Im Bundeskabinett ist es leicht, auf Abstand zu gehen. Auf der Leipziger Buchmesse nicht. Die Besucherströme in den Messehallen, die kostümierten Jugendlichen der Manga-Comic-Con, das dicht gedrängte Publikum beim Lesefest in der Stadt sind ihr Markenzeichen. 2500 Aussteller und 280 000 Besucher wurden in diesem Jahr erwartet. Der wichtigste Grund dafür, dass die Buchmesse, die in diesem Jahr vom 12. bis 15. März hätte stattfinden sollen, nun abgesagt wurde, war so logisch als Präventionsmaßnahme gegen das Coronavirus wie unerfüllbar für die Veranstalter. Jeder Messeteilnehmer hätte schriftlich belegen müssen, "nicht aus definierten Risikogebieten zu stammen oder Kontakt zu Personen aus Risikogebieten gehabt zu haben". Es ist eine allgemeine Regel. Sie trifft die Leipziger Buchmesse, die Stadt Leipzig und die Buchbranche hart.
Die Leipziger Buchmesse lebt nicht vom Handel mit Lizenzen, sie ist das größte Literaturfestival der Bundesrepublik. Sie hat als Messe die Jahre nach 1989/90 überlebt, weil sie auf die physische Präsenz, auf das performative Potenzial der Literatur gesetzt hat, auf dem Messegelände, in der Stadt. Bei der Eröffnungsfeier im Gewandhaus hätte am kommenden Mittwoch der ungarische Schriftsteller László Földényi den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung erhalten, und man darf sicher sein, dass er, der es derzeit nicht leicht hat in seiner Heimat, in seiner Dankesrede etwas über das gegenwärtige Europa zu sagen gehabt hätte.
Der Preis der Leipziger Buchmesse wird vergeben werden, aber den Autoren in den Sparten Belletristik, Sachbuch und Übersetzung wird das große Publikum in der Glashalle fehlen. Und das Stimmengewirr, in das sie nicht erst eingesponnen werden, wenn die Entscheidungen gefallen sind. Die Stimmen aus Tschechien, die ein "starkes Echo" auf ihren Auftritt als Gastland 2019 versprochen hatten, werden stumm bleiben, ebenso die Stimmen aus Südosteuropa, die zum Schwerpunktthema 2020, "Herkunft und Zugehörigkeit", hätten gehört werden wollen.
Die Lieferketten sind nicht unterbrochen, die Bücher, die in Leipzig ihren Auftritt gehabt hätten, liegen auch in den Buchhandlungen. Man kann sie mit nach Hause nehmen. Auch dort gibt es Wein. Die Leipziger Buchmesse aber ist Auerbachs Keller, sie verwandelt Bücher in Literatur live, Ausschank und Gasthaus ist sie näher als dem einsamen Leser, Geist ohne Körper gibt es hier nicht. Schade, dass sie eben deshalb abgesagt werden musste.