Kunstwerk von Martin Kippenberger:Das Labyrinth

Kunstwerk von Martin Kippenberger: Eingang zu Martin Kippenbergers fiktivem U-Bahn-Netz "Metro-Net" in Leipzig, eine der letzten Skulpturen, die der Künstler hinterlassen hat.

Eingang zu Martin Kippenbergers fiktivem U-Bahn-Netz "Metro-Net" in Leipzig, eine der letzten Skulpturen, die der Künstler hinterlassen hat.

(Foto: Albrecht Fuchs, Köln)

Vor einem Vierteljahrhundert wurde in Leipzig ein Eingang für ein imaginäres U-Bahn-Netz errichtet. Jetzt wird die abenteuerliche Geschichte erstmals rekonstruiert.

Von Kito Nedo

Offiziell gibt es in New York 472 U-Bahnstationen. Doch eine bestimmte Station wird nie dazu gezählt. Sie ist imaginär, doch ihr Eingang, ganz aus poliertem Aluminium, befindet sich seit 2007 in der Sammlung des Museum of Modern Art.

Ursprünglich wurde "METRO-Net Transportabler U-Bahn-Eingang (gequetscht)" im Jahr 1997 für eine Ausstellung in der New Yorker Galerie Metro Pictures produziert. Das drei Meter hohe und acht Meter breite Objekt ist eine der letzten großen Skulpturen, die Martin Kippenberger der Nachwelt hinterlassen hat. Der Künstler starb im März 1997 mit nur 44 Jahren in Wien. Der transportable U-Bahn-Eingang in New York war Teil einer großangelegten und verschlungenen künstlerischen Erzählung, die nun erstmals in einer Ausstellung im Leipziger Museum der bildenden Künste (MdBK) in ihren Verästelungen nachgezeichnet wird.

Drei Jahre hat der Leipziger Kurator Marcus Andrew Hurttig zu Martin Kippenbergers Metro-Net-Projekt recherchiert und viel Material zusammengetragen. Anhand von Zeichnungen, Plakaten, Fotografien, technischen Entwürfen und Modellen wird deutlich, wie Kippenberger aus einer eigentümlichen Idee seine komische und verwirrende Kunst entwickelte. Vielleicht war das Ding mit dem fiktiven U-Bahnnetz aber auch sehr zeitgenössisch, denn in den frühen Neunzigern wurde das Internet gerade populär. "Kippenberger", so formulierte das der Kippenberger-Kenner Diedrich Diederichsen einmal vor vielen Jahren, "konnte an keinem Keyword der Zeit vorbeigehen, ohne es für seine Zwecke umzudrehen: groß abgedrehte Konzeptkunst, sein Beitrag zur Verflüchtigung des Kunstobjekts durch ein weltweit verbreitetes Netz von Zugängen zu einem imaginären Untergrund."

Fiktiver Untergrund und eine Loge mit dem Motto "Sonne, Busen, Hammer"

Anschaulich wird in der Leipziger Ausstellung auch, wie der Künstler auf Schwierigkeiten mit großem Improvisationsgeschick reagierte. Die kreative Überwindung von Hindernissen im Produktionsprozess und situative Geschmeidigkeit waren entscheidend. Seinen Anfang nahm das Metro-Net-Projekt auf der griechischen Insel Syros, wo im Spätsommer 1992 auf dem Privatgrundstück des befreundeten Künstlerpaares Katerina und Michel Würthle die Bauarbeiten für den ersten U-Bahn-Eingang begannen. Im Sommer 1995 wurde dann in der kanadischen Goldgräberstadt Dawson City, wiederum auf einem Privatgrundstück, ein weiterer Zugang in einer Blockhütten-Ästhetik eingeweiht. In einem Punkt folgten alle folgenden Konstruktionen einem ähnlichen Muster: Der Künstler verschloss den Zugang zum vermeintlichen Untergrund stets mit einem Tor, welches das "Sonne, Busen, Hammer"-Signet der sogenannten Lord Jim Loge schmückte, eines geheimnistuerischen und männerbündlerischen Freundeskreises, dem er selbst angehörte.

Diese Kombination von öffentlichem Nahverkehr und Logen-Idee gehört zu jenen eingebauten Widersprüchen, die sich heute noch schwerer aufdröseln lassen als zu Martin Kippenbergers Lebzeiten. Für die Documenta X des Sommers 1997 plante Kippenberger schließlich eine schwimmende Metrostation in der Fulda. Doch die dafür notwendigen technischen Vorrichtungen drohten das Produktionsbudget zu sprengen. Der Künstler reagierte und plante daraufhin seinen Metroeingang für Kassel als eine "Drop-Sculpture", die auf einer Uferwiese abgelegt wurde.

Martin Kippenberger, 1991

Martin Kippenberger (1953-1997), hier im Jahr 1991.

(Foto: Brigitte Friedrich/SZ Photo)

Ähnlich entschied er im Fall eines zum "Metro-Net" zugehörigen "Transportablen Lüftungsschachts", der oberirdisch im selben Jahr bei den Skulptur-Projekten Münster gezeigt wurde. Parallel zu Münster und Kassel wurde in Leipzig im Mai 1997 auf dem Gelände des neu errichteten Messegeländes in der nördlichen Peripherie der Stadt schließlich ein weiterer und letzter fest installierter Metro-Net-Eingang posthum eingeweiht.

Wie Kippenbergers Metro in die "blühenden Landschaften" Ostdeutschlands führte

In Leipzig nun war das Metro-Net in ein größeres Kunst-am-Bau-Projekt eingebunden, das die drei Kuratorinnen Brigitte Oetker, Mechthild von Dannenberg und Christiane Schneider im Auftrag der Messegesellschaft in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre entwickelten. Für den bis heute öffentlich zugänglichen Skulpturenpark auf dem Messegelände in der Peripherie der Stadt wurden neben Kippenberger auch Fischli/Weiss, Isa Genzken, Rirkrit Tiravanija und Dan Graham beauftragt, Kunst zu liefern. Weil der Zustand der Bodenarbeit auf der Insel Syros ungewiss ist und der Eingang in Kanada nach 2009 demontiert wurde, ist in letzter Zeit der Druck auf Leipzig gewachsen, sich um die weltweit letzte Kippenberger-Station zu kümmern.

Als Museum hat sich die Leipziger Messe freilich nie selbst definiert, sondern als Arbeitsgelände und Handelsplatz. Doch der Kunstbestand, zu dem unter anderem architekturbezogene Werke von Günther Förg, Sol LeWitt, Niele Toroni, Angela Bulloch oder Olaf Nicolai gehören, ist mittlerweile selbst kunsthistorisch geworden. Die Grundidee des Kunstkonzepts ging seinerzeit von einer verstärkten Eingebundenheit der Kunst in gesellschaftliche Zusammenhänge aus. Will man diesen Anspruch lebendig erhalten, ist mehr Engagement in der Vermittlungsarbeit notwendig.

Kunstwerk von Martin Kippenberger: Das Signet "Sonne, Busen, Hammer" steht für den obskuren Männerbund "Lord Jim Loge".

Das Signet "Sonne, Busen, Hammer" steht für den obskuren Männerbund "Lord Jim Loge".

(Foto: Albrecht Fuchs, Köln)

Welche politische Dimensionen das neue, im April 1996 durch Roman Herzog feierlich eröffnete Leipziger Messegelände nach Plänen des Architekturbüros Gerkan, Marg und Partner (gmp) besaß, wird erst im Abstand von einem Vierteljahrhundert sichtbar. Kippenbergers "unsinniges Bauvorhaben" wurde plötzlich von einer politischen Großfiktion gerahmt. Mit einem Investitionsvolumen von 1,335 Milliarden D-Mark (ca. 683 Millionen Euro) war die Neue Messe Leipzig das große Prestigeprojekt im sogenannten "Aufbau Ost"-Programm und wurde von der Regierung Helmut Kohl maßgeblich gefördert, obwohl der ehemalige Ost-West-Handelsplatz mit dem Fall der Mauer seine Relevanz weitgehend verloren hatte. Ein anderes Narrativ war offensichtlich wichtiger. Den von Kohl Anfang der Neunziger anlässlich der Währungsunion versprochenen "blühenden Landschaften" wurde hier zu einer repräsentativen architektonischen Form verholfen.

Seit ein paar Jahren bemüht sich nun die CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat, den Platz vor der großen Glashalle der Neuen Messe mit der gigantischen Isa-Genzken-Rose nach Helmut Kohl zu benennen. Dass Martin Kippenberger seinen fiktiven U-Bahn-Eingang auf einer Wiese hinter der Halle neben einen nicht weniger fiktionalen Hubschrauberlandeplatz positionieren ließ, wirkt wie eine letzte und erstaunlich visionäre Volte dieses Künstlers.

Martin Kippenberger: Metro-Net. Museum für Bildende Künste, Leipzig. Bis 15. August. Der Katalog kostet 22 Euro. Zu dem Projekt gibt es auch einen Podcast.

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