Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Le Grand Jojo:Monsieur Olé

Mit seinen genialisch schmerzfrei-sinnfreien Liedern wurde er zum Volkshelden: Zum Tod von Jean Jules Vanobbergen, den in Belgien alle nur Le Grand Jojo nannten.

Von Josef Kelnberger

Wenn der Mensch vom Glück und vielleicht auch vom Alkohol überwältigt wird, und wenn er diesen Moment mit anderen teilen will, fallen ihm selten kluge Worte ein. Dann weiß er nicht so recht, wohin mit seinen großen Gefühlen, dann schreit und brüllt und kreischt er manchmal nur. Oder aber er singt ein paar Olés hinaus in die Welt. Olé-oléoléolé. Millionen von glücklichen Menschen überall auf der Welt tun das, ohne zu wissen warum. Sie haben sich irgendwo angesteckt mit dem Olé wie mit einem sehr hartnäckigen Virus.

Gesungen wurde es beim Fall der Berliner Mauer. In Endlosschleifen ist es zu hören in Fußballstadien, meist mit dem Zusatz "We are the Champions". Bei Rockkonzerten füllt das Publikum gern damit die Pausen, immer wieder bei Bruce Springsteen, ganz massiv bei den Rolling Stones. Als die Stones im Jahr 2016 durch Lateinamerika tourten, ging eine Welle des Olé über sie hinweg. Den Dokumentarfilm über die Tour betitelten sie konsequenterweise: "Olé, Olé, Olé. A Trip Across Latin America".

Als dem belgischen Musiker und Sänger Jean Jules Vanobbergen der Film gezeigt wurde, konnte er nicht fassen, was er da sah und hörte. "Einfach nur surreal" sei das gewesen, sagte er in Interviews: die Rolling Stones und ihr - sein! - Olé!

Am vergangenen Mittwoch ist Jean Jules Vanobbergen, den in Belgien alle nur Le Grand Jojo nannten, im Alter von 85 Jahren gestorben. Das Fernsehen änderte sein Programm, die Zeitungen räumten Doppelseiten für die Nachrufe frei. Le Grand Jojo ist mit seinen genialisch schmerzfrei-sinnfreien Liedern zu einem Volkshelden geworden. Das hat natürlich auch mit seinem erfolgreichsten Lied zu tun. Er schrieb es für die Fußballprofis des Brüsseler Vereins RSC Anderlecht und sang es gemeinsam mit ihnen: "Allez, allez, allez, allez, we are the Champions". Vor der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko legte er es für die belgische Nationalmannschaft neu auf. Aus dem Allez wurde Olé. Und dieses Olé ging hinaus in die Welt und kommt bis heute als Echo aus allen Winkeln der Welt zurück, in Millionen von Varianten.

Nun mag man denken, dass südeuropäische oder lateinamerikanische Menschen keine Nachhilfe aus Belgien brauchen, um ein Olé über die Lippen zu bekommen. Aber es scheint tatsächlich so zu sein, dass die Fans des SSC Neapel das Werk des Grand Jojo als Grundlage nahmen für ihre legendäre Hymne auf den Fußballgott Diego Armando Maradona. Oie Oie Oie Oie, Diego, Diego. Der Gesang kehrte mit Maradona zurück nach Argentinien, verbreitete sich in ganz Lateinamerika und schwappte hinein in die Konzerte der Rolling Stones. Andere schlüssige Erklärungen gibt es nicht. Und selbst wenn Le Grand Jojo irgendwo ein Oléolé abgekupfert haben sollte: na und? Er hat sich sein Leben lang frei herumschwirrende Texte, Melodien, ja Gefühle angeeignet und der Welt zurückgegeben in seiner ganz eigenen Form. Das war seine Kunst.

In eine römische Toga schlüpfte er, wenn er sein Lied auf den schwulen Julius Cäsar sang

Kreuzberger Nächte sind lang, sangen in Deutschland die Gebrüder Blattschuss: "Chef un p´tit verre, on a soif", machte daraus Le Grand Jojo. Noch ein kleines Glas, Chef, wir haben Durst. Er verkleidete sich dazu als Fremdenlegionär. In eine römische Toga schlüpfte er, wenn er sein Lied auf den schwulen Julius Cäsar sang, der keine Hosen anziehe, damit die Welt seine Beine bewundern kann. In Deutschland kennt man das Lied von Gottlieb Wendehals als Polonäse Blankenese. In seinem "Tango du Congo" reimte sich Madame Caca auf Snackbar und Catanga. Man hat Le Grand Jojo wegen des Lieds als Rassisten beschimpft, in späten Jahren war es ihm selbst peinlich. Aber habe einfach nicht anders gekonnt, sagte er. Es musste raus. Es war einfach ein großer Spaß.

So wurde Le Grand Jojo zur Verkörperung der "Belgitude", eines belgischen Lebensgefühls, das ein Widerspruch in sich ist. Denn die Flamen, die Wallonen, die Brüsseler, die Deutschsprachigen sind meist derart miteinander verkracht, dass man von Nationalgefühl eigentlich nicht sprechen kann. Auf Jojo-Niveau konnte man sich jedoch immer verständigen: Noch ein Glas, Chef, wir haben Durst. Zu dieser Belgitude gehört auch die Fähigkeit zur Selbstverarschung. Le Grand Jojo hatte dieses Talent im Übermaß, neben vielen anderen. In jungen Jahren zeichnete er Comics, spielte Schlagzeug, eiferte als Sänger kurz dem Brüsseler Jacques Brel nach, vertiefte sich in den Jazz. Um Geld zu verdienen, bestückte er Jukeboxen mit Jazzplatten. Eine Wirt sagte zu ihm: Was er mit diesem Jazz wolle, könne doch kein Mensch mitsingen. Dem Manne kann geholfen werden, dachte Jean Jules Vanobbergen. Und bald dröhnten seine eigenen Lieder aus den Jukeboxen.

Le Grand Jojo hat nicht nur seine Frau, sondern auch seine Tochter früh zu Grabe tragen müssen, aber nie davon Aufhebens gemacht. Er sang einfach immer weiter, sogar einen Hubschrauberabsturz überstand er unversehrt. Erst die Covid-Einsamkeit raubte ihm den Lebensmut. Sein Olé jedoch wird ewig leben.

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