Lesereise-Tagebuch:20 000 Kilometer, 23 Kugelschreiber

Ein bayerischer Schriftsteller aus dem idyllischen Königsdorf im Tölzer Land begibt sich auf Lesereise in den USA. Seine Erlebnisse hat er für die SZ aufgeschrieben. Sie gleichen einem Puzzle, dessen Steinchen sich zu einem disparaten Bild fügen.

Von Christoph Kloeble

Landung in JFK. Ein ungeschriebenes Gesetz lautet: Anschnallzeichen aus, Smartphones an. Das erinnert mich daran, dass ich nur ein altmodisches Handy besitze, dessen Akku schwächelt. Vielleicht nicht die beste Ausrüstung für eine achtwöchige Lesereise. Über 20 000 Kilometer liegen vor mir. Umso dankbarer bin ich für die Begleitung meiner Frau Saskya und steige immer in den richtigen Zug.

Im Flughafen riecht es nach Kaugummi, modrigem Teppich und Rasierwasser. Auf zur Immigration. Scharen schlaftrunkener Reisender. Was, nur zwei Schalter offen? Ich erkenne die Deutschen unter den Passagieren am Verzweiflungskopfschütteln. Als Ablenkung auf Monitoren ein USA-Werbespot in Endlosschleife: Breitbandhimmel, ein Cowboy fasst sich grüßend an den Hut, die Freiheitsstatue ist so schön dollargrün. Die kräftig gebaute Immigration Officer-Dame überprüft meinen Pass und will wissen, warum ich einreise. Diese Tage erscheint die englische Übersetzung meines Romans in den USA, erkläre ich ihr. Sie hält inne. "You're a writer?" Mustert mich. Ich nicke vorsichtig. Autoren sind bei Staatsbeamten nicht unbedingt beliebt, das weiß ich aus Erfahrung. Sie schiebt mir einen Zettel zu, verlangt, dass ich meinen Namen sowie den Buchtitel notiere, und sagt: "I love books!"

Später am Abend kommen wir in Harlem an. Dort wohnen wir bei Mark, einem guten Freund und Professor an der Columbia University. Die Gegend ist im Wandel begriffen. Inzwischen hat die Gentrifizierung das Viertel erreicht. Schicke Cafés mit einer Armada aus Studenten, blaugrau beleuchtet von den Bildschirmen ihrer MacBooks. Bio-Bagels. Mülltrennung. Zwei benachbarte Pizzaläden bekriegen einander mit blinkenden Werbeschildern und Dumpingpreisen. Wenige Blocks entfernt dreht Steven Soderbergh seine TV-Serie "The Knick". Ein Obdachloser sitzt, obwohl es schneit, auf der Straße und bettelt. Wir wollen ihm einen Dollar geben. Er lehnt ab und meint: "Suggested donation five dollars."

Lesereise-Tagebuch: Autor Christoph Kloeble nach seiner Lesung in Iowa City.

Autor Christoph Kloeble nach seiner Lesung in Iowa City.

(Foto: privat)

Für die erste Lesung rüste ich mich mit einem neuen Haarschnitt. Der Friseur in SoHo klopft beim Schneiden meiner Haare immer wieder mit dem Kamm gegen meine Schläfe. Auf Dauer tut das weh. Aber ich sage nichts. Er hat so eine dominante, männliche Art. Er ist Italiener, aber amerikanischer Italiener, wie er betont. "Where are you from?", fragt er mich. - "Königsdorf. A small village close to the Bavarian Alps." Er klopft mit dem Kamm gegen meine Schläfe und erzählt mir, dass er einmal auf dem Oktoberfest war. Hat dort ziemlich viel getrunken. Alkoholvergiftung. Drei Tage Krankenhaus. Auf einem Silbertablett neben dem Spiegel steht eine Flasche Bourbon. Sie ist halbvoll.

Am nächsten Tag startet der Lesemarathon. Bei der Buchpremiere in der Bibliothek des Goethe Instituts in Manhattan fragt mich der Moderator Adam Langer darüber aus, wie ich als Teenager für meine Eltern Geschichten über sie verfasste. Mit brutaler Ehrlichkeit beschrieb ich Alkoholkonsum, Streits, Autounfälle im bayerischen Oberland und schenkte ihnen diese Texte dann auch noch zu Weihnachten oder zum Geburtstag. Nicht nur das, ich trug sie ihnen sogar vor. Ich war ein grausames Kind.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Roman "Meistens alles sehr schnell" stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Der Moderator in Boston wartet mit einer ganz anderen Methode auf: Als er mich begrüßt, teilt er mir mit, dass er den gesamten Plot des Romans verraten werde. Ich denke, er macht einen Witz. Es war kein Witz. 25 Minuten lang erklärt er die komplette Handlung des Romans samt kleineren und größeren Erzählsträngen. Nach der Lesung hält mich ein älterer Herr mit Krückstock am Ellbogen fest: "Wegen dem Inzest. . ." Sofort bereue ich, den Teil über inzestuöse Liebe in einer kleinen bayerischen Gemeinde vorgelesen zu haben. Der Mann stammt aus West Virginia dem konservativen, christlichen Süden. Dort habe er seine Cousine gedatet, sagt er. Das sei damals gar nicht so einfach gewesen.

Die nächste Station: Austin, Texas. Dort wurde gerade ein Gesetz verabschiedet, dass man seine Schusswaffen offen tragen darf. Bei der Lesung mache ich aber keine Revolver aus. Vorgestellt werde ich diesmal von Galit, der Programmleiterin des Schusterman Centers for Jewish Studies. Ich bin definitiv der erste Deutsche, den sie eingeladen hat. Normalerweise stellt sie israelische Autoren vor. Es kostete ein bisschen Überzeugungskraft bei ihren Vorgesetzten, meint Galit, aber warum nicht mal eine bayerische Geschichte in Texas?

Als wir bei der Abreise am Gate warten, zieht eine Dame unsere Aufmerksamkeit auf sich. Und nicht nur unsere. Sie trägt eine schwarze Burka und spricht sehr laut und aufgeregt mit dem Personal. Kopfschütteln, Verdachtsblicke, Zuflüstern. Genervtes Personal will die Dame abwimmeln. Wir sind hier im Land der offen getragenen Schusswaffen. Wie sich herausstellt, möchte die Dame aus Bangaldesh bloß wissen, ob sie sich am richtigen Gate befindet. Sie hat ihren Sohn besucht, der in Austin an der Universität studiert, und sie spricht kein Wort Englisch.

Von da an folgt beinahe täglich eine Lesung auf die nächste. In New York diskutiere ich bei Veranstaltungen beim "Festival Neue Literatur" mit den Kollegen darüber, ob deutschsprachige Literatur humorvoll sein kann, und habe dabei weitaus mehr Spaß als erwartet; außerdem werde ich von Ved Mehta gefragt, ob ich schon zu Hitlers Zeiten auf der Welt war, gebe einem Lobbyisten der Pharmaindustrie ein Interview und frühstücke mit Brita Wagener, der deutschen Generalkonsulin, im Central Park. In Hanover lese ich vor guten Freunden und dem Kamin im altenglischen Wren Room des Dartmouth College und fühle mich dabei wie ein waschechter Märchenonkel. Im Wellesley College darf ich zur Abwechslung mal Saskya lauschen, die aus ihrem Roman vorliest und die politische Situation in Indien erläutert. In Wesleyan dinieren wir in einem ehemaligen Gefängnis. In Washington DC lese ich in der österreichischen Botschaft und fahre danach mit ein paar Besoffenen im Hotelaufzug, von denen einer aus Versehen mit mir aussteigt, woraufhin die anderen auf mich deuten und ihm zurufen: "You're going to get butchered by that guy." In Chicago beunruhigen mich die protzigen Versalien am Trump-Tower, und ich entdecke stereotype Indianer-Babypuppen im "American Girl"-Store. Auf dem Weg nach Madison beobachte ich in einer Highway-Raststätte zusammen mit Sibylle Berg heimlich Amische. In Minneapolis lesen Vea Kaiser und ich vor deutschsprachigem Publikum und lassen danach den Abend in einem Pub ausklingen, in dem Bier der "Deschutes Brewery" ausgeschenkt wird, die ich fälschlicherweise als "Deutsches Brewery" identifiziere. In Iowa City fragt mich ein Student, was ich an Amerika "great" finde - als es mir schwer fällt, eine Antwort zu geben, will ein anderer wissen, was ich "bad" finde. In Grinnell habe ich zu viele Cocktails, bevor ich sehr redselig eine Klasse Studenten unterrichte. In St. Louis lerne ich, dass ich in der Tradition von Hartmann von Aue stehe, der in seinem "Gregorius" auch schon humorvoll über Inzest geschrieben hat. In Nashville erzählt mir der Taxifahrer, dass sein Lieblingsautor William Wordsworth ist. In Atlanta habe ich die erste Veranstaltung meines Lebens an einer amerikanischen Schule. In Seattle lerne ich bei einer 24-stündigen Suche nach meinem verschwundenen Gepäck den Flughafen sehr gut kennen - dafür schenkt mir die deutsche Ehrenkonsulin nach der Lesung ein Gummibändchen in Schwarz-Rot-Gelb. In San Francisco muss ich abwarten, bis alle Kinder den Buchladen verlassen haben, ehe ich aus den weniger kindergerechten Passagen des Romans vorlesen kann.

Und dann ist mit einem Mal Schluss. Ich trete die Heimreise an. Im Gepäck: wunderbare, irritierende, falsche, beängstigende, unvergessliche Erinnerungen und 23 Kugelschreiber. Letztere habe ich in jedem Hotel eingesteckt. Mit ihnen schreibe ich nun das nächste Buch.

Die Familiengeschichte "Meistens alles sehr schnell" (dtv), mit der Christoph Kloeble in den USA unterwegs war, ist der zweite Roman des 1982 geborenen Autors. Für seinen Erstling "Unter Einzelgängern" erhielt er den Literaturpreis der Jürgen- Ponto-Stiftung.

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