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"The House That Jack Built" im Kino:Ein Film wie eine perverse Therapiestunde

  • Im neuen Film von Lars von Trier geht es um die Psyche eines Serienkillers, der in den Siebzigerjahren in den USA unerkannt mehr als sechzig Morde begeht.
  • "The House That Jack Built" zeigt die zynischsten, grausamsten und gefühllosesten Szenen, die dieser Regisseur bislang gedreht hat.
  • Gedanklich ist der Film dafür aber weitgehend leer.

Von Tobias Kniebe

Vielleicht wird die Sache erträglicher, wenn man ausnahmsweise mit der Person beginnt. Also mit jenem mitfühlenden, empathischen Wesen, dass der große dänische Regisseur Lars von Trier sicherlich (auch) ist. Da war zum Beispiel plötzlich ein Zittern in der Stimme und eine Träne im Auge, als er im Interview mit diesem Reporter über die Gefühllosigkeit des Massenmörders Anders Breivik sprach, der auf der Insel Utøya kurz zuvor siebzig Minuten lang Kinder gejagt und erschossen hatte: "Solche Grausamkeit... ist unvorstellbar für mich."

Das war vor sieben Jahren, und nach allem, was man hört, ist Lars von Trier seither eher fragiler und zartfühlender geworden. Er macht schon lange in der Öffentlichkeit kein Hehl mehr daraus, dass er seit Kindheitstagen an Panikattacken, bipolaren Störungen und schweren Depressionen leidet, vor denen er auch über Jahre in Drogen und Alkohol geflüchtet ist.

In Cannes, im Frühjahr, sagte er sogar, er könne nicht mal mehr Tennisspiele im Fernsehen anschauen, weil da ja immer jemand verliere: "Das ertrage ich nicht.

So sensibel bin ich mittlerweile." Wie nun allerdings diese Gefühle zu seinem neuen Film passen, der nach einer Aufsehen und auch Empörung erregenden Cannes-Premiere jetzt in die deutschen Kinos kommt, ist ein gewisses Rätsel. "The House That Jack Built" enthält die zynischsten, grausamsten und gefühllosesten Szenen, die dieser Regisseur bislang gedreht hat, und an solchen war sein Werk schon bisher nicht arm. Das Ganze wirkt über weite Stecken wie eine Art Selbstversuch, ob vollkommene Gefühllosigkeit à la Breivik nicht vielleicht doch herstellbar sei, wenn schon nicht real, dann beim Inszenieren ausgedachter Grausamkeiten.

Schon möglich, dass Tiefenpsychologen und Traumatherapeuten darin eine Überlebens- und Desensibilisierungsstrategie erkennen könnten. Wer sich etwa tagelang mit der Frage auseinandersetzen muss, wie man einem Entenküken - scheinbar - die Füße mit einer Gartenschere abknipst, so dass es auf der großen Kinoleinwand hinterher absolut real aussieht, bringt in dieser Zeit vielleicht seine realen Ängste zum Schweigen. Gleiches gilt möglicherweise für die Aufgabe, einer Frau - scheinbar - beide Brüste mit dem Küchenmesser abzusäbeln. Oder Kinder mit einem Jagdgewehr niederzustrecken.

"Wenn du das Bedürfnis hast zu schreien, solltest du das jetzt tun", sagt der Killer

Es gibt eine klinische Strategie in der Behandlung von Phobien und Zwangsgedanken, die genau so funktioniert. Sie wird Flooding genannt. Wer etwa außergewöhnliche Angst davor hat, verstümmelt zu werden, soll beim Flooding seine schlimmsten Vorstellungen bis ins letzte Detail eines blutigen Splatterfilms ausmalen - und dann eine Tonaufnahme davon machen. Diese muss er sich anschließend immer wieder anhören, in endloser Wiederholung - so lange, bis die eigenen Albträume anfangen, den Patienten schrecklich zu langweilen. Dann ist er auf dem Weg der Besserung.

Ist "The House That Jack Built" also das teuerste und aufwendigste Flooding-Tape der Medizingeschichte? Es scheint fast so zu sein, denn jede andere Betrachtungsweise ergibt wenig Sinn. Frühere Filme Lars von Triers, denen er seinen Status als umstrittenes Filmgenie verdankt, liefen auf starke philosophische Pointen hinaus, kühne existenzielle Behauptungen, die noch lange nachhallten. Es ging um die spirituelle Macht der Hingabe ("Breaking The Waves"), um die furchtbarsten Untiefen, die unweigerlich in uns selbst lauern ("Anti-christ") oder um die Eroberung des Seelenfriedens angesichts der Apokalypse ("Melancholia").

Dieser neue Film hat nichts davon, er ist gedanklich weitgehend leer. Zwar geht es ostentativ um die Psyche des Serienkillers Jack (Matt Dillon), der in den Siebzigerjahren in den USA unerkannt mehr als sechzig Morde begeht, von denen fünf exemplarisch gezeigt werden. Als Zuschauer sucht man aber selbst bei Serienkillern nach einer gewissen Zwangsläufigkeit in ihrem Motiven und Weltkonstruktionen, die sie über den Status eines ausgedachten Pappkameraden hinausheben. Eine Weltkonstruktion versucht auch Jack zu liefern, in endlosen Erklärungen über den Mord als Kunstwerk, die Macht der Symbolik bei den Nazis, die Rolle des Bösen in der Welt, aber das ist alles so banal und überraschungslos, dass Lars von Trier selbst nicht daran zu glauben scheint.

Die interessantesten Momente sind noch die eingestreuten Miniaturen über die absolute Idiotie des Menschen und vollkommene Herzlosigkeit der Welt - die wie sehr persönliche Klagelieder des Regisseurs wirken. So wird Jack nach einem Frauenmord, bei dem man ihn an der Haustür bereits beobachtet hat und er nach der Tat eigentlich schleunigst flüchten sollte, von einem manischen Putzzwang erfasst. Er sitzt bereits im Auto, malt sich dann aber plötzlich Blutflecken am Boden und an den Wänden aus, die er eigentlich längst abgewischt hat, und muss fluchend zum Tatort zurück, wieder und wieder, um zu kontrollieren, dass da nichts mehr zu sehen ist - das ist dann wirklich fast komisch.

Oder diese Szene, in der ein etwas begriffsstutziges Opfer namens Jaqueline (Riley Keough) irgendwann tatsächlich glaubt, dass sie einen Massenmörder vor sich hat, und echter Horror in ihr Gesicht schleicht. "Wenn du das Bedürfnis hast zu schreien, solltest du das jetzt tun", sagt Jack. Sie versucht es, ziemlich schrill, aber außerhalb ihres Apartments regt sich keine Menschenseele. Jack gibt sich hilfsbereit, er schreit beim nächsten Versuch sogar mit. Schließlich öffnen sie das Fenster und brüllen gemeinsam in die Nacht hinaus, aber die Welt da draußen ist seelenlos, sie nimmt keinerlei Notiz. So muss ein weiterer Mord passieren, inklusive der abgetrennten Brüste.

Fragen könnte man, ob eine private Desensibilisierungs-Strategie und persönlicher Weltekel sich unbedingt in einer millionenteuren Filmproduktion manifestieren müssen. Die Antwort kann eigentlich nur heißen: Warum nicht, solange jemand trotz schwerer Gestörtheit noch andere Menschen davon überzeugen kann, dabei kreativ und finanziell mitzuwirken. Ein Mann, der - wie auch immer - sogar Schauspielerinnen wie Uma Thurmann (als besonders nervige Anhalterin, die zum ersten Opfer wird) und die aufstrebende Riley Keough ("American Honey") dazu bringen kann, Rollen anzunehmen, die die Sache der Frauen in der Welt nun wirklich keinen Millimeter voranbringen, hat solche Ausdrucksmöglichkeiten möglicherweise verdient.

Außerdem ist ja niemand gezwungen, das Ganze anzuschauen - da braucht es schon verschärftes Interesse an Lars von Triers Künstlerpersönlichkeit. Im Sinne des Flooding wünscht man ihm jetzt, dass er sich den Film selbst einmal täglich reinzieht, bis ihn dabei ein Zustand existenzieller Langeweile befällt - wobei die Vermutung nicht ganz von der Hand zu weisen ist, dass er dieses Stadium bereits erreicht hat. Von da an kann es wieder aufwärtsgehen, und nichts wäre ihm mehr zu wünschen. Was ihn andernfalls nämlich erwartet, hat er sich am Ende von "The House That Jack Built" auch schon ausgemalt.

Am tiefsten Grund der Hölle, in die Jack nach dem Ende seiner Missetaten hinabfährt, geleitet von einem Führer namens Verge (Bruno Ganz), in dem man den römischen Dichter Vergil erkennen soll, Dantes Fährmann in der "Göttlichen Komödie", wartet nämlich noch einmal ein besonderer Schlund. Er leuchtet rötlich aus tiefster Tiefe, er ist ungefähr so groß wie die Leere, die derzeit in Lars von Triers Seele klafft, und er ist absolut bodenlos. Wer einmal dort eingesogen wird, für den gibt es keine Wiederkehr mehr. Das wünscht man Jack, diesem Pappkameraden des Bösen, von Herzen - seinem Schöpfer aber auf keinen Fall.

The House That Jack Built, DK/SW 2018 - Regie: Lars von Trier. Buch: Von Trier, Jenle Hallund. Kamera: Manuel A. Claro. Mit Matt Dillon, Bruno Ganz, Uma Thurman, Riley Keough. Concorde, 153 Min.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2018/luch
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