Süddeutsche Zeitung

Lee Friedlander:"Sie ist ein freigebiges Medium, die Fotografie"

Der Meister des Zufälligen erhält den Hasselblad Preis.

Katharina Böhringer

Ein Maschendrahtzaun, der den Blick auf eine Palme verstellt, der Blick auf die New Yorker Skyline, welcher von den Armaturen eines Autos dominiert wird oder eine Angestellte, die durch die Trennwände des Großraumbüros kaum mehr ins Auge fällt - Lee Friedlander macht das Banale zum Besonderen.

Am Samstag wird Lee Friedlander mit dem Hasselblad Preis ausgezeichnet. Dieser ist mit knapp 54.000 Euro dotiert. Die Jury sieht den Foto-Künstler als den "bedeutendsten, originellsten und einflussreichsten Fotografen" seiner Zeit.

Dokumentarfotografie ermöglicht den Blick auf Dinge als hätte man sie mit eigenen Augen gesehen. Lee Friedlander bricht diese Fiktion bewusst. Seine Bilder sind voller "Fehler", die zu seinem Markenzeichen wurden. Ob er selbst mitsamt seiner Kamera Schatten wirft oder sich in Schaufenstern spiegelt, immer ironisiert Friedlander das Medium, mit dem er arbeitet.

Sein Stil wurde zur Gattung des "Social Landscape". Nicht Landschaftsbilder stehen hier im Zentrum der Arbeit, sondern der Mensch innerhalb seiner oft im Zuge der Zivilisation verschandelten Umgebung.

Die Themen dafür liegen sprichwörtlich auf der Straße: in öffentlichen Parks, auf Flaniermeilen oder an Flughäfen. Aber gerade da, wo der Mensch auf scheinbar unberührte Natur trifft, zeigt sich Friedlanders Handschrift. So geraten beispielsweise die Niagarafälle zur Nebensächlichkeit, weil sich das Haarnetz einer Touristin vor die Linse flicht.

Seine Blickwinkel, mal durch den Rückspiegel eines Autos, mal wie zufällig, machen stets eines deutlich: Es ist immer nur ein bewusst gewählter Ausschnitt der Realität, den wir sehen, nicht Realität selbst.

Gerade die Banalität des fotografierten Subjekts an sich, das Unspektakuläre wird bei Friedlander zum Kunstobjekt und offenbart durch seine Linse hindurch ein eindringliches Gesellschaftstableau.

Über eine seiner Fotographien sagt Friedländer 1996: "Ich wollte einfach nur Onkel Vern, wie er an einem klaren Tag neben seinem neuen Auto (einem Hudson) stand. Außerdem erwischte ich ein bisschen was von Tante Marys Wäsche und Beau Jack, den Hund, der an einen Zaun pinkelte, und eine Reihe Knollenbegonien in Töpfen auf der Veranda und achtundsiebzig Bäume und eine Million Kieselsteine in der Auffahrt und noch mehr. Sie ist ein freigebiges Medium, die Fotografie."

Noch bis zum 12. Februar sind rund 500 Fotografien von Lee Friedlander in einer Retrospektive des New Yorker Museum Of Modern Art im Haus der Kunst in München zu sehen. Die Ausstellung vereint Porträts, Akte, Landschaftsaufnahmen, Stadtansichten und Stillleben aus den Jahren 1956 bis 2004.

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