Konzept ausgedacht und im Dezember 2005 dem Stiftungsrat der Bundeskulturstiftung vorgelegt. Der deutsche Kulturminister Bernd Neumann und die anderen Mitglieder in diesem Gremium "fanden das jedoch keine gute Idee", so De Standaard "und haben das Projekt nicht unterstützt".

"Ein Akt der Zensur"

Auslöser für den belgischen Zeitungsbericht ist offenbar eine ausführliche Beschreibung des verschmähten Konzepts durch Hans de Wolf in der Kunstzeitschrift Der weisse Rabe. Der belgische Professor scheut sich nicht, die Entscheidung des Stiftungsrates im Standaard "einen Akt der Zensur" zu nennen. Zensur nicht im klassischen Sinn, räumt er ein, aber doch im Ergebnis.

Die Politik habe die finanzielle Unterstützung des unwillkommenen Projekts verweigert. Bozar-Direktor Paul Dujardin hingegen zeigt Verständnis für den politischen Reflex gegen eine Ausstellungsidee, die auch das Potential hat, Missverständnisse zu provozieren. "Die Deutschen haben uns gesagt, ihr könnt die Ausstellung machen, aber bitte nicht während unserer EU-Ratspräsidentschaft".

Das Museum Bozar ist jedenfalls weiter interessiert an dem alternativen Konzept.

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