"Leid und Herrlichkeit" in der SZ-Cinemathek:Erziehung eines Herzens

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Der Junge (Asier Flores) wird einmal ein berühmter Regisseur werden. Seine Eltern (Penélope Cruz und Raúl Arévalo) aber suchen hier erst einmal ein neues Heim. Szene aus Pedro Almodóvars Erinnerungsfilm "Leid und Herrlichkeit". (Foto: Studiocanal)

Von Schmerzen geplagt, schaut Pedro Almodóvar auf sein Leben zurück: "Leid und Herrlichkeit" ist sein bislang persönlichster Film - fast eine intime Autobiografie, am Ende aber doch ein strahlend überhöhtes Stück Kino.

Von Rainer Gansera

Frauen unter sich, im Universum vom Pedro Almodóvar ist das ein Glücksversprechen. Sind die Männer abwesend, dann wird - wir wissen es aus "Alles über meine Mutter" oder "Volver" - alles gut. Wie beim Wäschewaschen am Fluss, im ländlichen Spanien des Jahres 1953. Der vierjährige Salvador krabbelt auf seiner Mama (bezaubernd: Penélope Cruz) herum, die Frauen machen sich über die Mannsbilder lustig, und wenn sie die weißen Leintücher zum Bleichen über die hohen Gräser am Flussufer legen, sehen sie aus wie Engel mit Riesenflügeln. Eine Frau beginnt zu singen.

Bis zu diesem Augenblick erscheint die Szene wie ein hübsches Genrebild idyllischer Kindheitserinnerung, doch dann gewinnt der Gesang Energie und Leidenschaft, der Rhythmus ergreift den Körper der Sängerin, sie beginnt zu tanzen, der Funke springt über - und plötzlich blüht die Szene mächtig auf, sie erstrahlt.

In Pedro Almodóvars autobiografischer Extravaganz "Leid und Herrlichkeit", in der ein alternder Filmemacher auf sein Leben zurückblickt, geht es um diese Momente des Aufblühens, um die Steigerung der Erinnerungsbilder vom Schönen ins Festliche. Ohne exaltiertes Pathos, doch mit flirrender Intensität darf alles leuchten: die feinnervig gezeichneten Figuren, die Melodie einer Szene, die Farben, vor allem das Rot, das er in jedem Ambiente, kontrastierend zu Blau/Grün/Grau, zur Geltung bringt. Almodóvar dekliniert seine Lieblingsfarbe exzessiv, vom Purpur bis zum Pop-Rosa, und setzt damit auf der Leinwand der Erinnerung die Akzente der Leidenschaft.

Der Titel ist missverständlich, er liest sich wie einer jener berühmten Romantitel, die aus gegensätzlichen beziehungsweise komplementären Begriffen gebildet sind: "Stolz und Vorurteil", "Väter und Söhne", "Krieg und Frieden". "Leid und Herrlichkeit" aber bezeichnet keine Polarität des Schicksals im allgemeinen Sinn, sondern meint einen anderen, ganz konkreten Erfahrungskontrast. Der Filmemacher Salvador Mallo wird von vielerlei Krankheiten und Gebrechen geplagt, und wenn er seine Schmerzen betäubt, erinnert er sich im Dämmerschlaf an die glückhaften Momente seines Lebens.

Nachts schickt er Stoßgebete zum Himmel, tagsüber ist er lieber Atheist

Gleich zu Beginn verblüfft eine vergnügliche Animationssequenz, die Salvadors Gebrechen wie in einem medizinischen Lehrfilm vorführt. Der leicht angegraute Künstler leidet an Tinnitus, Migräne, Rückenschmerzen, heftigen Schluckbeschwerden, dazu kommen noch seelische Nöte wie Panikattacken - und vor allem das Gefühl, völlig nutzlos zu sein. Das Filmemachen ist für ihn, den erfolgreichen und renommierten Regisseur, das ganze Leben, aber in seinem bemitleidenswerten Zustand kann er nicht mal ansatzweise an neue Projekte denken. Er scherzt: "Wenn ich nachts von drei verschiedenen Schmerzen attackiert werde, dann schicke ich ein Stoßgebet zum Himmel. Spüre ich aber tagsüber nur einen Schmerz, dann bin ich Atheist!"

Antonio Banderas - berühmt geworden mit Almodóvars frühen Filmen wie "Das Gesetz der Begierde" oder "Fessle mich!" - spielt diesen schmerzgeplagten, zum Nichtstun verdammten Mann hinreißend entspannt - im klaren Bewusstsein, Almodóvars Alter Ego zu verkörpern. Er versucht aber nicht, den Meister und langjährigen Freund zu imitieren, sondern lässt sich von dessen gestischem Minimalismus leiten. Daraus ergibt sich ein schöner Kontrast zwischen der nüchternen, mit Ironie aufgelockerten Schilderung des Alltags und den prachtvoll ausgemalten Lebenserinnerungen.

Der Film ist Dichtung und Wahrheit zugleich, Spiegel und Zauberspiegel

Erinnerungen stehen im Verdacht, Vergangenheit zu verklären, für Almodóvar aber ist Erinnerung keine Frage von Schönfärberei oder Wirklichkeitstreue, sondern der Versuch, die existenziell prägenden Mächte zu vergegenwärtigen. Geboren 1949, war er im kulturellen Aufbruch nach der Franco-Ära Vorreiter des jungen spanischen Kinos, er provozierte mit Hommagen an Kitsch und B-Picture-Trash, mit dem offenen Bekenntnis zur Homosexualität, mit seinem ungenierten Mix aus religiösen Symbolen und den schrillen Ritualen der Movida-Subkultur. "Wenn ich das kitschige Herz-Jesu-Bild in 'Fessle mich!' an den Anfang stelle", verkündete er damals, "will ich nicht auf das kirchliche Ehesakrament hinweisen, sondern darauf, dass für mich die Vereinigung zweier Menschen von Natur aus zur sakralen Sphäre gehört!" Das also hat er von seiner religiösen Erziehung erhalten: den Sinn für sakrale Sphären, für das Unantastbare, für die verehrungswürdigen existenziellen Mächte, und das sind in seinen frühen Filmen Sex und Eros, in den späteren die fürsorglichen Muttergestalten.

Alle Filme Almodóvars sind autobiografisch inspiriert und in freier Poesie ausgemalt. Dichtung und Wahrheit, Spiegel und Zauberspiegel. In "Leid und Herrlichkeit" öffnen sich Türen zu besonders intimen Räumen. Das beginnt damit, dass Salvador in Almodóvars eigener Wohnung einquartiert wird: ein mit zahllosen Skulpturen und Gemälden ausstaffiertes Luxusappartement, das jemand einmal abschätzig ein "Museum" nennt.

Die Rückblenden spannen Salvadors Lebensbogen in vier Kapiteln auf, durchstreifen Kindheit und Jugend, erzählen von der großen Liebe, vom Filmemachen als Lebensrettung, und schildern besonders eindringlich das, was Almodóvars persönlichste Themen berührt: das Erwachen des Begehrens im Blick auf den männlichen Körper, und die liebevolle Verehrung der Mutter.

In ihrer Jugend erinnert Salvador sie als schöne Zauberin, die eine traurige Wohnungshöhle in eine märchenhafte Schatzkammer verwandeln kann. Die alte, krank darniederliegende Mutter gibt ihm genaueste Anweisungen für ihre Beerdigung: Sie will die himmlischen Gefilde barfuß betreten und einen ganz bestimmten Rosenkranz um ihre gefalteten Hände gelegt bekommen.

In Cannes feierte man den 22. Spielfilm Almodóvars zu Recht als sein bisher persönlichstes Werk. Antonio Banderas erhielt den Darstellerpreis. In Interviews erwähnt Almodóvar seine Angst vor einem Gemütszustand, der das Leben ausbleicht, der es nur mehr stumpf und farblos erscheinen lässt. Wie einen mächtigen Bannspruch gegen solche Ängste hat er seinen herrlich aufstrahlenden, intim berührenden, in die Melancholie des Lebensherbsts getauchten Bilderreigen von "Leid und Herrlichkeit" entfaltet.

Dolor y gloria , Spanien 2019 - Buch und Regie: Pedro Almodóvar. Kamera: José Luis Alcaine. Schnitt: Teresa Font. Musik: Alberto Iglesias. Ausstattung: Antxón Gómez. Mit: Antonio Banderas, Penélope Cruz, Asier Etxeandia, Leonardo Sbaraglia, Nora Navas, Julieta Serrano. Studiocanal, 113 Minuten.

© SZ vom 24.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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