Lenny Kravitz über das Älterwerden:"Jugend wird überschätzt"

Er mischte sich bislang nicht in die Politik ein, doch mit seinem neuen Album "Black and White America" attackiert Lenny Krevitz nun den Rassismus in den USA. Ein Gespräch über die Energien eines knapp 50-Jährigen, den Retro-Pop und die Fadheit New Yorks.

Jörg Häntzschel

Seit 20 Jahren gehört der Multi-Instrumentalist, Songwriter und Produzent Lenny Kravitz zu den großen Stars des Mainstream-Retro-Rock. Sein erster Hit "It Ain't Over 'Til It's Over" kam 1991 bis auf den zweiten Platz der amerikanischen Billboard-Charts. Kravitz-Alben standen seither in vielen Ländern immer wieder in den Top-Ten. Heute erscheint das neunte Studio-Album des 47-Jährigen. Sein Titel: "Black And White America" (Roadrunner/Warner).

U.S. singer Lenny Kravitz performs during his 'Love Revolution' concert in Budapest

Lenny Kravitz mag die Musik "doch zu sehr", als dass er sich eine Auszeit gönnen würde.

(Foto: REUTERS)

SZ: "Black and White America" heißt Ihr neues Album. Heißt das, es gibt zwei Amerikas, das schwarze und das weiße?

Lenny Kravitz: Nein, im Gegenteil. Ich will sagen: Amerika ist jetzt weiß und schwarz, samt allen Schattierungen. Niemand ist mehr ausgeschlossen.

SZ: Sie waren bisher nicht für politische Statements bekannt. Warum jetzt?

Kravitz: Ich stieß im Fernsehen auf einen Dokumentarfilm über Rassismus in den USA. Eine Gruppe von Weißen sagte, Rassengleichheit passe ihnen nicht, und ein afro-amerikanischer Präsident erst recht nicht. Sie sagten, er werde nicht lange leben, sie würden sich schon darum kümmern, dass er ermordet werde. Es war wirklich grauenhaft. Ich fragte mich: Was ist los mit denen? Die meinen das doch nicht ernst. Aber natürlich meinten sie es ernst.

SZ: Die ersten Worte auf Ihrem Album sind "Martin Luther King". Dann singen Sie: "Die Zukunft ist endlich da, wir haben so lange gewartet." Sie sehen seinen Traum endlich in Erfüllung gehen. Beziehen Sie sich auf Obamas Wahl?

Kravitz: Das auch. Aber vor allem will ich den Leuten, von denen ich eben gesprochen habe, sagen: Ich weiß nicht, wo Ihr lebt, aber hier in der echten Welt ist das die Realität. Wir sind alle Kinder desselben Vaters, wir stammen von derselben Quelle ab. Zurückschauen ist Zeitverschwendung. Das lilienweiße Amerika ist erledigt.

SZ: "Black and White America", das ist auch Ihre eigene Geschichte.

Kravitz: Und es ist die Geschichte meiner Eltern als gemischtrassigem Paar. Damit habe ich mich mein ganzes Leben lang auseinandergesetzt: diese Frage der Rasse und was sie für das bedeutet, was von einem erwartet wird und wo man hingehört.

SZ: Als Sie begannen, Musik zu machen, lehnten die Labels Sie ab, weil ihnen Ihre Musik entweder nicht weiß oder nicht schwarz genug war. Hören Sie diese Einwände immer noch?

Kravitz: Die Kategorien und Schubladen erzeugen immer noch eine eigene Dynamik. Ich mache Rock, aber viele Rock-Sender spielen mich nicht, weil ich ihnen irgendwie zu funky bin. Und die R'n'B-Sender sagen: Du bist schwarz, aber nicht so richtig. Du passt nicht in unser "Format".

Musik mit Persönlichkeit

SZ: Ob bei den Strokes, Amy Winehouse oder Danger Mouse: Die heutige Popmusik lebt von der Vergangenheit. Bei Ihnen war das schon immer so.

Kravitz: Was soll ich sagen? Ich mische die Stile eben gerne, aber damit bleibe ich mir trotzdem treu. Die Klassik würde ja auch niemand als retro bezeichnen.

SZ: Gibt es im Pop überhaupt noch ein Heute?

Kravitz: Keine Ahnung. Für mich ging es immer schon darum, Musik mit Persönlichkeit zu machen und mit richtigen Instrumenten, nicht mit dem Computer. Ob das nun nach Sechzigern oder Achtzigern klingt, hat mich nie gekümmert.

SZ: Sagen Sie sich: Jetzt mache ich mal ein Stück wie "Sticky Fingers" von den Rolling Stones?

Kravitz: Nein, ich schreibe den Song, und der Song ist wie er ist. Im Übrigen kann ich Ihnen bei jedem Song von Led Zeppelin oder den Beatles oder den Stones sagen, wo die ihn herhaben: von Willie Dixon oder Howlin' Wolf oder Motown.

SZ: Was hören Sie zu Hause?

Kravitz: Alles. Mein iPod ist voll mit verrücktem Zeug: Opern, Nina Simone, Serge Gainsbourg, Django Reinhardt, Led Zeppelin, Marvin Gaye, Bob Marley, Edith Piaf, Fela Kuti.

SZ: Da ist kein neuer Künstler dabei.

Kravitz: Stimmt. Aber ich höre auch viel von dem, was meine Tochter anschleppt. Wie hieß diese Band neulich gleich wieder? Ich glaube Little Dragon, ein Elektronik-Act aus Schweden.

SZ: Wie ist es, in diesem Beruf alt zu werden.

Kravitz: Es ist toll!

"Mit dem Internet hat sich alles geändert"

SZ: Es war ja mal ein Beruf für Junge.

Kravitz: Nein, völlig falsch. Heute muss man in diesem Job 15 sein, aber als ich aufwuchs, hörte man ständig ältere Leute im Radio. Außerdem bin ich immer noch jung. Ich sehe auch nicht anders aus als vor 20 Jahren. Und ich fühle mich besser. Ich werde gerade erst warm. Schauen Sie sich doch Mick Jagger an. Er ist 67. Mit dem kann kein 20-Jähriger mithalten. Jugend wird überschätzt.

SZ: Und Sie haben immer noch die Energie, jeden Abend auf der Bühne zu stehen und hier tagelang Interviews zu geben? Haben Sie sich noch nie gedacht: Ich habe genug Geld, ich habe genug Ruhm, meine Songs laufen weltweit im Radio, ich brauche das eigentlich nicht mehr?

Kravitz: Der Gedanke kommt einem von Zeit zu Zeit. Aber letztlich mag ich die Musik doch zu sehr.

SZ: Wie hat sich das Business gewandelt in den zwei Jahrzehnten, die Sie jetzt dabei sind?

Kravitz: Es ist furchtbar geworden. Nicht sehr kreativ, nicht sehr freundlich. Mit dem Internet hat sich alles geändert. Kaum jemand zahlt noch für Musik, obwohl sie es genau so verdient, bezahlt zu werden, wie Ihre Hose. Es ist nicht mehr die Industrie, die ich kenne.

SZ: Seit Sie in "Precious" einen Krankenpfleger spielten, scheinen Sie sich eine Zweitkarriere im Film aufzubauen.

Kravitz: Ich mache das nur der kreativen Erfahrung wegen. Ich hatte Glück. Ich wusste nicht, dass das Telefon klingeln würde. Wenn mehr daraus wird, umso besser.

SZ: Sie leben in Paris und auf den Bahamas. Wie ist es, zurück nach New York zu kommen? Finden Sie es immer noch so langweilig?

Kravitz: Nicht langweilig, nur etwas brav. Ich kenne die Stadt aus den Siebzigern und Achtzigern. New York war unglaublich damals, und das ist es heute einfach nicht mehr.

SZ: Ist Paris nicht die bravste Stadt von allen?

Kravitz: Ich liebe es der Schönheit wegen. Ich mag den Lebensstil. Ich sitze in den Cafés, gehe in die Oper, ins Ballett, ins Museum. Ich mag die gemeinsamen Abendessen, den Wein. Und es ist groß genug, aber nicht zu groß. Nichts gegen Amerika, aber ich habe einfach eher eine europäische Sensibilität.

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