Süddeutsche Zeitung

Lena Meyer-Landrut:"Du hast die Wahl, Fisch!"

Was sich für Lena Meyer-Landrut seit Oslo verändert hat? Die Leute erkennen sie jetzt, wenn sie aufs Klo geht. Lena selbst hat sich wiederum gar nicht groß verändert. Das ist schön. Aber auch ganz schön heikel.

Martin Zips

Lena wartet in einem dieser riesigen ehemaligen Industriebauten in Köln-Mülheim. Früher wurden hier Kabelstränge gedreht, heute deutsche Witzsendungen. Vor dem Eingang der Produktionsfirma Brainpool essen ein paar Blondinen Flutschfinger-Eis. "Komm rein, iss' frisch hier", steht auf einem Plakat.

Einer der Herren über diese Spaßfabrik heißt Stefan Raab. Raab befindet sich in der Sommerpause, rast also weder im Wok Eispisten hinunter, noch misst er sich mit anderen bei "Schlag den Raab" im Bierkrugschieben. Dort, wo allabendlich Raab-Fans aus ganz Deutschland an der Garderobe "Taschenmesser, Schlüssel und Lippenstifte" abgeben müssen, bevor sie ins "TV-Total"-Studio eingelassen werden, herrscht entspannte Ruhe.

Das 4322. Interview

Nur Herr Krämer von der Plattenfirma Universal wartet schon, eine Sicherheitsmitarbeiterin stemmt die schwere Glastür auf. Die Fotos an den Wänden dahinter zeigen die Komödianten Anke Engelke, Bastian Pastewka und viele andere muntere Brainpool-Gestalten, zu denen jetzt auch die 19 Jahre alte Lena Meyer-Landrut gehört. Mit ihrem Förderer Raab hat sie den Eurovision Song Contest wieder nach Deutschland geholt, zum ersten Mal nach 28 Jahren. Was ist dagegen schon ein dritter Platz bei einer Fußballweltmeisterschaft?

In elf Ländern war Lena mit "Satellite" auf Platz eins der wichtigsten Downloadportale. Nach ihrem Triumph überbrachte ihr Christian Wulff, damals noch Ministerpräsident von Niedersachsen, am Flughafen eine Grußbotschaft der Kanzlerin. Große Ehre also. Was ist eigentlich aus Lena geworden?

"Das ist mein 4322. Interview", seufzt sie, als sie müde den abgedunkelten Raum betritt und sich auf das schwarze Ledersofa legt. Gerade hat sie ein paar Räume weiter zu Mittag gegessen. Jetzt startet der Marathon erneut. Vergangene Woche gab Lena Interviews in London, Amsterdam, Wien, Paris. Sie befindet sich auf Promo-Tour, so heißt das. In ein paar Stunden reist sie weiter nach Brüssel, dann nach Norwegen, dann nach Schweden. In ihrer Heimatstadt Hannover ist sie selten, oft übernachtet sie in einem Kölner Apartment, das man ihr gebucht hat. Dort kocht sie oder liest. Krimis, Horrorgeschichten. Joy Fielding, "Die Katze". Raus geht sie kaum. "Zu prominent", sagt Herr Krämer.

"Wir duzen uns doch, oder?"

Lena trägt eine blaue, extra weite Baumwollhose, ein enges dunkles Shirt und Espadrilles. Erst legt sie sich auf den Rücken, dann auf den Bauch. Sie wippt mit den Beinen, löst den Haargummi und klimpert lolitahaft mit den Augendeckeln. Rundum ist es weniger reizvoll: Auf dem Tisch stehen drei abgebrannte Teelichter neben trockenem Gebäck.

Nachdem Lena in Oslo gewonnen hatte, sang sie vor Zehntausenden auf einem Platz in Hannover. "Geht doch nach Hause, es regnet so", rief sie den Menschen zu - aber die Menschen lachten und jubelten nur und kauften die Platte, die Stefan Raab in Windeseile mit ihr aufgenommen hatte. Ihr Album hat sich mehr als 400000-mal verkauft. Und "Satellite" ist hierzulande der meistverscherbelte Single-Hit des Jahres.

Jenseits von Bühne und Kamera ist Lena ("wir duzen uns doch, oder?") an diesem Tag eine ruhige, ernsthafte Frau. Sie erzählt von ihrer bisher weitesten Reise - Ferienclub in Tunesien, mit vier Jahren, zusammen mit der Mutter. "In den vergangenen Jahren fehlte uns für einen großen Urlaub schlicht das Geld." Sie berichtet, dass sie früher für Britney Spears schwärmte, nun aber Johnny Depp über ihrem Bett hängen hat.

Lena sagt, dass sie als Kind "oft in verschiedenen Familien zu Besuch" war und es dort immer geheißen hätte: "Wenn Lena da ist, dann ist immer alles viel schöner." Sie spricht leise. Kein einziges "geil" oder "supi" kommt diesmal über ihre Lippen. "Ich glaube, ich bin irgendwie ausgeglichen und mit mir völlig im Reinen. Das macht mir eine gewisse Unbeschwertheit möglich."

Britische Medien deuteten ihr Lächeln als "neues Selbstbewusstsein" eines Landes, das sich von anderen Ländern nicht "an der Nase herumführen lassen möchte". Selbst in Australien berichten die Zeitungen über die "Lenamania" am anderen Ende der Welt. Es gab viele Versuche, ihr Privatleben zu erforschen.

Doch Lena schweigt bis heute so beharrlich, dass selbst die investigativsten Journalisten sich irgendwann geschlagen gaben: Sie sei "aufgewachsen in einer, nach allem, was nach draußen dringt, liebevollen, aber keineswegs heilen Welt", fasste der Stern zusammen. Andere Blätter schafften noch ein Interview mit Ladislas, der Lenas Erzeuger sein will. Doch weil Ladislas seine Vaterschaft anscheinend erst wieder einfiel, als seine angebliche Tochter berühmt war, hatte niemand Bock auf ihn.

Jetzt erzählt Lena von einer Frau, die kürzlich auf der Damentoilette beim Händewaschen neben ihr stand und die sie nie zuvor gesehen hatte. Die Frau habe sie angeschaut und mit einem sehr zutraulichen "Halloooooo!" begrüßt. Lena zieht bei dem "Halloooooo!" ganz merkwürdig die Oberlippe hoch. So wie eine Katze, bevor sie kratzt.

Es stört sie, dass es jetzt so viele Leute gibt, die glauben, gut mit ihr bekannt zu sein. "Im wirklichen Leben habe ich nur drei, vier enge Freunde. Flüchtige Bekanntschaften sind nicht mein Fall."

Diese Lena mit der Lena-Art

Früher, als Kind, da hörte Lena gerne die "Lieder vom Angsthaben und Mutmachen" des Sängers Fredrik Vahle. Sie spielte am Computer mit Pettersson und Findus. Das Beste aber sei ihr Playmobil-Zirkus gewesen, sagt Lena - vielleicht eine gute Vorbereitung für den Zirkus, in den sie jetzt hineingeraten ist, nachdem sie sich online bei Raabs Castingshow "Unser Star für Oslo" beworben hatte. "Treffen sich ein Walfisch und ein Thunfisch, sagt der Walfisch zum Thunfisch: ,Was wollen wir tun, Fisch?' Sagt der Thunfisch zum Wal: ,Du hast die Wahl, Fisch!'" Lena lacht ein lautes Teenagerlachen. Dann kippt sie sich Orangensaft auf die Hose. "Iiiiih."

Seit ihrem allerersten Auftritt bei Raab hat sie sich eigentlich nicht groß verändert. Das ist schön. Aber auch ganz schön heikel. Die Leute könnten sie bald über bekommen, diese Lena mit ihrer Lena-Art. In den vergangenen Wochen konnte man schon mal den einen oder anderen hämischen Artikel oder Blogeintrag über sie lesen. Ihre Brille sei zu groß, ihr Gesang nur "zwei minus", da müsse mehr kommen. Nur ihr neues Musikvideo sei, na ja, ganz nett, und diesmal springe sie ja mit ihrer Freundin Naomi, höhö, angezogen ins Wasser, also nicht so wie damals bei dieser Fernseh-Soap, wo sie als Komparsin mit nacktem Busen zu sehen war - lange vor Oslo.

In den kommenden Tagen will der Heyne-Verlag das Buch "Lena - einfach raus und leben!" veröffentlichen. Um die 220 Seiten zu füllen, habe man kein einziges Mal mit Lena geredet, gesteht einer der Autoren am Telefon.

Der Druck ist groß

In nur sechs Monaten von der unbekannten Schülerin der Gesamtschule Hannover-Roderbruch zum Star - der Druck auf Lena ist groß geworden. Bei der ARD rumorte es kürzlich, weil Stefan Raab im Taumel von Oslo für das Jahr 2011 bereits Lenas zweite Teilnahme beim Eurovision Song Contest ausrief - offenbar ohne erst bei allen Fernsehdirektoren nachzufragen. Im April 2011 soll die pompöse "Lena live Tour" durch Deutschland rollen. Nur die größten Hallen sind gebucht. Die O2-World in Berlin, die Tui-Arena in Hannover, die Festhalle in Frankfurt, die Dortmunder Westfalenhalle, die Münchner Olympiahalle. Ob Lena wirklich alle Hallen voll bekommen wird? Ob ihre Stimme stark genug ist für neun Auftritte an 16 Tagen?

Lena zupft sich die Kleider zurecht. In einer Hosentasche schreit das Handy. Eine SMS. Sie spitzt den Mund und rollt die Augen. Ihr größter Wunsch, sagt sie, sei eine Insel. "Die würde ich mir kaufen, wenn ich einmal so richtig viel Geld habe." Jetzt macht sie erst einmal das, was Claudia, ihre persönliche Brainpool-Managerin, ihr empfiehlt. Zum Beispiel: Nicht unbedingt beim ZDF-Fernsehgarten auftreten. Und wer weiß, irgendwann könnte es mit der Schauspielerei ja doch noch klappen. Das hatte sie eigentlich vor, nach dem Abi.

Einer ihrer Lieblingsfilme, sagt Lena, sei "Charlie und die Schokoladenfabrik". In der Geschichte von Roald Dahl kürt der reiche Fabrikbesitzer Willy Wonka den bitterarmen Jungen Charlie zu seinem Nachfolger. Unsympathische, verfressene oder verwöhnte Kinder lässt Wonka von Rohren aufsaugen oder von Eichhörnchen in den Müll werfen. Willy Wonka, das könnte im wirklichen Leben Stefan Raab sein, der noch vor einigen Jahren Leute wie die arme Maschendrahtzaun-Frau oder ein Mädchen namens Lisa Loch dem öffentlichen Spott aussetzte. Lena sagt: "Ich bin von kaum jemandem ein richtiger Fan. Auch Stefan Raab bin ich nicht als Fan begegnet." Nun ist Lena Teil seines millionenstarken Medien-Imperiums und hat selbst ganz viele Fans.

Welche Rolle ihr Mister Raab-Wonka dort auf Dauer zugedacht hat, muss sich noch zeigen. Könnte sein, dass sie klug genug ist, im richtigen Moment ihren eigenen Weg zu gehen.

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Quelle:
SZ vom 22.07.2010/luc
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