Lawrence Lessig im Interview::"Es geht nicht darum, Madonnas Musik zu stehlen"

Steht das Copyright-System neuen Kunstwerken im Wege? Die Antwort ist: Ja. Das denkt Lawrence Lessig, Rechts-Professor an der Stanford University. Denn er macht im Urheberrecht den Feind aller Kreativität aus.

Andreas Zielcke

Der US-Amerikaner Lawrence Lessig, Jahrgang 1961, unterrichtet Rechtswissenschaften an der Stanford University. Er zählt zu den herausragenden Experten in Verfassungsrecht, Vertragsrecht und den rechtlichen Verhältnissen im Internet . Als Gründer des Stanford Center for Internet and Society schreibt er regelmäßig Kolumnen auch für nicht-akademische Magazine wie Wired, Red Herring und CIO Insight. Lessig gilt als scharfer Kritiker des herkömmlichen strengen Urheberrechts, da dieses die Kreativität und Innovationskräfte im Zeitalter der Digitalisierung gefährde. Er gründete die Initiative Creative Commons, eine gemeinnützige Gesellschaft, die im Internet verschiedene Standard-Lizenzverträge anbietet, mit denen Autoren der Öffentlichkeit Nutzungsrechte an ihren Werken einräumen können. Auch darüber hinaus setzt er sich für freie Software und die weltweite Open-Source-Bewegung ein. Für dieses Engagement wurde Lessig mit dem Freedom Award der Free Software Foundation ausgezeichnet und zu einem der "Top 50 Visionaries" der amerikanischen Wissenschaftler gekürt. Im Augenblick forscht Lessig an der American Academy in Berlin.

Lawrence Lessig im Interview:: "Das Problem in Europa aber ist, dass es das Schlechteste von allen Systemen kombiniert. "

"Das Problem in Europa aber ist, dass es das Schlechteste von allen Systemen kombiniert. "

(Foto: Foto: AP)

SZ: Professor Lessig, große Internetfirmen wie Yahoo und Google beabsichtigen offenbar, das Internet in zwei Teile zu spalten: einen kommerziellen und einen kostenlosen. Würde solch ein "Web 3.0" ein Zweiklassen-Internet schaffen? Eines, für das man Eintritt zahlt, in dem man in Hochgeschwindigkeit alle Inhalte bekommen kann, und ein Standard-Internet für den weniger begüterten Rest der Welt? Würde diese Entwicklung die Neutralität des Internets aufheben?

Lawrence Lessig: Ihre Frage berührt zwei Aspekte. Der erste betrifft die Entscheidungsgewalt. Anbietern von Kabelfernsehen gehört ihr Netzwerk. Sie können bestimmen, welche Programme sie zeigen. Die Frage ist, ob diese Macht auch auf das Internet übertragbar ist, so dass der Provider der Breitbandinfrastruktur auch das Recht hat, darüber zu entscheiden, was auf seinem Netzwerk läuft. Eine solche Entwicklung wäre aber schädlich für Innovation und Wachstum. Die wichtigste bauliche Eigenart des ursprünglichen Internets war ja, dass die ganze Kraft von seinen Rändern ausging. Leute, die sich mit dem Netzwerk verbanden, wählten aus, was sie ins Netz stellen wollten. Die Provider konnten dabei nicht mitreden; sie stellten nur die Bits zur Verfügung. Wenn man nun aber anfängt, die Macht in das Zentrum des Netzes zu verschieben, würde dies die Innovationskraft des Internets schwächen. Der zweite Aspekt bei einer Teilung des Internets wäre das Copyright. Würde man für die gehobene Klasse Gebühren erheben, könnte man sich gleichsam von urheberrechtlichen Ansprüchen freikaufen. Darum müssten sich in diesem kostenpflichtigen Internet die User über die Legalität des Angebots keine Sorgen mehr machen, der ständige Anlass für Rechtsstreitigkeiten würde entfallen.

SZ: Das wäre also eine Art Copyright-Flatrate?

Lessig: Genau. In Europa ist man seit je sehr erfinderisch bei den Methoden, kulturelle Erzeugnisse zugunsten ihrer Urheber, aber auch zugunsten des öffentlichen Interesses zu regulieren und sie darüberhinaus auch noch als lukrative Einnahmequelle zu nutzen. Eine dieser Methoden besteht darin, dem Rechteinhaber die volle Kontrolle über die Vervielfältigung des Werkes zu geben: Bei jeder Kopie muss man den Urheber um Einverständnis bitten. Das Gegenmodell ist das, was man mit Festplatten macht: Man belegt sie mit einer Abgabe und ermittelt dann, wer die Festplatte wofür nutzt und verteilt den Erlös der Abgabe entsprechend an die Künstler. Dieses System hat auch in den USA seine Anhänger. Sein Vorteil ist, dass man in die Technologie keine Sperren einbauen muss, die das Internet blockieren wie all diese Digital-Rights-Management-Sperren, die eine Vervielfältigung ohne Zustimmung des Rechteinhabers verhindern. Demgegenüber hat das Abgabensystem, bei dem die Künstler desto mehr Entgelt erhalten, je häufiger ihre Stücke heruntergeladen werden, den Vorteil, dass es für diese Künstler einen Anreiz schafft, ihre Arbeit so zugänglich wie möglich zu machen. Auf diese Weise wird das Internet zu einer wesentlich produktiveren Plattform gemacht. Das Problem in Europa aber ist, dass es das Schlechteste von beiden Systemen kombiniert. Einerseits belegen Sie die Geräte mit hohen Abgaben, um sich damit das Recht auf Vervielfältigung zu erkaufen . . .

"Es geht nicht darum, Madonnas Musik zu stehlen"

SZ: . . . Drucker beispielsweise. Hier will man in Deutschland aber die Abgabe auf fünf Prozent des Kaufpreises beschränken.

Lessig: Das wäre doch schon mal großartig. Gleichwohl, Sie haben jedenfalls diese Abgabe auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite werden sie von amerikanischen Copyright-Inhabern dazu gedrängt, das amerikanische Copyright-Modell zu akzeptieren, also Kontrolltechnologien zur Verhinderung von Kopien zuzulassen - also jenes Digital Rights Management - und gesetzliche Regularien zu entwickeln, die es verbieten, diese Kontrolltechnologien zu umgehen. Sie haben also nicht nur ein System, das die Vervielfältigung beschränkt, sondern zahlen obendrein noch die Abgaben.

SZ: Was ist schlecht daran, geistiges Eigentum mit einem Digital Rights Management (DRM) zu kontrollieren, damit keiner ohne die Erlaubnis des Rechteinhabers Inhalte kopieren kann?

Lessig: Schauen wir uns doch einmal an, wie geistiges Eigentum von vielen genutzt wird. Ich nenne es das "read-only" Modell. Ich verkaufe Ihnen beispielsweise einen Film, und Sie haben das Recht, sich diesen Film anzusehen. In solch einer Welt ist das DRM-System völlig in Ordnung. Es ist vielleicht teuer, aber es funktioniert, da es die Anzahl der Kopien kontrolliert und die Künstler für die Verwendung entlohnt. Aber die interessanteste neue Entwicklung im Internet ist nicht, wie die Nutzer Inhalte konsumieren. Das Spannende ist, wie sie Inhalte selbst produzieren, teilen und weiterentwickeln. Jugendliche nehmen sich Songs, remixen sie oder basteln aus vier oder fünf Filmen einen neuen zusammen für ein Schulprojekt. Das ist doch inzwischen der entscheidende Punkt: Die Leute gehen mit den digitalen Technologien anders um, sie konsumieren nicht nur, sie teilen ihre Kreativität mit anderen. Diese riesigen kreativen Möglichkeiten, die die neuen Technologien eröffnen, werden von einem perfekten DRM zerstört. Die Frage ist: Sollten wir deshalb aufhören, dem Künstler eine Kompensation zu geben? Natürlich nicht. Aber wir sollten kein Copyright-System aufbauen, das zugunsten eines speziellen Geschäftsmodells, das im 20. Jahrhundert zufällig dominant war, eine viel wertvollere Form des kulturellen Ausdrucks opfert.

SZ: Funktionieren nach jenem "speziellen Geschäftsmodell", von dem Sie so kritisch sprechen, nicht die gesamte Kunst und Wissenschaft in der Moderne?

Lessig: Nein. Auch vor der Epoche der digitalen Technologien existierte ein weites Feld kultureller Nutzungen, die das Urheberrecht nicht regulierte. Wenn ich Ihnen ein Buch zu lesen gebe, ist das Urheberrecht nicht berührt. Das Urheberrecht berührt nur einen kleinen Teil der produktiven Kapazitäten von Wissenschaft und Kunst. Im Feld der digitalen Technologien indes produziert beinahe jede einzelne Nutzung eine Kopie. Wir müssen also einen Weg finden, um die Balance wiederherzustellen: Nicht jeder Bereich, in dem wir unsere Kultur erfahren und verwenden, sollte reguliert werden. Denken Sie an die große Debatte in Großbritannien über die Laufzeit des Urheberrechts für Musikaufnahmen. Cliff Richard und Paul McCartney treten für eine längere Laufzeit des Schutzes ein, 4000 Künstler haben die Petition unterschrieben. Peinlicherweise waren darunter einige Tote . . . (lacht). Diesen Leuten geht es nur um einen marginalen Prozentsatz - etwa zwei Prozent - von allen Werken, die älter als 50 Jahre und noch kommerziell interessant sind, denn 98 Prozent dieser Werke sind gar nicht mehr auf dem Markt. Unterwirft man diese 98 Prozent dem Copyright, dann würden all diese Arbeiten unzugänglich, obwohl sie mit einer relevanten Verwertung nichts mehr zu tun haben. Das System des Urheberrechts ist zugeschnitten auf die kommerzielle Seite der Kreativität - weitet man es aber aus auf alle Werke der vergangenen Generationen, dann wird es für alle nichtkommerziellen Nutzungen - Bibliotheken etwa - zum unerträglichen Hindernis.

SZ: Übertreiben Sie nicht mächtig?

"Es geht nicht darum, Madonnas Musik zu stehlen"

Lessig: Nun, Google beispielsweise betreibt das Projekt Google Buchsuche, bei dem 18 Millionen Bücher gescannt werden sollen, so dass man in diesen 18 Millionen Büchern genauso suchen kann, wie man das sonst im Internet tut. Das war der ursprüngliche Vorschlag. Von diesen Büchern ist bei 16 Prozent das Copyright ausgelaufen. 9 Prozent waren noch urheberrechtlich geschützt und auch lieferbar. Das bedeutet, dass die übrigen 75 Prozent dieser 18 Millionen Bücher urheberrechtlich geschützt waren, aber nicht mehr lieferbar. Nun erfordert das Urheberrecht nach Meinung der Verlage, dass man jeden Urheber um sein Einverständnis fragt, wenn das Buch digitalisiert wird und zugänglich gemacht wird, obgleich es gar nicht mehr gedruckt wird. Natürlich ist es praktisch unmöglich, all diese Urheber zu finden. Das ist ein gutes Beispiel, wie das Copyright jedes sinnvolle Ausmaß überschreitet. Warum sollten alle diese Bücher, für die es keine kommerziellen Interessen mehr gibt, rechtlichen Sanktionen unterliegen? Aber wenn man Chef einer Plattenfirma ist oder Paul McCartney, dann denkt man nicht an Bibliotheken und Archive und Schulen und Geschichte und Kultur. Denen geht es darum, Geld zu machen. Das ist ja in Ordnung. Aber die Politik sollte etwas mehr Weitblick beweisen als diese extrem erfolgreichen Künstler.

SZ: Was ist mit dem geistigen Eigentum, wenn man nicht Paul McCartney heißt, sondern ein junger Musiker ist oder Schriftsteller, der kein Gehalt bezieht, das ihm erlaubt, seine Arbeit kostenlos ins Netz zu stellen, der von dem Produkt seiner Kreativität leben muss?

Lessig: Nehmen wir den Musiker. Er sitzt in seiner Bude und denkt sich: Soll ich eine Band gründen? Und dann denkt er sich: Die Laufzeit des Urheberrechts beträgt nur 50 Jahre - wenn es 95 Jahre wären, dann würde ich sofort eine Band gründen . . . (lacht). Das ist doch verrückt. Die Ausweitung schafft doch keinen Anreiz für diesen Künstler. Ich denke, die größte Leistung des Copyrights ist es, dass es für unabhängige Leute die Möglichkeit eröffnet, ihrer kreativen Arbeit nachzugehen, ohne einen Mäzen zu benötigen, sei es eine Universität, eine Plattenfirma oder die Regierung. Das ist der Kerngedanke. Ich unterstütze nicht die Piraterie, im Gegenteil. Doch die entscheidende Frage ist, ob das Copyright-System Hindernisse errichtet, die neuen, großartigen Kunstwerken im Weg stehen. Und ich denke, die Antwort ist: Ja.

SZ: Übergeht diese Zuspitzung nicht, dass ein großer Teil der Kultur aus Konsum besteht - auch wenn das nicht das schönste Wort dafür ist? Ein Dramatiker schreibt ein Stück, jemand geht ins Theater, sieht es an und geht wieder nach Hause. Im Idealfall nimmt er neue Ideen mit. Aber im Normalfall wird er kein neues Theaterstück schreiben.

Lessig: Vielleicht sind diejenigen, die Neues daraus schaffen, wirklich nur 1 oder 5 Prozent der Menschen. Aber ich weiß genau: Ich möchte, dass mein Kind in einer Welt aufwachsen kann, in der das, was es mit Kultur macht, sich radikal von dem unterscheidet, was ich mit Kultur gemacht habe. Das Kreativste, was ich als Kind angestellt habe, war, eine Mixkassette aufzunehmen und einer Freundin zu schenken. Unglaublicher Einfallsreichtum! Aber sehen Sie sich an, was die Kids heute anstellen: Sie nehmen einen Song, zerlegen ihn in einzelne Spuren, mischen die mit vier anderen Songs. Sie nehmen sich Material aus der Werbung, lösen es aus ihrem Kontext und schaffen daraus etwas Neues. Sie sind genauso kreativ, wie sich das ein Dozent im kreativen Schreiben vom Umgang mit Texten erhofft. Das ist ein guter Vergleich: Wir sollten mit allen Medien dieselben Freiheiten haben wie mit Texten. Wenn ich ein Buch schreibe, zitiere ich andere Leute - und da käme es mir doch auch nicht in den Sinn, bei denen anzurufen und um Erlaubnis zu fragen.

SZ: Aber wie weit reicht das Monopol des Inhabers wirklich? Man darf nicht einen ganzen Akt eines vorhandenen Theaterstücks in ein neues Stück übernehmen. Aber man kann von dem vorhandenen Stück lernen, neue Ideen bekommen, neue Techniken der Dialogführung etc., die man in ein eigenes Werk fließen lassen könnte. Dasselbe trifft auf Bücher zu. Ist nicht der normale kreative Prozess viel weniger behindert durch Urheberrechte, als Sie es behaupten?

Lessig: Das, was Sie beschreiben, sind schöpferische Verfahrensweisen der vordigitalen Welt. Und ich stimme ihnen in einem Punkt zu: In der vordigitalen Welt existierte eine Balance. Und genau diese Balance möchte ich gerne für das digitale Zeitalter herstellen. Aber ich widerspreche Ihnen darin, dass dieselbe Freiheit in allen Feldern künstlerischer Betätigung existiert. Wenn ich etwa einen Roman schreibe, und jemand will ihn verfilmen, dann kann ich die Rechte exklusiv an ihn verkaufen. Und sobald der Film gedreht ist, darf niemand sonst den Roman verfilmen, die Exklusiv-Rechte liegen bei mir. Wenn aber Paul McCartney einen Song komponiert und einspielt, dann darf jeder diesen Song neu aufnehmen, wenn er eine feste Reproduktionspauschale zahlt. Die abgeleiteten Rechte eines Musikers sind also ganz anders als die eines Schriftstellers. Und warum? Weil die Musiker im 20. Jahrhundert sagten, die Beschränkung der Rechte der Komponisten sei notwendig, damit viele gute neue Künstler hervorgebracht werden können. Heute müssen wir also in jedes einzelne Feld künstlerischer Produktion blicken und sehen, was dort angemessen ist. Insbesondere die Musik. Heute gibt es eine Explosion sogenannter Laptop-Music. Leute nehmen Musikstücke und einzelne Fragmente, mischen sie mit digitalen Mitteln und machen daraus völlig neue Stücke. Die Gerichte in den USA verbieten dies aber, wenn keine Erlaubnis eingeholt worden ist. Und jetzt haben wir Teenager, die in Harlem sitzen und phantastische Musik machen, die sie aber nicht veröffentlichen dürfen, weil es unglaublich teuer ist, die Rechte zu klären. Viele ignorieren also die Rechtslage, andere geben auf, und nicht mal an den Schulen unterrichten Musiklehrer, wie das geht, weil man den Kindern ja keine illegalen Sachen beibringen soll. Das ist doch lächerlich. Wir sollten die Leute ermuntern, sich auf diese Weise kreativ zu betätigen. Aber das gegenwärtige System, das aus der Zeit vor der Digitalisierung stammt, blockiert das.

SZ: Versuchen wir, das Vordigitale mit dem Digitalen zu verbinden. Ein Beispiel aus der Gesetzgebungsdebatte in Deutschland: Ein kleiner akademischer Verlag veröffentlicht spezielle Werke, sagen wir zur mittelalterlichen Geschichte. Der Verlag hat Vollzeitlektoren, die die Texte, die gedruckt werden, auswählen und verbessern. Dieser Verlag ist so spezialisiert, dass seine Bücher fast ausschließlich an öffentliche Bibliotheken verkauft werden. Nun wird debattiert, ob man den öffentlichen Bibliotheken erlauben sollte, das Buch zu scannen und auf den Monitoren der Bibliothek zur Verfügung zu stellen. Die Auswirkungen auf den Absatz des kleinen Verlages wären vermutlich verheerend. Wie würden Sie das Problem lösen?

Lessig: Die Struktur akademischer Veröffentlichungen, wie sie im 20. Jahrhundert existiert hat, war ein notwendiges Übel. Es war notwendig, weil man die Verteilung der Ausgaben kontrollieren musste, um die hohen Kosten für den Verlag zu kompensieren. Aber es ist trotzdem ein Übel, weil Wissen - wie Forschung über Malariatherapien oder neue Ergebnisse in der Chemie - sich so breit und schnell wie möglich verbreiten muss. Die Grenzkosten, um an diese Informationen zu kommen, sollten bei null liegen, weil es sich dabei um öffentliche Güter handelt, die universell zugänglich sein sollten. Jenes System, in dem wissenschaftliche Literatur zu einem hohen Preis an öffentliche Bibliotheken verkauft wird und dort nur limitiert zugänglich ist, war notwendig vor dem digitalen Zeitalter. Ein neues Modell, das perfekt ist, gibt es wohl noch nicht, aber wir arbeiten uns einem Modell entgegen, in dem eine Zugangsbeschränkung beim akademischen Publizieren nicht notwendig ist, weil die Vertriebskosten praktisch bei null liegen. Die Frage bleibt dann, wie man den menschlichen Arbeitsaufwand, den der Lektoren und Autoren kompensiert. Es gibt Modelle, die eine Abonnement-Lösung vorsehen oder staatliche Zuschüsse. Ich hoffe sehr, dass sich solche Lösungen durchsetzen werden. Es geht nicht um Madonna oder Britney Spears, aber ich meine, Malariaforschung sollten ein Stück Information sein, das in jeder Universität der Welt frei verfügbar ist. Wie kommen wir dahin? Ich denke, wir müssen einen offenen Wettbewerb zwischen diesen Geschäftsmodellen zulassen. Wer also seine Zeitschrift auf die hergebrachte Weise veröffentlichen will, der soll das tun. Aber den akademischen Institutionen sollte es freigestellt sein, auch durch andere Geschäftsmodelle an Inhalte zu kommen. Also solche, die die Vervielfältigung nicht behindern. Was diesen offenen Wettbewerb behindert, sind Verwertungsgesellschaften, die sagen: Wir besteuern jede einzelne Kopie und verteilen dann das Geld. Denn dieses System benachteiligt die, die ein anderes Geschäftsmodell favorisieren und sagen: wir vergeben unsere Informationen kostenlos und wir werden einen Weg finden, wie wir das auf eine andere Weise finanzieren.

SZ: Sie argumentieren mit dringend gebrauchten Erkenntnissen über Malaria. So wird die ethische Dringlichkeit deutlich: Wer wollte, dass ein böser europäischer Verlag einem afrikanischen Wissenschaftler wichtige Informationen vorenthält? Aber was ist mit der Normalität? Sie sagen: Lasst uns sehen, welches Geschäftsmodell sich durchsetzt. Aber der Begriff "Geschäft" beinhaltet doch, dass jemand Geld verdienen muss, sonst gäbe es keinen Anreiz für die Produktion der Bücher. Wie soll ein normales Verlagshaus in einer Zeit freier Zugänglichkeit überleben?

Lessig: Nun, ich weiß auch nicht, wie die überleben sollen. Ich weiß auch nicht wie Firmen, die Filme für Fotoapparate herstellen, in Zeiten der Digitalkamera überleben sollen. Denken Sie an die Polaroid-Technologie . . .

SZ: . . . aber Bücher werden doch noch gedruckt?

Lessig: Für jede Technologie gibt es ein spezielles Geschäftsmodell. Aber Technologien verändern sich. Also verlieren manche ihr Geschäft . . .

SZ: . . . aber nicht jede Technologie verschwindet, wenn eine neue auftaucht! In den frühen neunziger Jahren dachte jeder, Bücher würden verschwinden und von digitalen Lösungen ersetzt werden. Das ist nicht eingetreten.

Lessig: Okay, neue Technologien ersetzen nicht immer alte. Das Radio ist ein Beispiel, es hat die Einführung des Fernsehens überdauert. Einverstanden. Der Punkt ist aber: Das Ziel einer Wettbewerbspolitik ist nicht, einen Wettbewerber zu schützen, sondern den Wettbewerb. Und es könnte sein, dass gewisse Modelle nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Es könnte sein, dass der unabhängige Verlag nicht mehr lebensfähig sein wird. Das ist natürlich schade. Aber man muss sich weiterentwickeln und Lösungen für den aktuellen Stand der Technologie finden. Ich denke nicht, dass ein Urheberrecht dafür da sein muss, jeden kleinen Verlag zu beschützen. Das wäre ein moralischer Fehler.

SZ: Wäre die Konsequenz Ihrer Ideen nicht, dass man eine starke staatliche Regulierung einführen müsste, weil umfangreiche Fördermittel nötig wären, um Firmen Anreize für Forschung zu geben? Vor allem wenn es sich dabei nicht nur um Musik und Bücher, sondern auch um medizinische oder industrielle Patente handelt?

Lessig: Patente sind im Prinzip nicht schlecht. In vielen Zusammenhängen sind sie ein notwendiges Übel. Solange Medikamente von der Privatwirtschaft produziert werden, bleiben Patente der Grund, warum darin investiert wird. Aber es gibt andere Wege, Medikamente zu finanzieren. Und selbst wenn wir das Patentsystem akzeptieren, darf man nicht annehmen, dass dieses System, nur weil es für eine Entwicklung funktioniert, auch für alle anderen Formen der Entwicklung notwendig ist. Nur weil Patente bei Medikamenten gut sind, müssen sie noch lange nicht für die Softwareentwicklung oder das Internet gut sein. Ich denke, es ist falsch, Patente auf alle Formen der Information auszuweiten, wie das in den USA der Fall ist. Hier wird gar nicht gefragt, ob das Patentsystem mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Und dieser Nutzen sollte sein: eine Entwicklung fördern, die sonst nicht stattgefunden hätte.

SZ: Professor Lessig, was ist derzeit gut und was ist schlecht am Internet?

Lessig: Am Internet ist gerade großartig, dass es so viele eigene Aktivitäten der Nutzer generiert. Noch vor fünf Jahren wäre das undenkbar gewesen. YouTube beispielsweise. Rechteinhaber klagen über YouTube mit dem Argument, dass ihnen ihre Inhalte genommen würden. Auf der anderen Seite steigt der Wert dieser Inhalte, weil sie über YouTube aufgerufen werden. Davon profitiert wiederum der Rechteinhaber, also etwa ein Fernsehsender, der seine Inhalte nicht so gut positioniert hat wie YouTube. Es gibt also viele Orte, an denen neue Inhalte geschaffen, verändert und zugänglich gemacht werden. So viel zu den guten Seiten. Das schlechte ist: Das ist alles illegal. Und eine Generation wächst heran, bei der alles, was sie tut, illegal ist. Das höhlt die Herrschaft des Gesetzes in einer Demokratie aus. Es geht nicht darum, Madonnas Musik zu stehlen, sondern um neue Formen der Kreativität, die die Fähigkeiten der Menschen fördern. Viele Befürworter eines strengen Copyrights kommen mir vor wie die alten Sowjets 1988: Sie merken nicht, dass die Revolution schon gekommen ist, und sie meinen, sie könnten diesen merkwürdigen komplizierten bürokratischen Komplex weiter ausbauen. Genauso ist das Copyright-System heute. Wenn wir alle neuen kreativen Ausdrucksmöglichkeiten unterbinden, werden die Jungen die Rechtslage einfach ignorieren. Wir müssen das Urheberrecht reformieren, sonst wird es übergangen. Ich möchte dieses System neu gestalten, damit es im digitalen Zeitalter überlebt, damit es auch in Zukunft die Anreize schafft, die es braucht, um Künstler hervorzubringen.

Interview: Johan Schloemann, Andreas Zielcke Deutsch von Felix Denk

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: