Leipziger Buchpreis 2014 für Saša Stanišić:"Probebohrung in der deutschen Geschichte"

Buchmesse Leipzig - Buchpreis - Saša Stanišić

Saša Stanišić freut sich am 13. März 2014 über seine Auszeichnung bei der Leipziger Buchmesse.

(Foto: dpa)

Saša Stanišić hat einen ostdeutschen Dorfroman geschrieben, der beweist, dass die ganze Welt in eine Nussschale passt. Nun gewinnt er für "Vor dem Fest" verdientermaßen den Leipziger Buchpreis 2014 in der Kategorie Belletristik.

Von Christopher Schmidt

Am Mittwoch nahm Katja aus der Ukraine die letzte Rose vom Bachelor an, einen Tag später ging der Blumenstrauß der Leipziger Buchmesse an Katja aus der Ukraine vorbei - nicht an der schmachtenden von RTL freilich, sondern an der gleichnamigen Autorin aus Berlin. Im vergangenen Sommer war Katja Petrowskaja mit ihrem Roman "Vielleicht Esther" (Suhrkamp Verlag), einer Spurensuche nach ihrer jüdischen Familie, von deren Schicksal sie so schwer wie nötig und so leicht wie möglich erzählt, die überragende Gewinnerin beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt gewesen.

In Leipzig gelang es Petrowskaja genauso wenig, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, wie den beiden anderen Debütanten unter den fünf Kandidaten auf der Shortlist, Fabian Hischmann und Per Leo. Aber auch Martin Mosebach, der Elder Statesman im belletristischen Tableau, konnte die siebenköpfige Kritiker-Jury nicht überzeugen, der René Aguigah. Sandra Kegel, Dirk Knipphals, Ursula März, Lothar Müller, Daniela Strigl und Hubert Winkels angehörten. Mosebachs Roman "Das Blutbuchenfest" über den Balkankrieg war mit einem Handicap ins Rennen gegangen, nachdem die FAZ vorgerechnet hatte, das Buch kranke an Anachronismen.

Stattdessen erhielt ein Autor den in diesem Jahr zum zehnten Mal vergebenen Preis, für den wie für Petrowskaja die deutsche Sprache nicht die seiner Herkunft ist, sondern die seiner Ankunft: der 1978 im bosnischen Višegrad geborene Saša Stanišić. Mit "Vor dem Fest" (Luchterhand) hat er einen ostdeutschen Dorfroman geschrieben, der beweist, dass die ganze Welt in eine Nussschale passt.

Als "Probebohrung in der deutschen Geschichte" bezeichnete Daniela Strigl in ihrer Laudatio dieses vielstimmige epische Patchwork. Im Vorfeld der Messe hatte Maxim Biller dem Autor vorgeworfen, es sei ihm wichtiger, über Urdeutsche zu schreiben als über Neudeutsche wie sich selbst, und ihn damit auf Migrantenliteratur verpflichten wollen. Stanišićs Roman freilich pariert Billers Angriff aufs souveränste, und dass er nun zu Recht den Preis davontrug, dürfte einer unseligen Debatte ganz nebenbei den Gnadenstoß versetzen.

Gratulieren muss man der Jury auch zu ihren anderen Entscheidungen, wird doch der Leipziger Buchpreis in drei Kategorien verliehen, die jeweils mit 15 000 Euro dotiert sind. In der Sparte Übersetzung freute sich Robin Detje über die Auszeichnung, die er zugleich als stellvertretende Anerkennung des oft verkannten Übersetzerstandes entgegennahm - Paul Berf, Ursula Gräfe, Hinrich Schmidt-Hinkel und Ernest Wichner waren die anderen Nominierten. Gewürdigt wird nicht nur Detjes außerordentliche sprachkünstlerische Leistung, sondern auch eine Pionierarbeit. Schließlich hat er mit seiner Übertragung von William T. Vollmanns Großroman "Europe Central" (Suhrkamp) über Krieg und Diktatur im 20. Jahrhundert ein epochales Werk der amerikanischen Literatur erschlossen, das acht Jahre auf sein deutsches Sprachgewand warten musste.

Als beste Neuerscheinung aus dem Bereich Sachbuch/Essayistik bewertete die Jury - vor den Titeln von Diedrich Diederichsen, Jürgen Kaube, Barbara Vinken und Roger Willemsen - Helmut Lethens "Der Schatten des Fotografen" (Rowohlt Berlin) über die Macht der Bilder, eine Art Verhaltenslehre des Sehens. Die Rosen in Leipzig, sie waren also ohne Dorn.

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