Als die britische Band ABC 1982 zum ersten Mal ein "Lexicon of Love" veröffentlichte, wurde einem schwindlig vor Champagner-Euphorie. Nicht weil die Idee, souligen, von David Bowie und Bryan Ferry beeinflussten Streicher-Pop mit charmant albernen, augenzwinkernden Disney-Infantilismen und gewaltigen Behauptungen über Demokratie, Faschismus und die große Liebe zu versetzen, an sich so berauschend war.
Was einen im Sommer '82 in Taumel brachte, war die Geschwindigkeit, mit der Popmusik, zumal die britische, seit 77 Thesen und Gegenthesen, Kühnheiten und Gegenkühnheiten abfeuerte.
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Free Jazz gegen Sweetness, Straße gegen Herrenklub, Sommerfeminismus gegen Gitarrendreck, Supereskapismus gegen Völkermordvisionen und umgekehrt: Fünf Jahre nach Punk konnte man glauben, dass es immer so weitergehen werde.
In ABCs erstem Album gipfelte das Prinzip, erkennbare Orientierungen aufzugreifen und mit Nichtzusammenpassendem zum Epochen-Statement aufzublasen: Alle Elemente waren schon mal erwähnt worden, aber nicht so verbunden und anders gemeint.
Jede Komponente war eine wohldurchdachte Geste gegen und inmitten von anderen Gesten in einem hochaufgeregten Milieu - und doch passte es auch alles zu einem Manifest eigenen Rechts zusammen, nahm sich dabei nicht rechthaberisch und winkelzügig aus, sondern großzügig, angenehm altklug und zugleich leidenschaftlich und distanziert.
Es ging um Behauptungen, nicht um Personen
Dass man über ABCs neues Album schreibt, indem man an ihr 34 Jahre altes Meisterwerk erinnert, hat sich Martin Fry, ihr einziges dauerhaftes Mitglied, selbst zuzuschreiben, wenn er nach den verschiedensten Comeback- und Neuanfangsversuchen nun ganz großes Kaliber auffährt und sein neues Werk "Lexicon of Love II" nennt. Man hat dann ja geradezu die Pflicht, die Leute auf den Stand zu bringen. Previously on the Lexicon of Love.
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Der 24. November 1973 war für den Autor wie auch für den Rest der Welt ein ganz normaler Tag - war er das wirklich? Eine Recherche.
Von den Menschen, die damals Thesen und Gegenthesen in die Welt setzten, wollte man in den wenigsten Fällen Persönliches wissen. Es ging ja um Behauptungen, nicht um Personen, und es bestand die Gefahr, dass das nicht halten würde, wenn dann ein zweites Album erschien und die Person sich doch unschön konstant in den Mittelpunkt drängt. Der schöne Reigen war kaputt.
Sogar das wusste Martin Fry damals allerdings und antwortete auf sein eigenes postmodernes Perlweinopus mit einer rauchzarten Rock-LP ("Beauty Stab") - das war in der Logik der Zeit oder noch kühner, aber es ging nach hinten los.
Thatcher zerschlug gerade ein ganzes Land, und die Leute wollten sich an etwas festhalten, auch an persönlichen Stilen und Typen, die bekannt aus Funk und Fernsehen immer wieder dasselbe taten.
Danach hat Fry in gewissen Abständen immer wieder versucht, an sich zu erinnern und Ideen in die Welt zu setzen - die Welt hat nur selten hingehört.
Er sprang auf Züge auf, die ihn an seine Jugend erinnerten (House), wurde schwer krank, rappelte sich zwei-, dreimal auf, landete in peinlichen Fernsehprogrammen ("Night of The Proms") und legte vor knapp zehn Jahren eine ganz akzeptable Sammlung gut gearbeiteter Gegenwartsreflexionen vor ("Traffic").
Von diesem Talent ist auch auf " Lexicon of Love II" hin und wieder etwas zu spüren. Der liebeskranke Martin aus dem Jahr 1982 soll jetzt als gereifter Wiederholungstäter die sattsam bekannte Himmelsmacht beschwören, der wir alle denn doch immer wieder so ausgesetzt seien, als wären wir 17.
Auch in unserem Alter könne man sich noch wie ein Dummkopf benehmen. Er ist ohnehin der Lieblingscharakter beider Lexika: der taumelnde Fool mit schiefsitzendem Hütchen, den man mit viel guten Willen zwischen Schnitzler-Novellen und Ophüls-Verfilmungen von Schnitzler hin und her stolpern sehen kann.
Fast alles läuft auf einen Seufzer hinaus
Fry kann nahezu kalauerhaft zugespitzte Pointen zu diesem Thema aus diesem Hütchen zaubern, die gut über gewissen Theken vor einsamen Säufern hängen könnten: "It hurts to be your enemy because it hurts to be your friend".
Aber leider bleibt nur ein Song hängen: ein komisch schmissiger Schlager über das Pop-Handwerk: "The Singer Not The Song", der hier etwas deplatziert am Post-Midlife-Liebeskrisenhimmel hängt. Der Rest läuft dann doch auf einen Seufzer hinaus, den man vor allem deswegen ausstößt, weil einem der hier auf die Summe seiner Talente zusammengeschnurrte Martin dann doch als Person irgendwie am Herzen hängt.