Leipziger Buchmesse:Das sind die Bücher des Frühjahrs

Zum Auftakt der Buchmesse: Ein Epochenroman für das Internetzeitalter, eine Geistergeschichte über die verblichene Sowjetunion und Neues vom Großstadt-Guru aus Paris.

Aus der SZ-Literaturredaktion

10 Bilder

Josefine Rieks Serverland Literatur

Quelle: Hanser

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Josefine Rieks: Serverland

Was würde mit unserem biografischen Gedächtnis geschehen, wenn unsere persönlichen Archive, die wir vertrauensvoll auf Server auslagern, eines Tages einfach nicht mehr zugänglich wären? Wie würde es sich anfühlen, wenn all die Fotos, Nachrichten, Musik- und Video-Dateien, die wir für unseren persönlichen Besitz halten, nicht mehr abrufbar sind?

"Serverland" spielt nach dem Ende der "Computerkultur": Es gab ein Referendum, das zu der Entscheidung führte, das Internet abzustellen. Josefine Rieks inszeniert auf überschaubarem Spielfeld die Praktiken, Mythen, Hoffnungen und Probleme, die sich in den letzten Jahrzehnten aus der Digitalisierung entwickelt haben. Ihr Roman gehört damit zu jener spannenden neuen deutschen Literatur, in der die Generation der Digital Natives ihre Erfahrungen erkundet, indem sie Technikgeschichte imaginiert. Ein Roman von klugem Understatement, kühl unterspielt und prägnant erdacht.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Meike Fessmann.

Literaturdienst - ´Munin oder Chaos im Kopf"

Quelle: dpa

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Monika Maron: Munin oder Chaos im Kopf

Es sind Tiere im Werk der Monika Maron, die für Augenblicke der Erlösung sorgen. Ein Verschmelzen mit dem anderen, das die eigene Isoliertheit aufhebt, die reflexive Distanz zur Welt. Wie auf der Volkstheaterbühne spiegelt die Wohnstraße der Erzählerin gesellschaftliche Konfliktlinien wider, grob vereinfachend, aber wirkungsvoll inszeniert. Hinzu kommen das Grauen auf den Schlachtfeldern des dreißigjährigen Krieges und die historisch tiefe Welt der Rabenvögel, die dieses wie jedes geschichtliche Ereignis des Menschengeschlechts seit jeher begleiten.

Kiezkolorit, erzählte Gegenwart und witzige Wendungen der Handlung behaupten sich in "Munin oder Chaos im Kopf" gegen alle düstere Metaphysik und historische Anthropologie. Gute, kräftige, zum Allegorischen tendierende Literatur aus den Trümmern der gängigen Ideologien und Verblendungen.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Hubert Winkels mit SZ Plus.

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Quelle: Matthes & Seitz Berlin

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Matthias Senkel: Dunkle Zahlen

In seinem zweiten Roman "Dunkle Zahlen" erzählt Matthias Senkel von der Computerwelt der späten Sowjetunion. Das Schlüsselmodul, das dabei in die Romanwelt hineinführt, ist die fiktive internationale Spartakiade junger Programmierer, die 1981 erstmals nach dem Vorbild der Leichtathletik- und der Schachwettbewerbe stattfand.

Senkel taucht in seinem Roman nicht nur tief in die Welt der elektronischen Datenverarbeitung ein, sondern zugleich und vor allem in die Innenwelten der russischen Literatur von Puschkin und Gogol bis zu Viktor Pelewin und Vladimir Sorokin. "Dunkle Zahlen" ist ein Roman, der aussieht wie eine Rechenmaschine - und doch erzählt er in Wahrheit eine Geistergeschichte über die verblichene Sowjetunion. Matthias Senkels neues Werk gehört damit zu den witzigsten, einfallsreichsten und übermütigsten Experimenten der deutschen Gegenwartsliteratur.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Lothar Müller mit SZ Plus.

Esther Kinsky Hain Geländeroman Literatur

Quelle: Suhrkamp

4 / 10

Esther Kinsky: Hain

"Geländeroman" hat Esther Kinsky die Gattung ihres neuen Buchs mit dem Titel "Hain" genannt. Gelände ist unterdeterminierte Landschaft. Durch solche Gegend reist die Erzählerin, deren Mann kürzlich gestorben ist, allein. Nichts ist spektakulär, alles firmiert an der Grenze zum Unsichtbaren, zum Nichtsein, zur Nicht-Erscheinung. "Hain" ist eine italienische Friedhofsbereisung durch und durch, bis in die Gräberstädte der Etrusker hinein, bis in die leisen Tonfälle der Beschreibung, bis zur Selbstzurücknahme des behauptenden Charakters der Worte selbst. Langsam, fast schwerflüssig ist die Bewegung im Roman, doch äußerst beweglich die Sprache, die diese Bewegungen erzeugt. Ein Roman, der jede Geste der Größe, erst recht das Superlativische meidet. Der selbst verschwinden möchte in jenem Untergrund der Toten und sich seiner poetisch setzenden Kraft doch sehr bewusst ist.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Hubert Winkels.

Clemens Setz Bot Gespräch ohne Autor Literatur

Quelle: Suhrkamp

5 / 10

Clemens J. Setz: Bot. Gespräch ohne Autor

Jeder Nachlass zu Lebzeiten ist ein Selbstporträt des Autors. Clemens Setz' neuer Roman ist ein Doppelbildnis. Im Vordergrund des Romans, der suggeriert, dass das Schreiben algorithmisch gesteuert wird und ein Computerprogramm an die Stelle des abwesenden Autors tritt, steht der nervöse Nerd, der Computerspieler und Internetnomade. Hinter ihm zeichnet sich sein Zwilling ab, ein Autor, dessen Sprachgefühl, Fantasie und Sprachreichtum aus seiner innigen Verbindung mit dem Elementaren, der physischen Existenz, dem Kreatürlichen erwächst.

"Bot. Gespräch ohne Autor" enthält viel Exzentrisches, Bizarres, Apartes. Vor allem aber die Stellen, die sich den einfachen, lange bekannten oder unspektakulären Dingen und ästhetischen Formen widmen, zeichnen diesen neuen Roman von Clemens Setz aus.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Lothar Müller.

Haruki Murakami Die Ermordung des Commendatore Dumont Verlag

Quelle: Dumont Verlag

6 / 10

Haruki Murakami: Die Ermordung des Commendatore

Der Maler in Haruki Murakamis Roman hat keinen Namen. Von seiner Frau verlassen, zieht er sich in ein einsames Berghäuschen zurück. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit Kunstunterricht in der Volkshochschule, bis eines Tages ein älterer Herr auftaucht. Der bietet dem Maler einen unvernünftig hohen Preis, wenn er von seinem Vorsatz, nie wieder Porträts anzufertigen, abrückt und ihn malt.

Murakamis Buch stellt den Auftakt einer Trilogie dar. Trotz der für Murakami typischen klaren und schlichten Sprache spürt der Leser, dass diese gut aufgeräumte Oberfläche, die an einen Zen-Garten erinnert, Geheimnisse birgt. Das größte und offensichtlichste liegt dabei in der Figur des Ich-Erzählers. Der findet auf dem Dachboden ein jahrelang unberührtes Paket, darin ein Gemälde, das dem Roman den Titel gibt: die Ermordung des Commendatore. Und dieses Bild wird seine Kunst grundlegend ändern.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Burkhard Müller.

Serhij Zhadan Internat Literatur

Quelle: SZ

7 / 10

Serhij Zhadan: Internat

Pascha, ukrainischer Sprachlehrer und Protagonist in Serhij Zhadans Roman, entwickelt seine innere Haltung erst im Krieg im Donbass. Er tröstet verzweifelte Frauen, verteidigt gepeinigte Zivilisten vor sadistischen Soldaten und könnte von sich selbst überraschter kaum sein. Mit seinem Neffen zieht er durch eine Welt nach der Zivilisation. Es ist verlockend, "Internat" als Beitrag zum ukrainischen nation building zu verstehen, als Durchhalteliteratur für den ukrainischen Patrioten. Krieg als Charakterschule. Andererseits haben die Ukrainer - und Pascha - keine andere Wahl. Sie können sich diesem Krieg nicht entziehen. Und so ist der Krieg in Zhadans Roman keine Charakterschule, sondern eine Charakterprüfung, der sich, ob sie wollen oder nicht, sämtliche Beteiligte zu unterziehen haben.

Serhij Zhadan, in der Ukraine ein Superstar, lebt im Donbass und schreibt auf Ukrainisch, obwohl in der Region überwiegend Russisch gesprochen und gelesen wird. Und weil der Krieg im Donbass das Russische und das Ukrainische zu Gegnern erklärt hat, gibt man im Grunde schon ein Bekenntnis ab, sobald man nur den Mund aufmacht.

Lesen Sie hier die ausführliche Kritik von Felix Stephan mit SZ Plus.

Despentes Das Leben des Vernon Subutex 2 Literatur

Quelle: Kiepenheuer &Witsch

8 / 10

Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex 2

Vernon Subutex ist zurück. Aus der Geschichte des Plattenverkäufers, der reihum bei seinen Freunden unterschlüpft, machte Virginie Despentes im ersten Band einen Riesenroman über die kollektive Depression der französischen Gesellschaft. Nun vertieft sie im zweiten Band der Trilogie die Geschichte über den famosen Subutex, der zu einer Art Idol wird, es geht um Szenen und Subszenen, die plurale Stadtgesellschaft mit ihren komplexen Figuren und Anspannungen. Fragt sich, ob der Großstadt-Guru im dritten Teil untergeht. Oder erlöst wird.

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Quelle: Schöffling

9 / 10

Joshua Cohen: Buch der Zahlen

Joshua Cohens "Buch der Zahlen" ist der Epochenroman für das Internetzeitalter, eine Chronik, die alles zumindest anreißt und in dem sich das Denken seiner Zeit spiegelt. Es geht um zwei Männer, die beide, wie der Autor, Joshua Cohen heißen. Ein halb gescheiterter Schriftsteller aus New York wird als Ghostwriter angeheuert für den anderen Joshua Cohen, der eine Art Steve Jobs in der Welt dieses Romans ist. Diese zwei Cohens sind die beiden Zustände des Romans: digital gegen analog, reich gegen arm, Westküste gegen Ostküste. 0 und 1, wie in der Binärsprache der Computer. Der Roman lässt offen, wo die Grenze zwischen gesunder Skepsis und Paranoia, zwischen dem kritischem Lesen, das im Internet unbedingt nötig ist, und blindem Glauben verläuft. Jedenfalls hat Cohen mit seinem Roman eine Bresche ins Internet geschlagen.

Lesen Sie hier eine ausführliche Rezension von Nicolas Freund.

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Quelle: SZ

10 / 10

Anja Kampmann: "Wie hoch die Wasser steigen"

Das Besondere an diesem Buch ist, dass es zugleich unbedingt im Heute und in einer nicht genau zu umreißenden, fernen Zeitlosigkeit spielt. Und es ist die Sprache, die aus hoch technisierten Abläufen auf Ölbohrplattformen im offenen Meer und einer archaischen Existenz im Gebirge dieselben poetischen Funken schlagen kann.

Im Zentrum steht der 52-jährige Waclaw, aus dessen Biografie immer wieder Bruchstücke auftauchen - das Aufwachsen in einer Zechensiedlung in Bottrop, das Leben mit Milena in Wiórek, die erste Anwerbung als Bohrarbeiter. Als Lebensgefühl bleibt nach der Lektüre des Romans zurück, dass die alte Vorstellung der Insel, als sicheres Rückzugsgebiet und Möglichkeit des Abseits, jetzt die Formen einer künstlichen Bohrinsel angenommen hat. Man schmeckt in diesem Roman die Gegenwart.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Helmut Böttiger.

Die Leipziger Buchmesse findet von 15. bis 18. März statt. Alle wichtigen Infos finden Sie hier.

© SZ.de/frw/cag/doer/rus
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