Leben und Schreiben:Reich-Ranicki legte die Stirn in Falten

Blick ins Buch

Der Autor Hans Christoph Buch hat über die Jahre rund 40 Romane und Reportagen veröffentlicht. In seinem neuen Roman "Stillleben mit Totenkopf" untersucht er, was einen eigentlich zum Schriftsteller macht.

Von Cornelius Wüllenkemper

"Ein Schriftsteller ist eine Person, die sich der Illusion hingibt, es werde ein weiteres Buch von ihr erwartet." Diese ernüchternde Behauptung des streitfreudigen Autors und Literaturprofessors Reinhard Lettau ist nicht nur witziger, sondern auch treffender als viele akademische Definitionen einer Berufsbezeichnung, die ähnlich unbestimmt ist wie die des Journalisten. Hans Christoph Buch, der Lettau vor 50 Jahren in Berlin als linken Pressekritiker kennenlernte, stellt die Frage nach dem Wesen des Schriftstellers in den Mittelpunkt des dritten Bandes seiner autobiografischen Romanreihe. "Der Einfachheit halber, beginne ich mit mir selbst", stellt sich Hans Christoph Buch in "Stillleben mit Totenkopf" ironisch vor.

Rund vierzig Romane hat der 1944 in Wetzlar geborene Autor und Literaturwissenschaftler veröffentlicht, zahlreiche historische Essays, literarische Aufsätze, Kritiken und Reportagen aus internationalen Krisengebieten, zuletzt aus der Zentralafrikanischen Republik. In seinem neuen Roman untersucht Buch, was einen eigentlich zum Autoren macht, und beginnt mit einem Rückblick auf die Einladung, die ihn selbst zur Gruppe 47 nach Saulgau brachte. Er war 19, und das Drumherum interessierte ihn mehr als literaturtheoretische Diskussionen: "Während ich las, sah ich aus den Augenwinkeln heraus, wie der in der ersten Reihe sitzende Marcel Reich-Ranicki die Stirn in bedenkliche Falten legte und sein Nebenmann Walter Jens sich die Haare raufte, was nichts Gutes verhieß."

Dass Buch dennoch zu einem Autoren wurde, dessen weltumspannende Perspektive in Deutschland ihresgleichen sucht, haben weder Hans Blochs Verdikt über seine "spätbürgerliche Dekadenz" noch Hans Magnus Enzensbergers Rede von "gewolltem Leerlauf" verhindert. Die unkritische Anpassung an den literarischen Betrieb sei ebenso wenig eine realistische Option wie der Ausstieg aus selbigem, behauptet Buch. Seinen Texten über die schreibende Zunft ist diese Einstellung äußerst zuträglich. So unprätentiös, schreiend komisch und freundlich zugewandt liest man selten über die Literaturszene.

"Mehr als die Außenwelt interessierte mich, wie ich selbst reagieren würde..."

Während der berüchtigten Sitzung in Princeton 1966, als die Gruppe 47 sich längst in eine "Literaturbörse verwandelt hatte, auf der Zirkulationsagenten den Marktwert von Texten taxierten", fand Buch sein Bett von einem "hübschen Mädchen mit Beatles-Haarschnitt" besetzt. Die Verwechslung flog alsbald auf, und das vermeintliche Mädchen entpuppte sich als der damals noch unbekannte Peter Handke. Wenngleich er die ganze Nacht Kriminalromane las, katapultierte er sich anschließend mit seinen Publikumsbeschimpfungen vor der Gruppe in höhere literarische Umlaufbahnen.

In New York erklärt Hans Christoph Buch bei einem verstörenden Frühstück Susan Sontag, dass man Schriftsteller nicht in Ranglisten ordnen kann. Ein gewisser "Klaus Habermüller" aus der Frankfurter Friedensbewegung mit frappierender Ähnlichkeit zu Jürgen Habermas hört zugedröhnt Mahler, schleicht sich in Buchs Berliner Wohnung ein und lästert über Schriftsteller, die nur etwas zu Papier bringen, um ihre eigene Nichtigkeit nicht ertragen zu müssen. Heiner Müller sinniert in einer Striptease-Bar in Graz, im Kapitalismus beute der Mensch den Menschen aus, im Sozialismus sei es genau umgekehrt. Buchs Assoziationsketten lassen ein eigenes Universum entstehen. Der Autor betont, es sei alles so passiert, wie in seinem Roman geschildert, "oder doch zumindest so ähnlich."

Buch verknüpft im Rückblick aufschlussreiche Anekdoten mit sehr persönlichen Betrachtungen über das, was ihn als Mensch und Autor geprägt hat. Das beginnt mit den Luftgefechten über Wetzlar 1945, die er selbst als Einjähriger "wie alle Deutschen als Opfer und Täter" miterlebte, und führt über Lektüren - Karl May, Kafka, Musil, Thomas Mann, Proust - und das Schreiben hin zum plötzlichen Entschluss, sein Leben zu ändern. Der Wunsch, etwas herauszufinden über die Welt, das er nicht schon vorher wusste, lässt ihn ab 1995 als Kriegsreporter von "einem Krisengebiet ins nächste" reisen. Neben der politischen Agenda gab es für ihn auch eine persönliche Motivation, den Schreibtisch zu verlassen. "Mehr als die Außenwelt interessierte mich, wie ich selbst reagieren würde auf die kalkulierte Gefahr."

Den Zusammenhang zwischen Leben und Schreiben führt Hans Christoph Buch unmittelbar vor, ohne dass sein Text je zur bloßen Seelenschau gerät. Die Erinnerungen, die fiktionalen und die faktischen Erlebnisberichte aus verschiedenen Denkräumen und Weltgegenden liefern spannende Einblicke, wie ein Schriftsteller sich beim Schreiben selbst erschafft, wie Literatur und Leben irgendwann zum Synonym werden.

Hans Christoph Buch: Stillleben mit Totenkopf. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2018. 249 Seiten, 20 Euro.

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