Larry Clark zum 70.:Archivar der verirrten Jugend

Von Amphetaminen bis zum härtesten Stoff: Larry Clark hat in seiner Jugend mit Sex und Drugs viele Erfahrungen gesammelt. Allerdings konsumierte er die Drogen nicht nur, sondern dokumentierte auch ihren Missbrauch - erst in Fotos, dann in Filmen, die ihn zu einem umstrittenen Vorreiter im US-Kunstbetrieb machten. Aus Anlass seines 70. Geburtstags Bilder aus seinem bahnbrechenden Film "Kids".

Von Paul Katzenberger

9 Bilder

Larry Clark Portrait Session - The 7th Rome Film Festival

Quelle: Gareth Cattermole/Getty Images

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Wilder und visueller kann ein Leben kaum beginnen: Der amerikanische Filmemacher Larry Clark erlebte eine Kindheit als Sohn einer Frau, die ihr Geld als umherziehende Fotografin ohne festen Wohnsitz verdiente und vor allem Familienbilder schoss. Bereits mit 13 Jahren war Clark Mitarbeiter des kleinen Familienunternehmens - er sog die Fotografie also mit der Muttermilch auf.

Doch es war auch eine versehrte Kindheit: 1957 begann der damals 16-Jährige bereits, mit Freunden Amphetamine zu spritzen. Es folgten Marihuana und dann der ganz harte Stoff. Das Besondere: Er hielt das Tun seiner Freunde auf Zelluloid fest. "Ohne Drogen", sagte er später einmal, "hätte ich kein einziges dieser Fotos gemacht, aber ohne das Fotografieren hätte ich die Drogen auch nicht überlebt."

Es bedurfte allerdings einer Zäsur, damit Clark den künstlerischen Ausdruck seiner damaligen Fotografie-Leidenschaft nach außen vermitteln wollte. Diesen Einschnitt stellten seine Erfahrungen im Vietnam-Krieg dar, den er als GI in den sechziger Jahren miterlebte. So entstand 1971 sein erstes Buch "Tulsa", benannt nach seiner Geburtsstadt Tulsa, Oklahoma, in der er den Drogenmissbrauch in seiner Clique aus Jugendzeiten in Fotos darstellte.

Text: Paul Katzenberger

Larry Clark im November 2012 auf dem Filmfestival Rom, bei dem er für seinen Film "Marfa Girl" ausgezeichnet wurde.

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Quelle: SZ

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"Tulsa" gilt heute als ikonographisches Buch. Erstmals zeigte da jemand die amerikanische Jugend, bei all den Dingen, von denen Eltern nichts wissen wollen: Bei Sex, Drugs und beim Spielen mit Waffen. Nach zwei weiteren Fotobänden ("Teenage Lust", 1983, und "A perfect childhood", 1993) fand Clark durch die Zusammenarbeit mit Chris Isaak zum Film, als er für das Musikvideo "Solitary Man" des Rockmusikers die Regie führte. Für Clark war das ein logische Weiterentwicklung, denn schon seine Fotobücher dokumentieren den Drang, große Geschichten zu erzählen. Sie enthielten nicht nur Einzelbilder, sondern auch Kontaktbögen und Bilderfolgen.

Zwei Jahre später kam schließlich Clarks erster Spielfilm "Kids" in die Kinos, den er 1994 in nur zwei Wochen abgedreht hatte. Der Skandalfilm gilt neben "Tulsa" heute als Clarks zweites bahnbrechendes Werk. Der Plot ist typisch für ihn: Der 16-jährige Telly (Leo Fitzpatrick), hat Angst, sich mit dem HI-Virus anzustecken, und hat daher nur mit Jungfrauen Sex; ohne zu ahnen, dass er längst von dem Virus befallen ist und die Mädchen damit ansteckt. Eigentlich ...

Leo Fitzpatrik in einer Szene von "Kids"

Szene aus "Kids" (1995), Regie: Larry Clark

Quelle: Larry Clark, Kids, 1995, Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York

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... wiederholte Larry Clark in "Kids" nur sein Lebensthema: Wohlstandskinder, die kreuz und quer miteinander schlafen und Drogen nehmen. Sein anhaltendes Interesse am Thema Jugend begründete Clark in einem Interview mit dem US-Kulturportal Salon.com mit der großen Bedeutung der Jugendzeit für das spätere Leben und den Unterschieden zwischen heutigen Jugendlichen und ihm selbst in diesem Alter: "Die Informationen, über die Kinder heute verfügen, sind völlig anders als zu der Zeit, als ich aufwuchs. Da wurde uns überhaupt nichts erzählt. Das fasziniert mich."

Szene "Kinder im Bett" aus "Kids"

Szene aus "Kids" (1995), Regie: Larry Clark

Quelle: Larry Clark, Kids, 1995, Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York

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Wie schon in "Tulsa" zeigte Larry Clark eine Verbindung von Jugend, Sex und Tod auf, wobei sie nun durch Aids viel zwingender erschien und daher eine deutlich größere öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog.

Das lag auch daran, dass der Konsum von Heroin in den neunziger Jahren in der Mittelschicht teilweise gesellschaftsfähig geworden war. Der Stoff, der sich in den achtziger Jahren verbilligt hatte, wurde wegen der Aids-Gefahr, die durch den gemeinsamen Gebrauch von Injektionsnadeln bestand, nicht mehr so häufig intravenös konsumiert und statt dessen öfters geraucht. Diese Form des Konsums bremste aber den körperlichen Verfall, was wiederum die Angstschwelle vor der harten Droge sinken ließ.

Der Schauspieler Justin Pierce als Casper in "Kids". Pierce, der von Clark beim Skateboarden im New Yorker Greenwich Village entdeckt worden war, erhängte sich im Alter von 25 Jahren in einem Hotelzimmer in Las Vegas. Er hatte zwei Abschiedsbriefe verfasst, über deren Inhalt nichts bekannt wurde.

Szene aus "Kids" (1995), Regie: Larry Clark

Quelle: Larry Clark, Kids, 1995, Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York

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Dementsprechend erkannten sich auch Jugendliche aus geordneten Verhältnissen in "Kids" wieder. Die New York Times nannte den Film einen "Weckruf an die moderne Welt" über die heutige urbane Jugend. Doch vielen Beobachtern ging die Dekadenz Clarks zu weit. Sein Film beinhaltet jede Menge Dialoge mit sexuellen Inhalten und zeigt etliche Szenen, die Gewalt, Drogenhandel, date rape, Alkoholmissbrauch, Diebstahl und die Verführung von pubertierenden Jugendlichen zum Inhalt haben. Kritisiert wurde auch, dass die Laienschauspieler, die Clark buchstäblich auf der Straße für seinen Film aufgesammelt hatte, noch viel zu jung für solch drastische Szenen seien. 

Szene aus "Kids"

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Quelle: Larry Clark, Kids, 1995, Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York

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"Kids" wurde in einigen Ländern verboten, in anderen erst ab 18 Jahren freigegeben. In den USA bekam der Film das NC-17-Rating (Zutritt für Personen mit 17 Jahren oder jünger ist untersagt), das gemeinhin für Pornofilme vergeben wird. Die Verleihrechte für den Film lagen zunächst bei der Disney-Tochter Miramax, doch mussten von ihr an den mächtigen Produzenten Harvey Weinstein abgestoßen werden, weil Disney prinzipiell keine Filme vermarktet, die von den Behörden als jugendgefährdend eingestuft werden. Larry Clark wurde vorgeworfen, er bediene unter dem Vorwand der Kunst die bloße  Sensationsgier seines Publikums, er sei ein Voyeur.

Szene aus "Kids"

Szene aus "Kids" (1995), Regie: Larry Clark

Quelle: Larry Clark, Kids, 1995, Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York

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Kritiker, die Larry Clark als "Borderline-Pädophilen" bezeichnen, nennt der Filmemacher verrückt und sieht sich dabei durch die Weltliteratur entlastet: "Was ist mit Romeo und Julia. Waren die nicht 14 Jahre alt oder so ähnlich? Sie (die Kritiker: Anm. d. Red) sollten sich mal um diesen Film kümmern. Hatten die nicht auch Sex im Film? So verfolgt Shakespeare. Es ist lächerlich!" "Kids" habe mit Pornografie nichts zu tun und handele davon, was Kinder tun, wenn Erwachsene nicht dabei seien.

Szene "Küssen" aus "Kids".

Szene aus "Kids" (1995), Regie: Larry Clark

Quelle: Larry Clark, Kids, 1995, Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York

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Die Meinungen über Larry Clark werden wohl immer weit auseinanderklaffen. Für die einen ist er ein Pionier, der seine verirrten Halbstarken zu fotografieren begann, als sich die offizielle Kunstdoktrin der USA noch in der Pop Art erschöpfte. Für diese Beobachter ist Clark ein Vorreiter für Fotografen wie etwa dem beinahe gleichaltrigen Robert Mapplethorpe, der mit seinen Provokationen erst in den achtziger Jahren reüssierte. Der etwa zehn Jahre jüngere Gus van Sant griff das Jugendthema erst zu Beginn der neunziger Jahre mit Filmen wie "My private Idaho" auf, dann aber so erfolgreich, dass er darauf eine veritable Hollywood-Karriere begründete. Besonders Nan Goldin wird heute als würdige Nachfolgerin Clarks betrachtet. Die New Yorkerin zählt mit den  schockierenden Momentaufnahmen ihrer todgeweihten Freunde heute zu den bedeutendsten Fotografinnen der Gegenwart und stellt ihre Bilder weltweit aus. Andererseits sprechen ...

Szene "Mädchen am Pool" aus "Kids"

Szene aus "Kids" (1995), Regie: Larry Clark

Quelle: Larry Clark, Kids, 1995, Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York

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... viele Beobachter Larry Clark den Status eines ernstzunehmenden Künstlers ab. Für sie ist er eben kein Chronist verlorener Generationen oder abseits stehender Gruppen, sondern nur ein Sammler von Motiven, der keine Antwort auf die Frage hat, wie der Ausweglosigkeit zu entkommen ist. Dessen ungeachtet ist der Filmemacher unwiderruflich im etablierten Kunstbetrieb angekommen: Inzwischen wird er von der renommierten New Yorker Galerie Luhring Augustine vertreten. An diesem Samstag wird er 70 Jahre alt.

Szene "Jenny im Aufzug" aus "Kids"

© Süddeutsche.de/ihe
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