Interviews mit Lemmy Kilmister waren nicht einfach Gespräche, es waren Erlebnisse. Im Jahr 2008 traf SZ-Autor Alexander Gorkow den Motörhead-Frontmann in Berlin. Zum Tod von Kilmister präsentieren wir Ihnen das Gespräch noch einmal.
Berlin. Esplanade. Auf der anderen Straßenseite: die CDU. Seine Hand fasst sich an wie ein Autoreifen. Sie fährt in einen Eiskübel, Würfel in die Gläser, Whiskey drüber, am Ende eine Nuance Cola. Seine Sätze kommen blitzschnell, das geht nach jeder Frage peng und zack. Geschult ganz klar auf der großen Universität der Straße, im kalten Rauch von Tourbussen und Bars der bunten westlichen Welt. Seine Stimme ist natürlich heiser. Wenn er 'was lustig findet, scheppert sein Gelächter wie ein Haufen Rost durch die Suite. Der "Gottvater des Heavy Metal" ist ein bisschen fertig, aber doch ganz guter Dinge. Willkommen, Captain Hook ...
SZ: Danke für die Eiswürfel.
Lemmy Kilmister: Keine Ursache . . . Was hab' ich jetzt noch mal gelesen: Whiskey macht kreativ.
Whiskey macht kreativ?
Ja. Das ist erwiesen.
Ich bin froh, das zu hören.
War ich auch, als ich es erfahren habe. Tun wir noch einen Schuss Cola rein. Sind Sie ein Whiskeyfeinschmecker?
Was ist ein Whiskeyfeinschmecker?
Na, edle Tröpfchen aus'm Hochland, hundert Jahre in Eichenfässern von schwulen Pfarrern bewacht. Der ganze Scheiß.
Nein, nein, bei Wein ja, bei Whiskey all dies ausdrücklich: nicht.
Wein ...
Spricht was gegen Wein?
Eigentlich nicht. Man gurgelt sich durch die Anbaugebiete, was? ... Also, wir beide hören uns jetzt mal die neue CD an.
Gerne später, aber erst einmal müssen wir reden: Nach Lektüre Ihrer Autobiographie weiß ich, was ich befürchtet habe: dass Sie - der böse Mann im Rock'n' Roll - hohe moralische Standards haben!
Ich hab' eine Idee: Wir trinken. Und hören die neue Motörhead-CD. Okay?
Ich will mit Ihnen über Moral reden.
Wir hör'n die CD.
Was ist das Wesen Ihrer Moral?
Oh Mann ... Also, ich kann nur sagen, was ich denen empfehle, die ich mag.
Und das wäre?
Haltet euch fern von den Idioten!
Das Prinzip für geliebte Freunde?
Wer redet von Liebe? Es gibt 'n paar Leute, die ich okay finde. Jedenfalls rate ich denen, sich von Idioten fernzuhalten. Die Regel lautet: acht von zehn.
Acht Idioten?
Acht Idioten an einem guten Tag. Sonst: neun. An einem schlechten Tag triffst du zehn Leute und einer wie der andere ist ein kompletter Vollidiot.
Was ist ein Idiot?
Wären Sie mein Sohn, würd' ich sagen: Einer, der mit Heroin dealt, ist ein Idiot. Einer, der es nimmt, ist auch einer. Ich hab' alles genommen, Gehirn-Atombomben aus den berühmtesten Laboratorien der abendländischen Chemie! Plus alle legalen wie illegalen Spezialmischungen aus Methanol. Aber: nie Heroin!
Andere Drogen töten auch.
Falsch. Nicht zwangsläufig.
Na ja.
Hier: Ich beweg' meine Finger. Ich tu' Eiswürfel ins Glas. Bin ich tot?
Nein, aber ...
... also töten alle andere Drogen nicht zwangsläufig. Ich muss es wissen.
Was mache ich, wenn meine Söhne mit Drogen ankommen?
Freundlichkeit und Ruhe bewahren. Und an die Würde appellieren.
Nutzt das was mit der Würde?
Nicht sofort. Aber später. Bei der Würde werden wir alle weich. Vor allem junge Leute. Stolz - großes Thema.
Wie geht das, dieses Appellieren?
Ich hab' meinem Sohn Paul das mit dem Heroin erklärt: "Tu, was du für richtig hältst. Du bist ein guter Junge, und dein Vater erlaubt dir alles." Paul grinste mich an wie ein Schaf, okay? Und ich: "Außer Heroin, Freundchen!"
Was sagte Ihr Sohn?
Paul wollte natürlich Ärger, also fragte er: "Was machst du, wenn ich's trotzdem nehme, Daaad?" Ich: "Dann schlage ich dich tot, du verdammter Bastard. Ich will nicht, dass du langsam stirbst. Besser, ich zieh' dir gleich eins über den Schädel."
Und heute?
Paul ist ein feiner Junge. Er lebt in Los Angeles und ist Musiker. Wie sein Vater. Er hatte gute Voraussetzungen, um zur Hölle zu fahren. Er sieht aber, wenn sich am Horizont ein Idiot abzeichnet. Ich hab' es ihm beigebracht.
Dave Grohl von den "Foo Fighters" sagt, dass Sie, Lemmy, einer der "ganz, ganz wenigen" Leute in der Musikindustrie seien, die anständig geblie . . .
... er sagt es anders! Richtig zitieren! Er sagt, dass ich zu den wenigen Leuten in der Entertainment-Industrie gehöre, die "kein Arschloch" geworden seien.
Wie erkennt man so ein Arschloch? Ich könnte auch eins sein!
Sie sind keins.
Woher wollen Sie wissen, dass ich irgendwie großartig bin und kein ...
Ich glaub' ganz und gar nicht, dass Sie großartig sind - und gleichzeitig sind Sie ziemlich sicher kein Arschloch.
Darf ich das für meinen Grabstein ...
... bitte, nur zu!
Also, wie erkennt man ein Arschloch?
Lebenshilfe mit Lemmy. Also. Es umgibt Arschlöcher eine servile Freundlichkeit - und zur selben Zeit etwas Umtriebiges. Es umgibt sie gleichzeitig dieses Unerwünschte. Als spiegele sich in ihren Augen das Unwohlsein, das sie bei anderen auslösen, zum Beispiel bei, hmm, Sensibelchen wie mir.
Ein typisches Beispiel für ein Arschloch?
Na, das berühmteste ist natürlich Bush. Sogar andere schon sehr große Arschlöcher halten ihn für das größte Arschloch des Universums. Aber gefährlich im Alltag sind die hier: diese speziellen Schleimer (er benutzt das Wort: bootlicker), die mit den nervösen Pupillen. Ich hab' die immer sofort unschädlich gemacht.
Zu den Politikern: Wie Sie, Lemmy, berufen sich die auf eine Moral.
Aber auf eine höhere. Ich auf meine.
Was ist der Unterschied? Ihre ist besser?
Allerdings.
Das sähen Bush und Blair anders.
Teil meiner Moral ist, dass Bush und Blair mich am Arsch lecken sollen. Geht es nach denen, bin ich Dreck: Ich trinke, ich nehme Drogen, ich vögel' mit Huren - ich liebe die Huren, und sie lieben mich!
Ist das Liebe?
Von meiner Seite aus immer. Und die Frauen, sagen wir so: Sie freuen sich, mich zu sehen. Besser, als wenn zu Hause eine Frau sitzt, die sich nicht freut, mich zu sehen. Oder? ... Hahahaha!
Wieso lieben Sie nicht nur eine Frau?
Hab' ich doch grad erklärt. Gegenfrage: Wieso leben Sie nicht ... in der Mongolei?
Keine Lust.
Und ich hab' keine Lust auf eine Frau. Lemmydarling, wann kommst du heim? Wieso gehst du nur wieder in die Bar? Das geht nicht. So kann man nicht arbeiten. Ehefrauen auf Tournee sind schlimmer als der Zweite Weltkrieg. Ich hab' keine Lust drauf. Ist nichts Schlimmes. Ich behandel' sie wirklich alle mit Respekt, die Frauen, fragen Sie sie!
Leben Sie gerne in Los Angeles?
Es ist warm da. Ich friere so leicht. Ich lebe am Sunset Strip, das "Rainbow" ist gegenüber, gute Drinks, gute Musik ...
Stimmt es, dass Sie immer noch in einem Zwei-Zimmer-Apartment wohnen?
Korrekt.
Wieso leben Sie nicht in einer Villa?
Wieso sollte ich?
Moral? Ja - aber für Lemmy Kilmister zählte nur die eigene.
(Foto: dpa)Mehr Platz. Geld haben Sie ja.
Ich kann nicht 30 Zimmer bewohnen, Mann! Stress! In 28 Zimmern herrscht dann Totenstille. Wozu? Wozu??
Wie sieht Ihr Apartment aus?
Voll. Sie kriegen die Tür nicht auf.
Wieso voll?
Viel Besuch. Wie gesagt: Das "Rainbow" ist gegenüber ... Noch einen Drink? Ich meine, hier, dieser Obama ist ein smarter Halunke, oder? Mach' mir Sorgen um ihn.
Gefährdet?
Natürlich.