Süddeutsche Zeitung

Leben im Discount-Zeitalter:Wo es billig ist, sind wir zu Hause

Genormt, präpariert, geschmacklos: Wie fest das Food-Design der Discount-Kultur unser Leben im Griff hat, zeigen zwei Ausstellungen in Ludwigshafen und Mannheim. Während man früher über Billig-Discounter die Nase gerümpft hat, heißt es inzwischen "I love Aldi" - und die Chemie bestimmt den Geschmack.

Karin Leydecker

Es hat etwas Tröstliches: Das scheunenartige Haus mit dem Giebeldach, der gepflasterte Parkplatz mit dem Begleitgrün davor, ein Logo in Kindergartenfarben - das ist der dekorierte Schuppen von Aldi. Ein System, das in dieser Marke Kultstatus erreicht hat. Ein bisschen wie Heimat ist das, nicht schön, aber vertraut.

Diese Heimat ist überall und überall gleich. Auch das Versprechen der Aldi-Heimat ist immer das gleiche: "hohe Qualität, niedriger Preis". Ein knallhartes Discount-Prinzip macht's möglich, der Schnäppchenjäger freut sich. Der Billig-Virus grassiert und die "Aldisierung" ist längst ein gesamtgesellschaftliches Phänomen quer durch alle Einkommens- und Bildungsschichten geworden.

Nun ist Aldi sogar im Museum: Unter dem programmatischen Titel "I love Aldi" zeigt das Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen am Rhein achtunddreißig künstlerische Reflexionen rund um das Billigsystem "Discount". Angesichts dieses sehr komplexen und sehr klug arbeitenden Systems blieb den Künstlern nur der Rekurs auf thematische Teilaspekte, die primär "spielerisch" verstanden sein wollen. Insgesamt lockt ein Parcours durch die schöne bunte Warenwelt mit "Kunst für alle" aus dem Automaten, mit skulpturalen Warenakkumulationen, Verfremdungen und mit gesellschaftskritischen Reflexionen von Künstlern wie zum Beispiel Lili Fischer, Joseph Beuys und dessen Schüler Felix Droese.

Spannend ist die Reflexion über das Thema Verpackung. Die schnörkellosen, starkfarbigen und einprägsamen Logos der Discounter sind formale Ableger der konkret-konstruktiven Kunst. Dennoch transportieren sie gerade durch ihre ästhetisch reduzierte Erscheinung auf der Metaebene das Thema "billig".

Ideales Beispiel dafür ist in der Ausstellung der Entwurf für die Aldi-Tüte-Nord von Günter Fruhtrunk aus dem Jahr 1970. Damals war Aldi noch nicht gesellschaftlich comme il faut und über Aldi-Tüten hat man die Nase gerümpft. Fruhtrunk muss sich irgendwann für diesen Entwurf sehr geschämt haben, denn es ist überliefert, dass er als Sühnegeld 400 Deutsche Mark in die Klassenkasse seiner Studenten gezahlt hat.

Der Käufer von heute ist hybrid

An vielen Arbeiten wird auch die Auseinandersetzung mit der normierten Ästhetik im Erscheinungsbild der Billig-Discounter deutlich: Der ambivalente Genius Loci, der sich aus den baukünstlerischen "Wonnen der Gewöhnlichkeit", einer steril unterkühlten Normierung und obsessiver Reinlichkeitsfanatik formiert, kollidiert mit einer chaotischen Buntheit der Verpackungsästhetik. Der Käufer arrangiert sich damit problemlos, denn der Käufer von heute kauft hybrid: Audi et Aldi. Bei teuren Luxusgütern ist für ihn das Ambiente edel inszenierter Vitrinen der Sehnsucht zwingend, beim Einkauf des billigen Alltagsbedarfs darf es gerne auch mal sehr billig aussehen. Der Schalter im Kopf reagiert eben automatisch: Billig macht billig!

Und billiges Essen? Das macht zwar nicht zwangsläufig fett und krank, hat aber oft mit dem Begriff "Lebensmittel" nur wenig zu tun. Die Inhaltsstoffe reduziert Chemie auf ein Minimum und über Hühnersuppe ohne ein Milligramm Echthuhn oder Erdbeerjoghurt ohne ein Fitzelchen Erdbeere wundert sich inzwischen niemand mehr. Baudrillards These vom Verschwinden des Realen und der Herrschaft der Simulation, die "wahrer ist als das Wahre", ist längst Wirklichkeit geworden.

Die Industrialisierung der Lebensmittelproduktion ist das Resultat des Systems "billig". Billig heißt Preisdruck auf die Produzenten und das bedeutet Qualitätsrückgang in der Produktion. Aber weil die Logik des Kapitalismus keinen Verzicht kennt, wird beispielsweise der Fleischkonsum immer weiter angekurbelt, um Bedarf und Absatz zu steigern. Das System produziert nach dem Prinzip Überfluss; jedes Tier zu viel wird vernichtet und zerstückelt, um erneut in den gnadenlosen Kreislauf einer entmenschlichten Produktions- und Vernichtungsmaschinerie eingespeist zu werden.

Am Anfang steht die arme Sau in der Mastbox, am Ende liegt eine rosarote, unter "Schutzatmosphäre" folienverschweißte Wurst im Warenkorb. Und was war dazwischen? "Qual!", sagt Plutarch. "Paradies!", flüstert die Werbung.

Genaueres über diese Entfremdung des Menschen von seiner Nahrung erfährt der Betrachter im benachbarten Mannheim. Dort zeigt das Technoseum Landesmuseum für Technik und Arbeit in einer sehr sinnlich inszenierten Zeitreise "Unser täglich Brot" den langen Weg von der ersten Konservendose in die computergesteuerte Nahrungsmittelindustrie.

Am biblisch geprägten Bild des Brotes lassen sich die Hintergründe und die Konsequenzen der Industrialisierung eindrucksvoll illustrieren: Am Anfang war das Brot eine ganz individuelle Kostbarkeit. Brot war Leben. Heute ist Brot ein Wegwerfartikel. Ästhetisch genormt, chemisch präpariert und weitgehend geschmacklos. Die Vielfalt der Auswahl ist schöner Schein, denn die Auswahl beschränkt sich auf optische Varianten des inhaltlich Gleichen. Tendenz: von der Vielfalt zur Einfalt! Bestes Beispiel ist die Normierung des Geschmacks: Chemie sagt, wie ein Apfel schmecken muss.

Convenience-Produkte aus der Lebensmittelindustrie bringen nicht nur den Geschmack auf eine Linie, sie sorgen durch Food-Design auch für die Standardisierung der Geruchs- und Geschmacksfähigkeit unserer Gesellschaft. Man schmeckt nur, was man kennt!

In diesem von Lebensmittelmultis wie Nestlé oder Kraft Foods gelenkten Kreislauf der Abhängigkeiten weiß man wenig über die Geheimnisse des Säens und Erntens, aber umso mehr über Functional Food mit künstlichen Mikroorganismen oder über transgene Zusatzstoffe im Essen. Unser täglich Brot, das ist der bleiche Teigling aus dem Kühlregal beim Discounter: Aufgetunt mit Diglyceriden für die lockere Krume, angefüttert mit Aminosäuren für den "crusty sound" beim Reinbeißen, gefärbt und beduftet aus naturidentischer Chemie. Am besten billig, am billigsten. Denn schließlich kennt man von "allem den Preis, aber von nichts den Wert".

"I love Aldi". Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen bis zum 4. März 2012. Infos unter www.wilhelmhack.museum/ "Unser täglich Brot . . . Die Industrialisierung der Ernährung" im Technoseum Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim bis zum 29. April 2012. Infos unter www.technoseum.de

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Quelle:
SZ vom 08.12.2011/rela/rus
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