Süddeutsche Zeitung

"Last Days of American Crime" auf Netflix:Zahme Schurken

Olivier Megaton hat sich für seinen Film "Last Days of American Crime" etwas zu viel Mühe gegeben. Der Thriller stockt zu oft.

Von Doris Kuhn

Was man gegen gewaltbereite Jugendliche tun kann, hat Stanley Kubrick 1971 mit "A Clockwork Orange" beschrieben: Man kann sie darauf konditionieren, beim Gedanken an Gewalt augenblicklich Übelkeit zu verspüren. Daran erinnert jetzt Olivier Megatons Science-Fiction-Film "Last days of American Crime" für Netflix, der mit der Frage beginnt, wie man ausufernde Straßenkriminalität abstellt. Interessanter wäre gegenwärtig, was gegen Polizeibrutalität hilft, aber da ist im Moment das Kino der Realität nicht gewachsen.

Immerhin dürfte "The Last Days of American Crime" den US-Präsidenten erheitern, denn er erzählt, wie die amerikanische Bevölkerung durch ein neuartiges Funksignal an die Kandare genommen wird: Wer ein Gesetz brechen will oder auch nur an Randale denkt, wird von Schmerzen gelähmt. Es wird, so heißt es, "der Cop in uns" aktiviert.

Schöne Idee. Noch schöner wird sie durch ihr Timing: Die Verbrechensprävention soll erst in fünf Tagen gelauncht werden. Genug Zeit für jeden Kriminellen, der was auf sich hält, um schnell noch so kriminell wie möglich zu sein. Der Film folgt also dem abgebrühten Gangster Graham Bricke in Detroit, der einen letzten Coup angeboten bekommt. Da der Film nach Vorlage eines Comics entstand und da Megaton sichtlich den Plan verfolgt, sämtliche B-Thriller der Neunzigerjahre zu plündern, fährt er schon in den ersten zehn Minuten etliches auf, was guten Trash ausmacht. Ein Mann explodiert in der Badewanne, die Straßen sind voll Rauch und Riot, barbusige Mädchen tanzen auf Autodächern, während die Medien von einer paradiesischen Zukunft träumen und die Stunden bis dahin herunterzählen.

Derweil wird Bricke von einem jungen Angeber und dessen Hacker-Freundin aufs Korn genommen. Sie weckt sein Interesse mit Sex in einem verschmierten Kneipenklo, er wiederum redet von der Möglichkeit, das Signal hier, nur eine Brücke von der kanadischen Grenze entfernt, um eine halbe Stunde zu verzögern. Da ließe sich leicht eine Milliarde stehlen. Beides gibt Bricke zu denken, den Zuschauern allerdings nicht. Sie bekommen durch eine Kommentarstimme alles noch mal erklärt, was die Sorglosigkeit untergräbt, die dem Trashkino innewohnen sollte. Dafür kann man zusehen, wie die Figuren ihre Manierismen pflegen, allen voran der kleine Angeber, gespielt von Michael Pitt. Der versucht abwechselnd John Wayne, einen Superhelden oder ein Psychoflittchen mit schwerer Kindheit zu geben, der Unterhaltungswert ist mäßig. Er gibt sich zu viel Mühe - das ist ein Problem, das nach dem ersten Schwung den ganzen Film erfasst.

Die Handlungsstränge werden zahlreich. Erotik, Konkurrenz, Eitelkeit bringen das Tempo ins Stocken, irgendwann hilft auch der Blick auf die großartigen Orte nicht mehr, an denen die Gangster agieren. Zwischendurch darf man Versammlungen beiwohnen, in denen die Zukunft der Polizei verhandelt wird, sobald es kein Verbrechen mehr gibt; auch wird angerissen, ob das Signal für die Exekutive gilt oder nicht. Davon würde man gern mehr sehen, das wäre ein Part, an dem die Realität andocken könnte. Aber da hat Megaton sich schon in zu viele Schlenker verstrickt, aus denen er nur mühsam herausfindet. Manchmal reckt sich sein Thriller kurz und wird plötzlich spannend, aber meistens holt sich der Cop in Megaton scheinbar grade ein Bier, statt sich um den rechten Weg bei der Dramaturgie zu kümmern.

The Last days of American Crime, USA 2020 - Regie: Olivier Megaton. Mit Edgar Ramirez, Michael Pitt, Anna Brewster. Netflix, 148 Minuten.

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SZ vom 12.06.2020
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