Lenny Kravitz in Berlin:Weltstar mit Wackeldackel-Appeal

Deutschlandtour-Auftakt Lenny Kravitz

Lenny Kravitz bei seinem Tourauftakt in Berlin

(Foto: dpa)

Die Neunziger sind wieder hip, da trifft es sich gut, dass Lenny Kravitz wieder da ist. Zum Tourauftakt in Berlin hat der Softrocker aber nicht nur Nostalgie zu bieten.

Konzertkritik von Ruth Schneeberger, Berlin

Wann es vorbei ist, das weiß man nie so genau. Das gilt nicht nur für Leben und Tod, sondern auch für die kleineren Aspekte dazwischen, für die Liebe zum Beispiel: Als etwa die Beziehung zu seiner großen Liebe vorbei war, der Schauspielerin Lisa Bonet aus der Bill Cosby Show, da schrieb Lenny Kravitz den Song "It ain't over till it's over", der gleichzeitig seinen Durchbruch bedeutete. Das war vor 23 Jahren, und mit den Alben "Mama said", "Are you gonna go my way" und "5" schwamm der Musiker aus New York, Sohn einer Schauspielerin und eines TV-Produzenten, auf einer absoluten Erfolgswelle. Die 90er waren sein Jahrzehnt.

Jetzt hat man aber von Kravitz schon länger nichts mehr gehört. Im neuen Jahrtausend hat der Musiker zwar noch mehrere Platten veröffentlicht, arbeitete unter anderem mit so unterschiedlichen Kollegen wie Slash und Vanessa Paradis, Pharrell Williams und Mick Jagger, sang für Obama den Wahlkampfsong "Change" und, kurz vor dessen Tod, einen letzten Song mit Michael Jackson, seinem alten Vorbild aus Kindertagen. Doch die besten Zeiten waren vorbei, schon damals galt Lenny als absolutely Nineties.

Wann aber eine Karriere wirklich vorbei ist, das weiß man auch nicht immer so genau, und so gefiel es Kravitz nun, nach seinem 50. Geburtstag in diesem Jahr, zu verkünden, er fühle sich besser als je zuvor und sehe schließlich aus wie 30, ergo habe er ein neues Album produziert und gehe wieder auf Tournee.

Er bleibt den Neunzigern treu

Es trifft sich also gut, dass auch in Berlin die Neunziger gerade wieder total angesagt sind, denn Kravitz erinnert nach wie vor stark daran, und das nicht nur musikalisch: Mit Nasenring, Spiegelsonnenbrille und halblangem schwarzen Ledermantel betritt er die gut gefüllte O2-World am Mittwochabend. Schon immer hat Kravitz in seiner Musik mit vielen Retro-Elementen gespielt, aber diesen Mix aus Sechzigern, Siebzigern und Neunzigern verkörpert heute keiner so wie er.

Wenn er dann noch vorwiegend seine alten Lieder spielt, von "American Woman" über "Fly away" bis zu "I belong to you", zelebriert das Publikum ausgiebig die Nostalgie: Alle schwelgen in Erinnerungen, sogar die ganz jungen sitzen romantisch verschlungen im Publikum oder schwenken gefühlsduselig ihre Tablets, und bei weitem nicht nur die Ü-30-Fraktion tanzt, eher die 20-Jährigen, Männlein wie Weiblein. So Nineties eben, in Berlin stolziert ja auch wieder auf Plateaus durch den Block, wer modisch etwas auf sich hält. Zumindest die jungen Damen.

Spricht Lenny sich selbst Mut zu?

Von wegen stolzieren: Genau so hat Kravitz sein neues Album genannt. Im passenden Song dazu, "Strut", klingt das so, als wolle er jemand anderem Mut machen, stolz auf sich selbst zu sein und das auch zu zeigen, allein schon am Gang, beim Spazieren durch die Straßen, den kleinen Bühnen der Welt. Vielleicht ist es aber auch eine Trotzreaktion und Lenny spricht sich selbst Mut und Stolz zu.

Denn wälzt man die Kritiken der vergangenen Jahre, vor allem die deutschen, war das alles andere als wohlwollend und wird auch mit dem neuen Album nicht besser: Er könne weder singen noch spielen, wurde ihm schon von den seriösesten Kritikern attestiert, das ist hart für einen Musiker, der alle Musikinstrumente selber spielt, dessen Stimme zwischen samtener Schokolade und melodischem Metall angesiedelt ist. Und dessen Lieder zwischen einfühlsamer Ballade und ins Bein schießendem Rock pendeln, angereichert mit Funk, Soul und Reggae.

Nicht sterben, tanzen!

Nicht zuletzt ist Kravitz Fan der Beatles und hat in den Neunzigern versucht, deren Love-and-Peace-Mentalität wieder aufleben zu lassen. Unter anderem mit dem Song "Are you gonna go my way?", in dem es heißt:

So tell me why we got to die / And kill each other one by one / We've got to hug and rub-a-dub / We've got to dance and be in love

Das war, wie bei vielen anderen Stars, textlich nie der Burner, trotzdem ist eine ganze Menge großartiger Songs durch diesen besonderen Mix entstanden, unter anderem "Always on the run" oder "If you can't say no". Skandalnudel Madonna hat er gleich zu Beginn seiner Karriere den selbst für ihre Verhältnisse sehr heißen Song "Justify" auf den Leib geschrieben. Mehr als 38 Millionen Tonträger hat der gute Mann inzwischen verkauft und vier Grammys abgeräumt. Doch jetzt heißt es: Das neue Album sei der absolute Tiefpunkt seiner Karriere. Er solle sich lieber weiter der dem Design widmen, der Schauspielerei ("Die Tribute von Panem"), oder Parfum verkaufen. Kann es sein, dass die vor allem männlichen Kritiker ihm den ewigen Sex-Appeal-Status neiden?

An diesem Abend jedenfalls spielt er ihn nur nebenbei ein bisschen aus. Natürlich muss wieder der durchtrainierte Oberkörper unter Silberketten hervorblitzen. Aber die meiste Zeit bleibt der lange Mantel doch an. Kravitz singt, so wie es das Publikum ersehnt, viele alte Songs, dazu die spannenderen, weil rockigeren seines neuen Albums, und er wackelt dazu vor allem die ganze Zeit mit dem Kopf. Von weiter hinten kann man den angeblichen Egomanen zwischen all seinen hervorragenden Musikern, die er durchaus ganz ohne sein Zutun extrem lange Solos spielen lässt, und sich danach artig bei ihnen bedankt, manchmal nur daran erkennen, dass er ständig diesen Wackeldackel-Move tanzt.

Als es trotzdem gerade langweilig zu werden droht, etwa beim neuen Lied "Dancin 'til dawn", da rettet "Always on the run" mit einem schier endlosen Trompetensolo den gesamten Abend. Alle weiteren Songs werden nun ebenfalls mit extrem langen Jazzeinlagen verlängert, mal vom Saxofonisten, mal vom Gitarristen, die Jazzeinlagen sind wohl eine Reminiszenz an seinen verstorbenen Vater, der auch Jazz-Promoter war. Eine große Rock-Jazz-Party, die Lenny und Konsorten in dieser kühlen Riesenarena am Ende vor rund 7500 Fans aufs Parkett legen.

Berlin, als es noch nicht cool war

Den Berlinern hat Lenny auch noch ein paar warme Worte ans Herz zu legen: Er sei ja schon vor der Maueröffnung in Berlin gewesen und habe im Osten abgehangen, "als der noch nicht cool war". Das war 1989, kurz vor der Maueröffnung, und dass es mit der DDR dann schon ganz bald vorbei sein würde, konnte damals auch noch keiner ahnen. Man weiß eben nie genau, wann es vorbei ist.

Das Publikum jedenfalls ist jetzt entflammt. In den Rängen stehen die Leute für die letzte halbe Stunde tanzend, singend, lärmend, swingend - und ebenfalls mit den Köpfen wackelnd. Als dann noch als Zugabe der lange erwartete neue Hit "The chamber" kommt, sind alle selig. Die Bühne funkelt wie ein Diamant unter Tausenden von Lichtreflexen, überhaupt ist die Lichttechnik perfekt auf jedes einzelne Lied abgestimmt und bringt das Superstar-Feeling auf den Punkt.

Nein, Lenny Kravitz ist nicht mehr innovativ. Aber er ist immer noch sehr gut. Und damit ist eben auch noch nicht alles vorbei.

Lenny Kravitz tourt im November weiter durch Deutschland: Am 7. ist er in Frankfurt, am 8. in Stuttgart, am 15. in München und am 18. in Oberhausen zu sehen.

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