Süddeutsche Zeitung

Leipziger Buchmesse:Wer den Ton angibt

Singeklub kontra Heimatliebe-Chor: In Leipzig kommt es vor einem Stand für rechte Folklore zum Gesangsduell. Es wird geträllert, und die Polizei kommt.

Von Sonja Zekri

Es begann mit Harry Potter und gipfelte in einem Sängerstreit und ein paar Erkenntnissen darüber, wie man mit Rechten reden kann - und wo Musik vielleicht mehr hilft. Viele rechte Verlage waren ja nicht gekommen zur Buchmesse in Leipzig. Götz Kubitscheks Antaios-Verlag hatte abgesagt. Compact aber war noch da, das Magazin von Jürgen Elsässer, in Halle drei, Stand G602, weit weg von den Elfen und Einhörnern der Manga-Convention in Halle 1, und durchaus ein wenig abgelegen in einer Ecke gegenüber einem Antiquariat, das Anna Seghers' "Das Siebte Kreuz" anbietet. Hier, über der Auslage der Compact-Editionen zu Themen wie "Deutsche Frauen" oder "Deutsche Helden", traten drei Schüler aus Halberstadt in Sachsen-Anhalt am Samstag an den Compact-Chef Jürgen Elsässer heran, weil sie da mal was wissen wollten.

Da war zum einen und nur auf den ersten Blick abseitig die Frage nach den faschistischen Zügen von Lord Voldemorts Todessern. Dazu habe sie die Meinung der Rechten schon immer interessiert, erklärt Jeannine Schach, 17, später. Aber dann lief es natürlich trotzdem zügig auf die großen Themen zu: Flüchtlinge, Demokratie, Deutschland. Das Erstaunliche dabei war nun nicht Elsässers rechte Folklore - die Globalisierung ist schlecht, Deutschland droht die Umvolkung -, sondern das höfliche Insistieren, mit der Schach, ihre Freundin Luca Marie Hielscher und Marc Robin Eggert, beide 18, Elsässer erst in Erklärungsnot, dann ins Stentorhafte und schließlich fast zum Brüllen brachten.

Es stimme keineswegs, dass die Syrer nicht in ihre Heimat zurück wollten, nur sei diese gerade kaum bewohnbar, führten sie an. Es sei falsch, dass Syriens Baschar al-Assad Frieden stifte, er errichte dort einen Folterstaat. Und wie stehe er, Elsässer, überhaupt zur DDR und der BRD? Damals seien auch Menschen in die Bundesrepublik geflohen, die aufgenommen wurden. Wo sei da der Unterschied?

Nun, versucht Elsässer, das seien ja Deutsche gewesen, das sei ein Unterschied, wir seien in Deutschland, ob sie das nicht verstünden? Aber die Mädchen verstehen nicht oder verstehen sehr gut, und als immer mehr kurzhaarige kräftige Männer auftauchen und sie einkreisen, sodass man die beiden von außen kaum noch sieht, als einige fotografieren oder filmen, obwohl die Mädchen sich das verbitten, als einer schreit, ob sie denn schon mal einen Flüchtling aufgenommen haben, ob sie überhaupt schon mal "gearbeitet" haben, ziehen sie sich langsam zurück, mit roten Wangen vor Aufregung, aber alles andere als aufgelöst. "Wir wollten einen Meinungsaustausch, und am Anfang ging das auch, aber dann nicht mehr", kommentiert Luca Marie Hielscher das Zusammentreffen.

Zackig stimmen die Rechten "Die Gedanken sind frei" an. Dann werden sie leiser und verstummen

Die Polizei ist inzwischen abgezogen, als sich kurz darauf und erkennbar nicht abgesprochen eine weitere Gruppe junger Männer und Frauen mit dem Rücken zum Stand aufstellt. Das ist der Singeklub Leipzig, der sich vor einem Jahr formierte, um politische Lieder einzustudieren, und der hier eine Aktion plant, die ihr Sprecher Tom Rodig später eine "chorische Intervention" nennt. Die Gruppe singt. Erst "No going back", ein Lied der britischen Bergarbeiterfrauen während der Streiks Mitte der Achtziger, wenn man so will: eine feministische Hymne. Schon während der zweiten Strophe bauen sich hinter ihnen die kräftigen Männer auf und halten Schilder hoch, auf denen Sätze stehen wie "Heimatliebe ist kein Verbrechen" oder "#versagergegenrechts", oder einfach die "Deutsche Frauen"-Ausgabe von Compact.

Und irgendwann fangen auch die Compact-Anhänger an zu singen. Man braucht ein wenig, bis man das Lied erkennt, weil sie es so ungewohnt zackig intonieren, aber dann begreift man. Sie singen "Die Gedanken sind frei" . Aber die anderen singen eben auch, "No going back", und so singen beide Seiten, lauter und lauter. Ein Sängerkrieg, der die Menschen zusammenströmen lässt, die Polizei ist wieder aufgetaucht, die Sänger schmettern aus Leibeskräften. Es ist ein heroischer, gänzlich unironischer Moment, buchstäblich ein Kräftemessen darüber, wer den Ton angibt.

Irgendwann setzt sich der Singeklub Leipzig durch, die Rechten werden leiser und verstummen schließlich. Unter großem Applaus geben Rodig und seine Gruppe zwei weitere Lieder zum Besten, das slowenische Partisanenlied "Drei rote Pfiffe" und "Avanti popolo". Danach ist Rodig immer noch aufgeregt, aber hochzufrieden: "Die Idee bestand darin, auf der Messe hier den Leuten dort etwas entgegenzusetzen", sagt er. Ohne Gewalt: "Wir sind schließlich auf einer Buchmesse." Und? "Es hat geklappt. Die Botschaft ist angekommen." Auch wenn nicht ganz klar ist, bei wem.

Es gäbe noch mancherlei aus Leipzig zu berichten, vom vorsichtigen Optimismus der Verleger und der Hoffnung, dass die Krise des Buches doch nicht so schlimm ist wie befürchtet. Von den Osteuropäern, die in Leipzig immer stark vertreten sind, aber mit Tschechien als Gastland besonders viele Autoren geschickt hatten, darunter Jaroslav Rudiš ("Winterbergs letzte Reise"). Im Café Europa kündigte er seinen nächsten Roman an. Er spielt in einem Bahnhof im Erzgebirge und handelt davon, dass ein Gruppe Tschechen den Anschluss Sachsens plant. So soll der Roman dann auch heißen: "Anschluss". Die Demokratie in Europa ist bedroht, hieß es oft und sorgenvoll auf den lichtdurchfluteten, vielbesuchten Premiumplätzen der Messe. Nun, in dieser abgelegenen Ecke von Halle drei war sie es nicht.

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Quelle:
SZ vom 25.03.2019
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