Lena Meyer-Landrut:Die Schausängerin

Artige Unartigkeiten: Lena Meyer-Landrut hat keine große Stimme. Eine Entdeckung ist sie trotzdem - als Performerin ihrer selbst.

Christopher Schmidt

Für einen Moment wirkte das Baggerschaufel-Lächeln von Stefan Raab dann doch ein wenig belämmert. Dabei war es als Lob gemeint, dass der zweimalige Gewinner des Eurovision Song Contest, Johnny Logan, am Mittwochabend der deutschen Fernsehnation melden konnte, in der Disco habe jedenfalls niemand die Tanzfläche verlassen, als "Satellite" gespielt wurde.

Lena Meyer-Landrut probt in Oslo

Musikalische Integrationsbeauftragte einer zerfallenden Gesellschaft: Lena Meyer-Landrut.

(Foto: ddp)

Für den Ausweis, dass das Lied, mit dem sich Deutschland in diesem Jahr ernsthaft Chancen auf einen Sieg beim Osloer Sängerstreit ausrechnet, "internationalen Produktionsstandards" genüge, so Logan, hätte man sich freilich nicht eigens in die norwegische Hauptstadt bemühen müssen.

Stefan Raab hat seine Fernsehshow in den Tagen vor dem Finale nach Oslo verlegt und eine tägliche Sendung um Lena Meyer-Landrut herumgebaut, die Deutschland vertritt und sich nun Abend für Abend auf einem speckigen Kunstledersessel fläzt, mit Mutterwitz und staunenswertem Langmut noch die dümmste PR-Ranschmeiße abtropfen lässt und auf Englisch artige Unartigkeiten ins Mikro zwitschert.

Die Entsendung der 19-jährigen Gesamtschülerin aus Hannover mit dem sperrigen Doppelnamen ist zu einer nationalen Angelegenheit geworden, die das ganze Land in Wallung bringt und selbst gestandene Leitartikler schwärmerisch regredieren lässt, wenn es die wahlweise "drollige" oder "kesse", mal "lustige" und mal "niedliche" Li-La-Laune-Lena zu preisen gilt.

Mit ihrer Natürlichkeit und Frische hat sie offenbar nicht nur einer bröckelnden Mittelschicht den Glauben an sich selbst zurück gegeben, sondern einen flächendeckenden Blümchenteppich über das krisengeschüttelte Land gebreitet. Lena Meyer-Landrut ist so etwas wie die musikalische Integrationsbeauftragte einer zerfallenden Gesellschaft.

Generalstabsmäßige Planung

Dabei liegt dem Aschenputtel-Märchen generalstabsmäßige Planung zugrunde. Nach den Pleiten der Vorjahre ging man die Sache nun systematisch an, und sogar das öffentlich-rechtliche und das private Fernsehen schmiedeten ein schicksalhaftes Bündnis für die Vorauswahl zu "Unser Star für Oslo". Mit derselben Gründlichkeit wurde, nachdem Lena Meyer-Landrut sich in der letzten Casting-Runde durchgesetzt hatte, das "Phänomen" Lena diskutiert und analysiert.

Während die Boulevardpresse in ihrer Vergangenheit herumstocherte, einen verschwundenen Vater aus der Versenkung holte und eine nackte Brust aus den Archiven des Trashfernsehens zu Tage förderte und gegen einen frommen Meditationsurlaub im Kloster aufwog, beugten sich die Experten kritisch über Lenas selbst gebastelten britischen Akzent, dieses Gesamtschul-Cockney aus der niedersächsischen Tiefebene, und ihren ungelenken Tanz-Stil.

Auf allen Ebenen - medial, soziologisch, kulturell - suchte eine so ratlose wie verzückte Öffentlichkeit nach Erklärungen für die Lenahaftigkeit dieser Lena, auf deren schmalen Schultern mit einem Mal so große Hoffnungen lasteten.

Warum bezaubert und betört eine junge Frau, die noch nie eine Gesangsstunde genommen hat und auf die Frage nach ihrer eigenwilligen Atemtechnik entwaffnet ehrlich zur Antwort gab: "Ich habe gar keine", ein ganzes Land? Wieso wollen sich die Deutschen wiedererkennen in dieser besonderen Mischung aus Liebreiz und Temperament, unschuldiger Authentizität und schnoddriger Selbstinszenierung?

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was Lena Meyer-Landrut wirklich kann.

Die Lenahaftigkeit der Lena

Wohl einfach darum, weil sie ist, wie sie ist, ein bisschen schräg, ein wenig durchgeknallt, "verpeilt", wie sie das nennt, und doch ganz normal, ein sauberer Star, aber überhaupt nicht langweilig, jemand, der mehr Persönlichkeit besitzt als Professionalität und sich dadurch wohltuend abhebt von all den durchformatierten Talenten aus der Casting-Retorte.

Es ist schon ein irritierender Widerspruch zwischen dem zarten Flämmchen Individualität, das Lena Meyer-Landrut verkörpert, und den unzähligen Händen, die sich darum legen, damit es nicht erlischt, und dieser Widerspruch spiegelt natürlich auch die deutsche Bewusstseinsspaltung wider:

Man möchte ja so gern anders sein - locker und flapsig wie Lena, ausdrucksstark und fragil, aber dabei ungekünstelt, vibrierend vor Energie und vor allem undeutsch - und züchtet doch diese Abweichung bestenfalls beflissen-verbissen, bis sie jeden Zauber verliert.

Lena ist anders anders, und so erscheint es tatsächlich wie ein kleines Wunder, dass Lena für Deutschland singt, die anfangs viel zu exzentrisch wirkte fürs streberhafte deutsche Wesen. Vor fast dreißig Jahren, als Nicole als erste und einzige Deutsche den Eurovision Song Contest gewann, war ihr Titel "Ein bisschen Frieden" das Lied, das Mut machte. Heute ist "Ein bisschen anders" der heimliche Refrain der deutschen Ambitionen in Oslo.

Bedenkenlose Daumendrücker

Dass diese Frau auf die Bühne gehört, sah man jedoch im ersten Augenblick, die Frage war nur, auf welche. Wer Anfang des Jahres beim Verzweiflungs-Zappen durch die Kanäle bei "Unser Star für Oslo" landete, wo gerade Lena Meyer-Landrut einen Auftritt hatte, konvertierte binnen eines Liedes vom kritischen Medienkonsumenten zum bedenkenlosen Daumendrücker.

"Crazy Huhn" wurde sie genannt, der geballte Sachverstand in der Jury wunderte sich amüsiert über ihren Bühnen-Moonwalk, der statt nach vorn, zur Rampe, stets nach hinten losging, rätselte über Sprechgesang und koboldhafte Lautmalereien. Einig war man sich jedoch über Lenas enorme Bühnenpräsenz, ihre Ausstrahlung, gerühmt wurden Gestik und Mimik, die Inständigkeit, mit der sie eben nicht nur ihr Lied sang, sondern eine Geschichte erzählt.

Lena Meyer-Landrut spielt mit dem ganzen Körper vor, was sie besingt, und darum ist es eher enttäuschend, sie nur zu hören und nicht zu sehen. Belanglos und stromlinienförmig klingt ihre erste CD "My Cassette Player", schnell gestrickte Massenware, um die Meute zu befriedigen, nachdem Lena sich mit gleich drei Liedern, die sie in der Vorauswahl vorgetragen hatte, unter den ersten fünf der Hitparade platzieren konnte.

Eigenwilliges Showtalent

Dabei war sie beim Casting mit eher ungewöhnlichem Singersongwriter-Material von Kate Nash und Lisa Mitchell angetreten, und wer ihr Eigenbau-Englisch verlacht, sollte sich vor Augen halten, dass sie da Strophen gemeistert hat, die voller Fußangeln stecken.

Lena geht es nicht um Textverständlichkeit, sondern darum, Worte in Ausdrucksgebärden umzuschmelzen, und deshalb ist auch ihre Sprachbehandlung ein Beispiel für die Fähigkeit, sich ihre Lieder anzuverwandeln, ihnen den Stempel ihrer Persönlichkeit aufzudrücken, die unverkennbare Lena-Signatur. Das merkt man so recht erst, wenn man ihre Cover-Versionen mit den Originalen vergleicht. Sie imitiert eben nicht, sie interpretiert.

Lena Meyer-Landrut mag keine sonderlich markante Sängerin sein, aber sie ist eine begnadete Schauspielerin, wenn sie singt. Und ein höchst eigenwilliges Showtalent. Im Magazin der Hamburger Zeit gab sie zu Protokoll, wichtiger als der Traum von Harley und Bauernhof sei für sie, in Berlin Schauspiel zu studieren. Diesen Traum habe sie nicht aus den Augen verloren. Bevor sie lernt, andere Rollen zu spielen, spielt sie erst mal nur sich selbst, und das beherrscht Lena bereits perfekt.

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