Leipziger Buchmesse:Das sind die Romane des Frühjahrs

Mit dabei: ein Gesellschaftsroman über das 21. Jahrhundert, eine autobiografische Erzählung über Mutterschaft und eine Charakterstudie Berlins. Lese-Tipps zur Buchmesse.

Aus der SZ-Literaturredaktion

Sheila Heti: Mutterschaft

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(Foto: Rowohlt)

Die amerikanische Autorin Sheila Heti ist bekannt dafür, in ihren Essays gängige Wünsche zu zerlegen. Ihr neuer autobiografisch inspirierter Roman "Mutterschaft" ist so etwas wie das Tagebuch einer Frau, die 36 Jahre alt ist und sich fragt, ob sie wirklich kein Kind will. Im Gespräch mit der SZ hat Heti erklärt, warum es in "Mutterschaft" auch viel um die eigene Abstammung geht: "Wenn man über sich selbst als potenzielle Mutter nachdenkt, kommt einem die eigene Abstammung in den Sinn. Du bist ja nur in der Lage, ein Kind zu bekommen, weil eine Frau das für dich getan hat. Und eine andere für sie. Beim Gedanken, diese Reihe enden zu lassen, geht der Blick in die Vergangenheit, in der eigenen Zukunft ist es aber vielleicht eine Erleichterung, kein Kind bekommen zu haben." Ein ausführliches Interview mit Sheila Heti von Anne Backhaus lesen Sie hier mit SZ Plus.

Alan Hollinghurst: Die Sparsholt-Affäre

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(Foto: dorie)

Alan Hollinghursts neuer Roman beginnt mit einer geheimen homoerotischen College-Affäre im Oxford des Jahres 1940 und endet 2012 mit dem sich Wiederverlieben eines 60-jährigen Mannes, der vor Kurzem seinen langjährigen Ehepartner zu Grabe getragen hat. Was sich in diesen 70 Jahren gesellschaftlich verändert hat, ist so grundstürzend, es verlief so schnell wie noch nie in vergleichbar kurzen Zeiträumen der menschlichen Geschichte. Längst wird Hollinghurst von der Kritik als bester englischsprachiger Stilist unserer Epoche gefeiert. Und es fällt tatsächlich schwer, einen zweiten lebenden Autor zu nennen, der das langsame Altern, das mählich-unaufhaltsame seelische und körperliche Vorrücken in der Zeit, subtiler schildern könnte. Damit wir wissen, was wir erlebt haben, werden Romane geschrieben, sagte Milan Kundera vor einem Vierteljahrhundert. Die "Sparsholt-Affäre" ist so ein Buch. Eine ausführliche Rezension von Gustav Seibt lesen Sie hier mit SZ Plus.

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(Foto: N/A)

Fünf Jahre vor Han Kangs internationalem Bestseller "Die Vegetarierin" und schon zwölf Jahre vor dem großen Roman "Menschenwerk" erschien 2002 in Südkorea der Roman "Deine kalten Hände", den man nun in der deutschen Übersetzung lesen kann. Die Anlage des Romans ist klassisch, es handelt sich um einen doppelten Künstlerroman: Die Rahmenerzählung wird von einer Schriftstellerin bestritten, die vom Werk eines Bildhauers fasziniert ist. Bemerkenswert ist, mit welcher Konsequenz in diesem frühen Roman schon Han Kangs Themen durchdekliniert werden und wie hartnäckig sie sich dem Versuch widmet, Körper zu beschreiben: in ihrer Materialität, ihrer Empfindsamkeit und ihrer metaphorischen Bedeutung. Eine ausführliche Rezension von Insa Wilke lesen Sie hier.

Juan S. Guse: Miami Punk

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(Foto: N/A)

Juan S. Guse macht in "Miami Punk" mit dem Computerspiel ungefähr das, was David Foster Wallaces "Unendlicher Spaß" mit der Tennisakademie gemacht hat: Er verwandelt einen Gegenstand, der 2000 Jahre lang in der Literatur nicht nennenswert beschrieben wurde, in ein Motiv, das dereinst aus der Literatur nicht mehr wegzudenken gewesen sein wird. In erster Linie ist "Miami Punk" ein Gesellschaftsroman über das 21. Jahrhundert, und er erzählt von einer Gesellschaft, die so trostlos ist, dass den Figuren gar nichts anderes übrig bleibt, als in digitale Räume zu flüchten. Eine ausführliche Rezension von Felix Stephan lesen Sie hier.

Saša Stanišić: Herkunft

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(Foto: N/A)

Anders als in früheren Büchern erzählt Saša Stanišić in "Herkunft" als er selbst, von Vorfahren, Eltern, Freunden und von Jugoslawien, dem Land, das es nicht mehr gibt. Vor allem ist dieses Buch aber ein großer, wehmütiger Abschied von seiner Großmutter in Višegrad. "Herkunft" ist ein Buch über Menschen, die er liebt. Und damit der hervorragende Fall einer autobiografischen Erzählung, die nicht um sich selbst kreist. Die Antworten auf die W-Fragen, das Woher, Wie und Wann des Lebens, sucht er bei anderen, seine Empathie ist fein, selbst in Seitenblicken. Ein Porträt über Saša Stanišić von Marie Schmidt lesen Sie hier mit SZ Plus.

Feridun Zaimoglu: Die Geschichte der Frau

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(Foto: Kiepenheuer & Witsch)

Ein Mann schreibt die Weltgeschichte neu, aus weiblicher Perspektive. Mit "Die Geschichte der Frau" will der sprachgewaltige Dichter Feridun Zaimoglu die "Lügen" großer Männer tilgen. Nach dem Motto: "Es spricht die Frau." Zwar befürwortet er in seinem Buch die Abschaffung des männlichen Künstleregos, bleibt als Autor selbst aber sehr präsent. Sein heftiger Formwille ist deutlich spürbar. Mit einem sehr männlichen Stil der Sprachbeherrschung, Sinnkontrolle und Kraftausdrücke verstrickt Zaimoglu sich dabei gewollt in Selbstwidersprüche. Abschließend merkt er mit Mut zur Selbstironie an: "Nur das besungene Weib wird unsterblich." Eine ausführliche Rezension von Marie Schmidt lesen Sie hier.

Matthias Nawrat: Der traurige Gast

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(Foto: dpa)

Matthias Nawrats jüngster Roman ist der Krise abgelauscht. Einer Krise des Schreibens, begriffen wenn nicht als Symptom, dann doch als in Verbindung stehend mit einer fundamentalen Leerstelle im Leben der Menschen. "Der traurige Gast" - das ist zunächst der Erzähler selbst. In den Monaten vor und nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin streift er, offenbar unfähig, zu schreiben, durch die Stadt, lernt Menschen aus verschiedenen, einander kaum berührenden Milieus kennen, besucht sie und hört ihnen zu. Trotz langatmiger Stellen ist der Roman ein Beispiel integeren Erzählens, das den spezifischen Charakter Berlins einfängt. Eine ausführliche Rezension von Juliane Liebert lesen Sie hier.

Kenah Cusanit: Babel

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(Foto: dpa)

In ihrem Debüt "Babel" zeigt Kenah Cusanit, wie der Forscher Robert Koldewey im 19. Jahrhundert Kulturgüter ausgrub, die heute in unseren Museen stehen. Die Essayistin und Lyrikerin will nicht nur freilegen, sondern auch deuten und kommentieren, was in Tausenden von Jahren zwischen Ost und West an verwandten Ideen in Technik, Architektur, Medizin und auch Lebenskunst verschüttgegangen ist. An diesem doppelten Anspruch überhebt sich der Roman. Trotz faszinierender kulturgeschichtlicher Einzelfunde wird "Babel" zum Lehrstück für poetische Privatgeschichtsschreibung. Eine ausführliche Rezension von Thomas Jordan lesen Sie hier.

Angela Lehner: Vater unser

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(Foto: N/A)

Angela Lehners Debüt ist eine fiktive Geschichte der Leerstellen und falschen Sicherheiten, eine ironisch getönte Milieustudie im psychiatrischen Klinikalltag. Abgesehen von einem unmotiviert ausführlichen Monolog über die entartete Sexualität der Gegenwart, liefert das spröde Kommunikationsverhalten der Protagonistin Eva Gruber eine erfrischende Persiflage therapeutischer Konventionen. Im zweiten Teil ändert sich der Ton zusehends, die Rückblicke aus dem Präsens der Erzählgegenwart in das Imperfekt einer Kärntner Kindheit häufen sich, der geliebte Bruder rückt in den Mittelpunkt. Im dritten Teil bricht die Erzählung aus der geschlossenen Anstalt in ein Roadmovie aus, das der Rettung des Bruders gilt, aber jedenfalls die psychotische Realitätstrübung der Erzählerin bloßlegt. Der Leser bleibt mit den eigenen Sinnestäuschungen zurück, ein bisschen verstört, ein bisschen ratlos und ziemlich beeindruckt. Eine ausführliche Rezension von Daniela Strigl lesen Sie hier mit SZ Plus.

Isabelle Lehn: Frühlingserwachen

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(Foto: S. Fischer)

Die Ich-Erzählerin in Isabelle Lehns Roman "Frühlingserwachen" heißt Isabelle Lehn und wünscht sich ein Kind. Vielleicht wünscht sie sich auch keins, so genau weiß sie das nicht. Was sie allerdings ahnt, ist, dass sie den Rest ihres Lebens danach gefragt werden wird: Haben Sie Kinder? Wollten Sie keine? Oder konnten Sie keine bekommen? "Frühlingserwachen" ist in kurze Abschnitte unterteilt und folgt eher dem Lauf der Jahreszeiten als einer linearen Chronologie. Es ist ein Auf und Ab, ein Wiederholen und Überdenken, ein Neubeginnen und Verwerfen. Lehns Roman ist weniger paradigmatisch, sondern bringt Leichtigkeit und Witz ins Thema. Eine ausführliche Rezension von Meike Feßmann lesen Sie hier.

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