"Die Geschichte meiner Frau" im Kino:Tücken einer Ehe

"Die Geschichte meiner Frau" im Kino: Im Klavierkonzert, zwischen seiner Frau (Léa Seydoux) und seinem Nebenbuhler (Louis Garrel, rechts), fühlt sich Frachterkapitän Jakob Störr (Gijs Naber) sichtlich unwohl.

Im Klavierkonzert, zwischen seiner Frau (Léa Seydoux) und seinem Nebenbuhler (Louis Garrel, rechts), fühlt sich Frachterkapitän Jakob Störr (Gijs Naber) sichtlich unwohl.

(Foto: Csata Hanna/Alamode)

Wie Frauen Männer beobachten, die sich Frauen ansehen: Das Historienmelodram "Die Geschichte meiner Frau" von Ildikó Enyedi.

Von Martina Knoben

Ein Witz über Männer geht so: Männer haben auch Gefühle - Hunger und Durst! Der unglückselige Held dieses Films, Frachterkapitän Jakob Störr (Gijs Naber), scheint alle Klischees über die emotionale Beschränktheit des männlichen Geschlechts zu bestätigen. Weil er häufig Magendrücken hat ("die Seemannskrankheit"), rät ihm sein Koch, sich eine Frau zu suchen, das helfe. An Land wettet der Kapitän dann mit einem Freund, dass er die Erste heiraten werde, die in den Salon tritt. Weil es die Glückgöttin sehr, sehr gut mit Jakob meint, zieht die Matrone, die schon an der Schwelle steht, ihren Fuß zurück - und Léa Seydoux alias Lizzy betritt den Raum. Seydoux hat bekanntlich schon James Bond den Kopf verdreht und schafft es auch bei Jakob mit dem ersten belustigten Blick.

Der Titel des Films führt übrigens in die Irre. "Die Geschichte meiner Frau" ist tatsächlich die Geschichte ihres Ehemannes - Jakobs Geschichte - aus dessen Perspektive sie gesehen wird. Über Lizzy erfährt man nicht viel. Das Rätsel, das sie für Jakob darstellt, kann er nicht lösen. Liebt sie ihn? Was treibt sie, während er auf See ist? Ist sie so falsch, wie er in den zunehmend düsteren Momenten seiner Ehe glaubt? In der Hochzeitsnacht spielen Jakob und Lizzy "Seemannspoker" (wer verliert, muss ein Kleidungsstück ausziehen). Es ist der Beginn einer Ehe, in der sich die Partner immerzu belauern, den anderen dominieren wollen, einander immerzu missverstehen und auch mal falschspielen.

Die Regisseurin studiert mit wohlwollendem Staunen, aber auch leiser Belustigung die Männerwelt

In ihren leider nur wenigen Filmen hat die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi schon früher vermeintliche Gegensätze zusammengebracht. In "Mein 20. Jahrhundert", für den sie 1989 in Cannes den Preis für den besten Nachwuchsfilm bekam, war das ein Zwillingspaar, eine (Polit)heilige und eine Hure, die konträre Pole des Exzesses markierten. In Körper und Seele (2017) verliebt sich ein verbitterter älterer Mann mit einem gelähmten Arm in eine junge Autistin, weil beide jede Nacht dasselbe träumen. Scheinbare Gegensätze sind in Enyedis Filmen häufig zwei Seiten derselben Medaille.

In "Die Geschichte meiner Frau" bleibt der Zuschauer stets "Geisel" von Jakobs Perspektive, so beschreibt Enyedi selbst ihre Erzählweise. Wobei Jakob wiederum von einer Frau - der Regisseurin - gesehen wird. Schon das Tuten des Schiffshorns am Anfang des Films, das mehr wie Alphorn klingt, signalisiert ironische Distanz. Und wie exakt die Taue an Bord aufgerollt sind! Und die Grüßrituale an Bord der Schiffe! Enyedi studiert die Männerwelt und ihren Helden mit wohlwollendem Staunen und leiser Belustigung. Auf See mag Kapitän Störr die Souveränität selbst sein - an Land und in der Begegnung mit seiner Frau wird er elendig stranden. Dass Enyedi als Frau einen Mann betrachtet, wie der seine Frau sieht, ergibt kein Perspektivenkuddelmuddel, sondern gleicht einem filmischen Möbiusband, so verschlungen sind der männliche und der weibliche Blick. Wie das Paar, das nicht mit- und nicht ohneeinander sein kann.

"Die Geschichte meiner Frau" im Kino: Léa Seydoux verkörpert ein Frauenbild, dem ihr Ehemann noch hinterherhinkt.

Léa Seydoux verkörpert ein Frauenbild, dem ihr Ehemann noch hinterherhinkt.

(Foto: Csata Hanna/Alamode)

Der Niederländer Gijs Naber spielt Störr als sehr "männlichen" Mann: groß und stattlich, auch körperlich aggressiv. Er ist gradlinig, manchmal bewundernswert ritterlich, aber auch misstrauisch und stur. Naber verwandelt Störrs Gesicht in ein offenes Buch, in dem nicht nur Lizzy lesen kann. Seine Verletzbarkeit, seine Unbeholfenheit und Minderwertigkeitskomplexe an Land zu beobachten, tut fast körperlich weh. Léa Seydoux ist als zierliche, intellektuell gewandte, kapriziöse Französin ein mächtiges Gegenüber. Der feministische Blick der Regisseurin sieht nicht die Femme fatale in ihr, sondern eine moderne Frau. Wenn sie sich unberechenbar gibt, dann vielleicht auch aus Notwehr: Ihre Verführungskraft ist eine der wenigen Ressourcen, die sie hat.

"Die Geschichte meiner Frau" entstand nach dem gleichnamigen Roman des ungarischen Schriftstellers Milán Füst aus dem Jahr 1942 und spielt in den Zwanzigerjahren. Ein Kostümfilm also, in dem alles vom Feinsten ist: die Ausstattung, die edel ausgeleuchteten Bilder, auch die Besetzung bis in die Nebenrollen. Es spielen unter anderem Louis Garrel, Ulrich Matthes, Udo Samel und Josef Hader mit. Die eleganten Cafés, Salons, Ballsäle und großbürgerlichen Wohnungen wirken wie ein Labyrinth, zwischen dessen glamourösen Oberflächen sich der Kapitän umso leichter verliert. Die zauberhaft schwebende Atmosphäre von Enyedis früheren Filmen will sich zwischen den exquisiten Requisiten allerdings nicht so ganz einstellen, die Beschränktheit der Kapitänsperspektive macht drei Stunden Film auch ein wenig anstrengend.

Konkrete historische Ereignisse spielen in diesem Historiendrama keine Rolle, der Epochenbruch dieser Zeit zieht sich vielmehr mitten durch Jakobs und Lizzys Ehe. Störr ist noch ganz ein Mann des ausgehenden 19. Jahrhunderts, während Lizzy die neue Zeit mit ihrem anderen Frauenbild verkörpert. Das kennen auch Frauen des 21. Jahrhunderts: dass selbst die gutwilligsten Männer bei der Interpretation der Geschlechterrollen fast immer ein wenig hinterherhinken.

A feleségem története, Ungarn 2021 - Regie: Ildikó Enyedi. Buch: I. Enyedi nach dem Roman von Milán Füst. Kamera: Marcell Rév. Schnitt: Károly Szalai. Mit: Léa Seydoux, Gijs Naber, Louis Garrel, Sergio Rubini, Luna Wedler, Josef Hader, Ulrich Matthes, Udo Samel. Alamode, 169 Minuten. Kinostart: 4. November 2021.

Zur SZ-Startseite
Kino: Kate Winslet und Saoirse Ronan in "Ammonite"

Starts der Woche
:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

"The Many Saints of Newark" erzählt die Vorgeschichte zur Kultserie "The Sopranos". Marvel geht in "Eternals" mit neuen Superhelden an den Start. Und Léa Seydoux verführt in "Die Geschichte meiner Frau".

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: