SZ.de: Herr Niedling, warum dieser Schritt?
Erik Niedling: Da muss ich ein bisschen ausholen. Ich komme eigentlich von der Fotografie und als ich aus Erfurt nach Berlin kam, habe ich gemerkt, dass ich meine Kunst nicht mehr über dieses Medium alleine denken will. Um mich neu zu orientieren, habe ich zusammen mit dem Schriftsteller Ingo Niermann internationale Sammler, Kuratoren und Kollegen aus dem Kunstbetrieb gefragt, wohin die Reise geht mit der Kunst. Daraus ist ein Film entstanden. Und Ingo Niermann hat mir seine Idee überlassen, eine Pyramide zu errichten.
Sie möchten eine Pyramide errichten?
Die Pyramide soll 200 Meter hoch sein und aus einem existierenden Berg herausgeschlagen werden. Wenn der Besitzer der Pyramide stirbt, also ich, wird ein Grab in die Pyramide eingelassen. Die Kunst, an der ich gerade arbeite, und die zum Teil schon in der Ausstellung zu sehen ist, wird meine Grabbeigabe sein. Danach soll die Pyramide wieder verschwinden und der Berg wieder zum Berg werden. Spätere Menschen werden vielleicht darüber rätseln, ob unter dem Berg wirklich eine Pyramide versteckt ist.
Aber Sie sind noch nicht tot. Warum haben Sie ein Jahr lang so gelebt, als wäre es Ihr letztes?
Ich wurde gefragt, wann es denn jetzt losgehe mit der Pyramide. Aber für so ein Projekt nimmt man ja nicht die Schaufel in die Hand und legt los. Irgendwann erzählte mir Niermann von einem Spiel, das er mal für ein Magazin entworfen hatte: so zu leben, als wäre es das letzte Jahr. Da hat es sofort bei mir geklingelt, und ich wusste, das muss ich machen.
Sie haben das gemacht, um sich vor Prokrastination zu schützen? Damit Sie Ihr Kunstprojekt nicht aufschieben?
Ja, und um sicherzugehen, dass ich mich dabei nicht selbst betrüge, habe ich mich hypnotisiert.
Sie haben sich selbst in Hypnose versetzt?
Ja. Haben Sie schon Erfahrungen mit Hypnose gemacht?
Überhaupt nicht.
Ich dachte früher auch, das sei Scharlatanerie. Man kennt das ja aus dem Fernsehen, dass jemand denkt, er sei ein Huhn. Aber dann habe ich gelernt, dass Selbsthypnose eher eine Art starkes autogenes Training ist. Immer, wenn ich an Grenzen kam, habe ich mir dieses Bild vor Augen gerufen: Dass mit dem Ablauf des Jahres ein Vorhang fällt und nur noch weißes Rauschen zu sehen ist, wie früher nachts im Fernsehen.
Und das hat funktioniert?
Absolut. Mit gedanklicher Anstrengung hätte ich natürlich auch über dieses Datum hinaus denken können. Aber durch diese Verinnerlichung habe ich dafür gesorgt, dass das überhaupt nicht mein Ziel war.
An welche Grenzen sind Sie in diesem Jahr gestoßen?
Das fing sofort an. Ich habe vorher natürlich meine Frau gefragt, ob sie damit einverstanden ist. Weil sie das gewohnt war, dass ich als Künstler immer wieder Projekte habe und durch die Weltgeschichte reise, hat sie zugestimmt. Kurz darauf hat sie ihren Urlaubsplan fürs kommende Jahr erhalten und wollte mit mir den Urlaub planen. Da musste ich sagen: Das geht leider nicht.
Weil Sie dann tot sind.
Nein, es ging explizit nie darum, dass ich danach tot wäre, aber ich konnte über diesen Punkt hinaus nicht planen. Es gab viele Probleme mit Menschen aus meinem Umfeld, die natürlich alle nicht darauf gewartet hatten, dass ich jetzt sowas mache, es sind auch einige Freundschaften zerbrochen, weil das einfach nicht jeder nachvollziehen konnte. Aber ich habe mein gesamtes Umfeld mit einbezogen, familiär und beruflich - nur meine Tochter Rosa nicht, die war mit fünf Jahren noch zu klein.
Was war die absurdeste Reaktion?
Es gab viele lustige Situationen, zum Beispiel Versicherungsvertreter, die mich angerufen haben. Als ich ihnen erklärt habe, warum ich keine Lebensversicherung mehr brauche, haben die sofort umgeschwenkt und wollten mir eine verkürzte Laufzeit anbieten.