Serie: Licht an mit Elke Heidenreich:Wir müssen da durch

Serie: Licht an mit Elke Heidenreich: Die Kritikerin und Autorin Elke Heidenreich.

Die Kritikerin und Autorin Elke Heidenreich.

(Foto: imago; Bearbeitung: SZ)

Ein paar Empfehlungen für diese Tage. Auch Bücher. Auch solche, die wenig mit Literatur zu tun haben. Das ist hier nicht der Bachmannpreis.

Gastbeitrag von Elke Heidenreich

Ich verspreche, dass das elende Wort mit C in meinem Text nicht vorkommt. Aber klar, wir sitzen deswegen alle zu Hause rum, unfreiwillig, wütend, traurig oder ängstlich. Zuerst kam eine Menge Aktionismus: Kleiderschrank ausmisten und aufräumen, alle Schuhe putzen, Ikea-Billy-Regale endlich raus und von einem guten Schreiner gute neue Regale zimmern lassen. Sieht prima aus, danke, C!

Sehr gut auch: Apothekenschrank aufräumen. Siehe da, Aspirin von 2001! Seltsame Tabletten gefunden, auf denen nur steht: "Filmtabletten". Von 1998. 1998? Waren wir da schon getrennt, oder sind das noch seine? Hat er Filmtabletten genommen? Wofür? Wogegen? Durchfalltabletten abgelaufen! Braucht man Durchfalltabletten? Nicht mal die Pflaster kleben mehr, alles zerbröselt.

Irgendwann ist alles aufgeräumt, und sogar der Garten treibt geordnet in einen Herbst, so hat er das noch nie erlebt.

Alle Tipps aus der Zeitung zu Herzen genommen: Hörbuch einlegen! Weinkenner werden! Andererseits warnt AKK vor "schädlicher Selbstbeschäftigung", aber da meinte sie wohl eher diesen - na, der immer so nach oben guckt und Kanzler werden will - ich komm nicht auf den Namen ...

Letztlich, finde ich, geht sowieso nur spazieren gehen und lesen.

Jetzt lese ich alles, nicht nur die guten Sachen

Ich lese noch mehr als sonst. Meine Augen werden immer schlechter und mussten schon getackert werden, aber das ist es mir wert, und ich sage Ihnen, jetzt lese ich alles, nicht nur die guten Sachen, einfach alles, und ich empfehle auch alles, auch unsägliche Urlaubsromane, dazu Familiengeschichten, also nicht Coelho, das dann doch nicht, aber sollen sie doch Pascal Mercier lesen, bitte, Amélie Nothomb, nur zu, Hauptsache, sie lesen und verzweifeln nicht, sind doch schon wieder drei, vier Stunden rum mit so einem Buch.

An Colum McCanns "Apeirogon" krieg ich ja eh keinen ran. Zu dick, der Titel zu schwierig, ach, wenn ihr wüsstet, was für ein grandioses Jahrhundertbuch das ist, nein, lest ihr nur "Nachtzug nach Lissabon", bitte, ihr wollt es nicht anders.

Ich hab mir lauter neue Betätigungsfelder gesucht, bespreche und empfehle Bücher für Radio, Zeitung, mache Podcasts, die ich hasse, nur um als Missionarin des Lesens all die Tausenden von Seiten an den Mann/die Frau zu bringen. (Ach, dürfte ich einen Artikel über Gendersprache schreiben! Wochenlang habe ich mal im Funk meine Moderationen begonnen mit "Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer an den Radiogeräten und Gerätinnen", keiner hat es bemerkt. Noch ein Beispiel? Gern: Bei jeder Medikamentenreklame im Fernsehen haspelt wer, man soll zu Nebenwirkungen den Arzt oder Apotheker fragen, warum nicht die arme Ärztin, die zu kurz gekommene Apothekerin? Weil im Fernsehen jede Sekunde Geld kostet, und da hört der Genderquatsch auf. Heuchler!)

Aber das ist jetzt hier überhaupt nicht das Thema.

Kontaktbeschränkung, die Welt hat geschlossen, und das im Winter. Wie also kommen wir ans Licht? In der SZ-Serie "Licht an" finden Sie persönliche Geschichten von Künstlerinnen und Künstlern.

  • Auf der Parkbank

    Eines sonnigen Mittwochs bestieg ich in Wedding eine Parkbank und begann vorzulesen, ohne Mikrofon, aber doch so laut und deutlich, wie ich konnte. Eine unangenehme Erfahrung war das nicht.

  • Ein Loblied auf die Menschheit

    Wie kommt man durch die dunklen Pandemie-Wochen? Vielleicht, indem man das Virus sprechen lässt. Man muss nur genau hin-, also in sich hinein hören. Ein Traum.

  • Wir müssen da durch

    Ein paar Empfehlungen für diese Tage. Auch Bücher. Auch solche, die wenig mit Literatur zu tun haben. Das ist hier nicht der Bachmannpreis.

  • Eva Sichelschmidt, Licht an. Der große Schlaf

    "Ich war's nicht, Corona ist es gewesen", dies ist mein Mantra. Es ist, als hätte das Virus alle Schuldgefühle endlich ausgelöscht. Mein Dasein als Sorgenstaubsauger hat ein Ende.

  • Joachim Lottmann Lockdown Corona Wien Zeit der Zärtlichkeit

    Endlich ist Schluss mit den Lockerungen, in Wien ist alles wieder still. Dazu die Kälte. Schön. So kommt der Mensch zu sich. Über den Lockdown in der österreichischen Hauptstadt.

  • Thalia Kinos Filmgespräch Fühlen sie sich manchmal ausgebrannt und leer Regisseurin Lola Randl * Zeit für Trüffel, Sauerkraut und den Liebhaber

    Die Tage werden dunkler, die Pandemie bedrückender. Wie kommt man da durch?

  • Lutz Seiler Corona Licht an Es rauscht im Kieferngewölbe

    Was hilft durch die düstere, bedrückende Zeit der Pandemie? Gespräche auf Bänken mit Stulle und Thermoskanne - und Selbstgespräche unter Bäumen.

  • 'GOLIATH96' Premiere In Hamburg; Katja Riemann Man will nicht allein sein

    Grüner Tee am Morgen, Pfefferminztee am Abend und dort in Kontakt gehen, wo es möglich ist. Und es hilft in diesen Zeiten, mit vielen Mitbewohnern unterschiedlicher Herkunft zusammenzuwohnen.

  • Eva Menasse, österreichische Autorin; Eva Menasse Solange wir leben, bleibt das Beste immer möglich

    Ja, es kommen dunkle Wochen. Aber anstelle von weihnachtlichem Warenkapitalismus könnte es eine Zeit für das Detail sein, für die Überraschung. Und für die Dankbarkeit.

Man erzählt sich, dass Denis Scheck die freie Zeit genutzt und sich im Baumarkt eine Mülltonne gekauft hat. Die Baumärkte haben ja offen, und das soll doch nicht alles umsonst sein. Jetzt kann er auch zu Hause vom Sofa aus mit gezieltem Schwung alle Bücher in die Tonne schmeißen, die ihm nicht gefallen. Natürlich trägt er dabei stets Anzug, Einstecktüchlein, Krawatte, lustige Socken, wenn es ganz übermütig zugeht, sogar Hut. Und wenn er dann immer wieder Seethaler oder so in die Tonne haut, ruft er: "Vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich tue!" Nur gut, dass niemand ihn hört.

Vertrauen Sie mir bitte nicht, ich empfehle auch Bücher, die wenig mit Literatur zu tun haben, die aber müde Verkäuferinnen ans glückliche Lesen bringen. Das ist mein Ziel, wir sind hier nicht beim Bachmannpreis. Und versuchen Sie bitte wirklich, auch diese Zeit jetzt ein bisschen zu genießen. Jammern bringt sowieso nichts. Wir müssen da durch.

Alle reden vom dunklen November, wo ist der denn dunkel? Bis jetzt scheint oft die Sonne, ich bin stundenlang draußen mit dem Hund, und ich bin froh, dass ich abends nicht bei Leuten eingeladen werde zu Gänsebraten mit Klößen, und dann sitzen wieder alle da und erzählen dieselben Geschichten. Die Karnevalsdeppen sind auch von der Straße weg, kein Kaufrausch vor Weihnachten, kein Gedrängel durch die Innenstädte, solange man sich nicht ansteckt, ist alles ungewohnt schön ruhig, friedlich, still.

Wer jetzt kein Geld hat, der kriegt keines mehr.

Wer jetzt ein Buch schrieb, kann es nicht vertreiben,

wer Opern singen will, der muss zuhause bleiben

und lange Briefe an die Eltern

mit der Bitte um mehr Zuschuss schreiben.

Rilke! Das ist alles nicht witzig. Das Runterfahren der Kultur ist nicht witzig und, finde ich, auch nicht richtig. Aber ich habe beschlossen, an der ganzen Scheiße das Positive zu sehen: Ruhe, Frieden, neues Regal, keine Reisen, keine Filmtabletten, kein Durchfall, keine Durchfalltabletten, keine Beantwortung der Frage: "Frau Heidenreich, wie lange haben Sie für das Buch gebraucht?" Das ist schön. Ich erhole mich.

Aber ganz Deutschland scheint im Lockdown zu dichten, oder sagen wir: zu schreiben. Ich hab schon immer viel Zeug zugeschickt bekommen, Manuskripte zu "Wir hätten den Zweiten Weltkrieg gewinnen können" oder "Wie ich den Krebs überlebte" oder "Lustige Katzengeschichten". Ich habe eine Mitarbeiterin, die alles ungelesen zurückschickt, wir sind kein Verlag, ich bin keine Lektorin, was also soll das.

Ich stelle erstaunt fest: Deutschland schreibt

Aber jetzt kommt es täglich. Bergeweise. Ehegeschichten, Krankengeschichten, Mittelalterromane, Heimatromane, Vampirgeschichten, Bayernkrimis, ich werd verrückt. Kommt mit herzzerreißenden ("Sie sind meine letzte Hoffnung") oder herrischen ("Sagen Sie mir, wo ich das veröffentlichen kann, und schreiben Sie ein Lob drauf!") Briefen, manchmal liegen zwanzig Euro bei für meine Mühe. Vieles kommt schon als Buch, übers Internet veröffentlicht, im Eigendruck herausgebracht, mit Fotos von der Freundin als der ersten begeisterten Leserin ...

Alles, alles schicke ich zurück, sogar brav die zwanzig Euro. Aber ich stelle erstaunt fest: Deutschland schreibt. Und weil ich immer sage: Wer nicht liest, kann auch nicht schreiben!, gehe ich mal davon aus, dass Deutschland wieder mehr liest.

Dann hätte sich das ganze Elend doch irgendwie gelohnt.

Elke Heidenreich ist Kritikerin und Autorin. Im September erschien von ihr "Männer in Kamelhaarmänteln: Kurze Geschichten über Kleider und Leute". Sie lebt in Köln

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