Lars Eidinger im Porträt:Der, der den Hund an die Wand spielt

In der Rolle des verwirrten Mittdreißigers ist Lars Eidinger in Filmen wie "Alle Anderen" zum Liebling einer ganzen Generation geworden. Begegnung mit einem Schauspieler, der weiß, wie man Lebensgeschichten erzählen muss. Auch seine eigene. Über die redet er ziemlich gerne.

Von Katharina Riehl

Es wäre schon schöner, wenn es schöner wäre, hat Erich Kästner gedichtet, und weil dieser Wahrheit kaum etwas hinzuzufügen ist, hat Maren Ade mit Alle anderen im Jahr 2009 wahrscheinlich einen Film für die Ewigkeit geschaffen. Alle anderen erzählt von Chris und Gitti, einem Paar Anfang 30 im Urlaub auf Sardinien. Das läuft alles ganz gut, Sonne, Pool, Sex, bis Chris einen alten Bekannten samt schwangerer Ehefrau trifft. Bis das Vergleichen beginnt. Bis Chris und Gitti nicht mehr von der Frage loskommen, ob es alle anderen nicht doch ein bisschen schöner haben als sie selbst.

Für den Schauspieler Lars Eidinger ist Alle anderen ganz sicher ein Film für die Ewigkeit. Er hat den Chris gespielt, es war seine erste große Filmrolle. Und eine ganze Generation hat Lars Eidinger da in der Rolle ihres eigenen Lebens gesehen.

Es ist einer dieser schwer verregneten Frühsommertage in München, es ist Filmfest, drei Fernsehspiele mit Lars Eidinger werden dort gezeigt. Für zwei der Premieren ist er nach Süden geflogen, gerade eben ist er gelandet. In dem Münchner Café, das nah genug an seinem Hotel liegt, dass er nach dem Gespräch und vor dem Film noch duschen kann (seine frisch bezogene Berliner Wohnung hat noch kein Bad), bestellt er sich zwei Hauptgerichte. Aber dann, als es endlich um ihn und seine Arbeit gehen soll, da fixiert er, voll konzentriert, sein Gegenüber. Denn über sich, und er selbst würde wohl kaum widersprechen, redet Lars Eidinger sehr gerne.

Es gibt wenige Film- und Fernsehschauspieler, in die sich das gesamtdeutsche Feuilleton so bedingungslos verliebt hat wie in Lars Eidinger. An der Berliner Schaubühne spielt er einen Hamlet, über den sogar Menschen sprechen, die Shakespeare eher für den Autor dieser netten Filme mit Kenneth Branagh halten.

Die Rolle seines Lebens

Im vergangenen Jahr war er der Täter in einem Tatort, ein Postbote, der sich in Wohnungen einschlich und in das Leben der Frauen, die dort lebten. Das war einer der besten Filme der oft so durchschnittlichen Reihe. Vor ein paar Wochen lief ein großartiger Münchner Polizeiruf mit Matthias Brandt, in dem Lars Eidinger einen Transvestiten spielte. Und trotzdem ist die Rolle von Maren Ades Chris in all den vielen begeisterten Geschichten immer als die Rolle seines Lebens interpretiert worden.

Es ist die Rolle eines bürgerlichen und etwas verlorenen Mittdreißigers auf der Suche nach sich selbst. In Hans-Christian Schmids Kinofilm Was bleibt hat er im vergangenen Jahr einen solchen jungen Mann gespielt, auch einer seiner Filmfestfilme ist so eine Geschichte. Du bist dran, der Ende August in der ARD läuft, erzählt von Peter, der mehr so unabsichtlich das Karrieremachen seiner Frau überließ und sich um die Kinder kümmert. Es ist ein Film über einen klassischen Rollenkonflikt, über das Verhältnis zu den eigenen Eltern. Fragen, die vielleicht nur in einem Milieu existenziell werden, das sich mit wenigen anderen existenziellen Fragen beschäftigen muss.

Eidinger gibt sich anarchisch

Lars Eidinger stellt den Blick scharf und sagt: "Die klassische Frage von Zuschauern ist: Wie lernt man so viel Text auswendig? Und die klassische Frage von Journalisten ist: Haben Sie keine Angst, in eine Schublade gesteckt zu werden?" Er verstehe das, weil Journalismus ja so auch funktioniere, dass man Kategorien sucht. "Aber ich denke so wirklich nicht."

Lars Eidinger sagt immer wieder mal solche Sätze, er spricht gerne über sein Bild in den Medien, über die Rollen, die ihm zugewiesen werden. Er spielt mit seiner Außenwahrnehmung, um sich dann auch von ihr distanzieren können. Immer nur kleine kluge Fernsehfilme? Lars Eidinger spielt den Siegfried in einem ZDF-Film über die Familie Wagner, ein Kostümspektakel fürs ganz große Publikum. Immer nur Autorenkino? Lars Eidinger bewarb sich, um in dem von den Produzenten erhofften Kinoblockbuster über Natascha Kampusch deren Entführer Priklopil zu spielen. "Ich wollte unbedingt dieser Typ sein", sagt er. Und, ganz allgemein: "Es ist doch total klemmig zu sagen, ich mache nur Arthouse-Filme. Ich finde es im Gegenteil viel anarchischer, einfach alles zu machen, worauf man Lust hat." Anarchisch. Das ist natürlich das, was hängenbleiben soll.

Man nimmt das alles zur Kenntnis, wenn man mit Lars Eidinger spricht, an jenem Regentag in München, am selben Abend beim Filmfestabendessen des WDR, ein paar Wochen früher bei den Dreharbeiten zum ZDF-Wagner-Spektakel. Lars Eidinger ist niemand, der in irgendeinem Zusammenhang Bescheidenheit vorgeben würde, wo keine ist, und er nimmt es auch anscheinend niemandem übel, wenn er genau das über ihn sagt oder schreibt.

Eitelkeit ist Grundvoraussetzung

Auch darüber hat er immer wieder in Interviews gesprochen, darüber, dass Eitelkeit für den Beruf des Schauspielers nun einmal eine Grundvoraussetzung sei, zu der man stehen sollte. Wenn man mag, kann man Lars Eidinger also für eine erfolgsverwöhnte Rampensau halten. Wenn man ihn spielen gesehen hat, hält man ihn aber vor allem für einen wirklich außergewöhnlich guten Schauspieler.

Lars Eidinger, 1976 in Berlin geboren, Sohn einer Kinderkrankenschwester und eines Ingenieurs, wurde schon in den 80er-Jahren eine Art Kinderstar, zumindest im Sendegebiet des Senders Freies Berlin, wo die Jugendsendung Moskito vor allem gezeigt wurde. Er sagt, er sei früher in Berlin mehr auf der Straße angesprochen worden als heute. Später ging er an die Ernst-Busch-Schauspielschule, und es gehört auch zu seiner Lebenserzählung, dass er genau damit, was ihm heute so besonders viel Anerkennung bringt, "überhaupt nichts am Hut" hatte: das Theater, die Klassiker, der Hamlet.

"Richtigen Scheiß" bekommt er nicht mehr angeboten

Er wollte immer Filmschauspieler werden, sagt er, nie Theaterschauspieler. "Das war immer eine Welt, vor der ich mich eher gegruselt habe, so mit der Ritterrüstung in der Kantine sitzen und Anekdoten erzählen." Das klinge - wieder so ein Ausflug auf die Metaebene seiner Geschichte - vielleicht ein bisschen nach Mythenbildung, "aber ich war das erste Mal so richtig im Theater, da war ich schon auf der Schauspielschule."

Aber an der Schauspielschule, da habe er sich dann schon verliebt, sagt er, und wenn man ihn richtig versteht, dann bietet die Bühne einem wie ihm auch noch Herausforderungen, die er im Film so nicht findet. Er sagt, gegen Kinder und Tiere habe niemand eine Chance auf der Bühne. Sein Ziel sei es immer gewesen, "den Hund an die Wand zu spielen". Er ist längst ein Theatermann, im Frühling dieses Jahres hat er selbst an der Schaubühne Romeo und Julia inszeniert.

Schloss Einstein war "ein Albtraum"

Lars Eidinger wurde also Theaterschauspieler, Thomas Ostermeier, der Intendant der Schaubühne, besetzte und förderte ihn. Aber das Fernsehen ließ ihn nicht los, der Film, die Kamera, sobald er das von seinem Theater aus durfte, begann er zu drehen. Erst auch Unsinn wie die ZDF-Vorabendserie Notruf Hafenkante oder die Kika-Serie Schloss Einstein. Letztere Sendung hatte er vorher nie gesehen. Das sei, sagt Lars Eidinger, "ein Albtraum" gewesen. Danach habe er beschlossen, sich einen Fernseher anzuschaffen.

Aber das alles war nur der Anfang, dann drehte er mit Maren Ade, Angebote kommen seither genug, und "richtigen Scheiß" bekomme er gar nicht mehr angeboten. Maren Ade hat auf der Bühne erkannt, was sich vor der Kamera aus ihm noch alles herausholen lassen würde, und Lars Eidinger benutzt einen dieser Lars-Eidinger-Sätze, um das zu beschreiben: Das klinge immer blöd, sagt er, aber es spreche für die Qualität von Maren Ade, dass sie ihn so vom Theater weg für Alle anderen besetzt habe.

Den Kampusch-Entführer Priklopil übrigens spielte am Ende bekanntlich der Däne Thure Lindhardt. Aber wie wäre es auch, wenn gar nichts mehr noch ein kleines bisschen schöner werden könnte.

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