Leipziger Buchmesse 2018:Drinnen der Geist, draußen die Hooligans

Buchmesse Leipzig 2018

Kulturveranstaltung mit Polizei – wer zwischen den Fronten stand, riskierte sein Gehör.

(Foto: Sebastian Willnow/dpa)

Zu Ausschreitungen ist es 2018 zwar nicht gekommen. Trotzdem zogen die rechten Verlage auf der Leipziger Buchmesse dieses Mal wieder viel Aufmerksamkeit auf sich.

Von Gustav Seibt, Leipzig

Nein, auf der Leipziger Buchmesse wurde nicht nur über die Debatte zwischen Durs Grünbein und Uwe Tellkamp geredet oder über "rechte Verlage", die in einer Ecke der Halle 3 ihren Platz gefunden hatten. So konnte Hans Pleschinski seinen Roman "Wiesenstein" vorstellen, das Epos über den Dichter Gerhart Hauptmann beim deutschen Untergang von 1945. Das Buch enthält einen Abgesang auf das zerstörte Dresden und das für immer verlorene Schlesien, Trauer über Verluste, aber ohne Revisionismus, eine Geschichte der Irrtümer und Leiden.

Wolfgang Eilenberger diskutierte über seine "Zeit der Zauberer", die Großreportage zur deutschsprachigen Philosophie der Zwanzigerjahre, ausgespannt zwischen den vier Denkern Martin Heidegger, Ludwig Wittgenstein, Ernst Cassirer und Walter Benjamin - eine Titanenepoche des Geistes mit weltweiten Wirkungen bis heute, ein Ruhmesblatt des deutschen Geistes. Drei der Denker sind jüdischer Abstammung, der vierte war Antisemit: Schon die Aufzählung macht die deutsche Selbstverletzung bewusst, die 1945 ihren Abschluss fand.

Auch Schaulust war es, die die Zuschauer anzog

Und selbstverständlich war auch Helmuth Lethen präsent, mit seinen vier preußischen Staatsräten, darunter Carl Schmitt und Gustaf Gründgens, die er in fiktive Gespräche im Schatten der nationalsozialistischen Diktatur verwickelt - auch das eine jener Konstellationen von schuldflackernder Interessantheit, mit denen Deutschland im 20. Jahrhundert die Welt in seinen Bann schlug.

In solchen Nachbarschaften sind die Debatten der Rechten über den "Verlust des Eigenen", über "Schuldkult" und "Nationalmasochismus" ein bisschen komisch - in welchem Land leben sie eigentlich? Ja, natürlich sollen sie auf die Messe kommen und dort ihre Traktätchen und Nachdrucke auslegen dürfen, zu Fragen, die längst geklärt sind oder anderswo kenntnisreicher erörtert werden.

Im Moment bewirtschaftet vor allem der Antaios-Verlag von Götz Kubitschek ein Aufmerksamkeitskapital, das so gut wie ausschließlich aus der Frage stammt, wie man mit ihm umgehen solle, kaum hingegen aus der eigenen Produktion. Zu einer Podiumsdiskussion am Samstagvormittag über die Frage, wie man über Rechte schreiben solle, stießen Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza und beschwerten sich lautstark aus dem Publikum heraus, dass man nicht "auf Augenhöhe" mit ihnen rede. Am frühen Nachmittag griff ein weiteres Podium zu "Meinungsfreiheit als Kampfbegriff" den Vorstoß auf. Dort sagte Florian Kessler, Lektor des Hanser-Verlags, niemand sei verpflichtet, mit Rechten zu reden, zumal wenn er zu denen gehöre, die von diesen bedroht würden.

Nun, das hat auch niemand behauptet. Und doch finden solche Gespräche statt, am besten, wenn sie nicht geplant sind. So konnte am Freitagmittag ein wachsender Kreis gebannt lauschender Zuhörer einer Diskussion zwischen dem syrischen Blogger Abdul Abbasi und Marc Dassen, einem Redakteur der Zeitschrift Compact, folgen. Niemand hatte diesen Zusammenstoß geplant, er fand im Stehen vor dem Compact-Stand statt. Abbasi kritisierte einen Titel der Zeitschrift, der den Islam als "Gefahr für Deutschland" bezeichnete: Warum man nicht wenigstens "Islamismus" statt "Islam" getitelt hätte? Dassen wich aus, berief sich aufs Recht der Journalisten zuzuspitzen. Die Runde der Zuhörer war ähnlich geteilt, zugleich ähnlich aufmerksam wie bei der Grünbein-Tellkamp-Debatte. Die hier wiederaufgeführte Ursituation des Sprechens wäre schöner gewesen, hätten nicht grimmige Polizisten und drohend blickende Security-Leute von Compact sie flankiert.

Würden Antifa und Rechte handgemein werden?

Ja, "Meinungsfreiheit" ist ein Kampfbegriff geworden, vor allem auf der Rechten. In der Menge, die sich am Samstagsnachmittag vor dem Veranstaltungsort des Antaios-Verlags staute, wo ein neues Heft der Zeitschrift Sezession vorgestellt wurde, sah man ein T-Shirt mit dem Zitat "Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire", samt der Quelle, "Don Carlos" von Schiller. Würde es wieder Krawall geben? Würden Antifa und Rechte handgemein werden? Würde die Polizei räumen müssen? Auch Schaulust war es, die die Zuschauer anzog.

Die winzige "Leseinsel", in der sich der Termin abspielte, war keine offene Bühne, sondern ein von Stellwänden abgeschirmtes größeres Zimmer mit zwei Eingängen. Das erlaubte Kontrolle über das Publikum im Innenraum, der schon eine Dreiviertelstunde vor Beginn voll besetzt und mit Absperrungen gesichert war. Umso voller und lauter war es dafür draußen, in den Gängen um Antaios und Compact. Die Antifa spulte ihr Programm von "Widerstand" mit Lautsprechern, Sprechchören und bedruckten Papierschnipseln ab ("Sexistische Hetze? Dafür stehen wir mit unserem Namen. Ihre ,Sezession'"). Doch auch die Rechten wurden laut und brüllten rhythmisch: "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!", "Abschieben, abschieben".

An den Eingängen zur Leseinsel kamen sich die verfeindeten Gruppen bedrohlich nahe, und wer an dieser Stelle genau zwischen den Fronten stand, riskierte sein Gehör. An einem der beiden Eingänge kam es zu einer Rangelei, worauf die Polizei den davor liegenden Gang absperrte. Minutenlang sah es so aus, als könne sich aus den ineinanderverkeilten Parteien eine größere Schlägerei entwickeln. Von allen Seiten wurde gefilmt, mit Telefonen, vom Compact-Stand und der Leseinsel aus auch mit professionellen Kameras.

Dass es nicht zum großen Krach kam, lag vielleicht nur daran, dass sich die Menschen in diesem Moment im Outfit zu ähnlich waren, um sofort identifiziert zu werden, und womöglich auch an der Präsenz eines älteren Wutbürgertums, das wild herumschimpfend zwischen jugendlichen Aktivisten stand. Mitten im Gewühl zog dann noch eine Gruppe von Antaios mit edel bedruckten Schildern, dabei stumm ums Karree, und diese Stummheit sollte wohl noch vorwurfsvoller wirken als die Sätze auf den Schildern ("Wer schreit, hat Unrecht").

Und so waren Raumstruktur und Inszenierung denkbar vorteilhaft für den Antaios-Verlag. Im gesicherten Zimmer der Leseinsel konnte fast störungsfrei eine gedämpfte Diskussionsveranstaltung abgespult werden, mit dem schönen Anschein der Bürgerlichkeit. Draußen tobte ein Brüllaufruhr, der kurz davor war, zur Saalschlacht zu eskalieren. Diesmal brüllten auch die Rechten, viele provozierten ihre Nebenmenschen gezielt, die düster gekleidete Security von Compact tat das Ihrige, um den Moment unbehaglich werden zu lassen. Auch die Polizei, in Sachsen weit entfernt von der Berliner Geschmeidigkeit bei Massenaufläufen, war gereizt und schnauzte Journalisten an: "Hammse jetzt Ihre Story?"

Aber ohne die tätige Mitwirkung der Antifa hätte die Szenerie ihre scheinhafte Deutlichkeit - drinnen der Geist, draußen die Hooligans - nicht entfalten können. Kubitschek könnte sich spätestens hinterher ein behagliches Hörnchen Met gegönnt haben.

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