Landschaftsarchitektur:Jenseits vom Gartencenter

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Von wegen, Landschaftsarchitekten gestalten nur Gärten und Beete! Die Münchner Ausstellung "Draußen" zeigt, wie grundlegend sich die Freiraumplanung gewandelt hat.

Von Gerhard Matzig

Wer die heitere Anmut des Englischen Gartens in München liebt und die formtrunkene Orangerie von Versailles bewundert, wer Parkanlagen generell als paradiesisch - sowie Parkhäuser grundsätzlich als satanisch empfindet, der ist erst einmal geschockt. Man steht in den Münchner Schauräumen der Landschaftsarchitektur, derzeit also in der Pinakothek der Moderne, reißt die Augen auf, um sich mal so richtig satt zu sehen am grandiosen Grünteppich der edlen Gartenkunst, und erblickt auf großformatigen, das Dunkel der Ausstellungsräume suggestiv ausleuchtenden Schautafeln: die Kloaken von Jakarta und den zugemüllten, in ein Kanal-Gefängnis gepferchten Tamanduateí, den Fluss von São Paulo. Man sieht das so gigantische wie fragile Blechhüttenelend von Lima und die Hölle des peripheren Bauerwartungslandes von Madrid, das mit jenem Madrid, das wir Touristen mögen, weniger zu tun hat als mit dem Mond, dem die Renditesteppe nachempfunden scheint.

Grau ist also drin, wo man grün erwartet hätte; Elend da, wo man das Glück suchen wollte; und das Sterben wohnt dort, wo man sich am Aufblühen erfreuen wollte. Ein Skandal. Die Schau "Draußen - Landschaftsarchitektur auf globalem Terrain" ist zunächst einmal eine Zumutung. Das ist übrigens auch das Großartige daran. Die Ausstellung erzählt von Problemen. Nicht - nur - von Lösungen.

"Als Landschaftsarchitekt lernst Du, wie Du Gärten, Parks, Sportplätze und andere Freizeitanlagen planst, anlegst und gestaltest. Landschaftsarchitektur ist ein ästhetisch-künstlerisches Berufsfeld." So wird die Zunft der Landschaftsarchitekten auf dem Internetportal Studycheck beschrieben. Man sei vor allem dann geeignet für diesen Beruf, heißt es dort, wenn man gute Schulnoten in den Fächern Kunst und Biologie habe. Sowie ein "ausgeprägtes Interesse für die schöne Welt der Pflanzen".

Es geht nicht um den Knöterich, sondern ums Überleben

Wer die kleine und doch gewaltig anregende Ausstellung "Draußen" im Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne wieder verlässt, der ahnt, dass Landschaftsarchitekten nicht nur Blumenbeete aufhübschen und den kleinen Knöterich vom Orient-Knöterich unterscheiden können. Sie sind außerdem auch zuständig für die Apokalypse.

Dargestellt wird das anhand von zehn (von unterschiedlichen universitären Teams betreuten) Fallbeispielen aus aller Welt, von Casablanca bis Kigali, von Madrid bis Medellín, wo es weniger um Spielrasen, sondern um Wasserkreisläufe geht. Selbst wenn Landschaftsarchitektinnen und Freiraumplaner diese Anmaßung von sich weisen, so legt die Münchner Ausstellung doch nahe, dass sich da gerade ein ganzer Berufsstand neu erfindet.

Denn die Studycheck-Definition müsste eigentlich wie folgt lauten: Als Landschaftsarchitekt lernst Du, wie Du Gärten gestaltest - und Du begreifst, dass die Folgen von Klimawandel, Globalisierung und Verstädterung die Welt in ihrer Existenz bedrohen. Weshalb sich nicht nur ein Interesse für die Welt der Pflanzen oder gute Kunst-Noten empfehlen - sondern auch ein Begreifen der Zusammenhänge von Urbanismus, Soziologie, Politik und Makro- sowie Mikro-Ökonomie.

Tatsächlich ist es so, dass sich das Terrain der Landschaftsarchitektur derzeit exakt im Spannungsfeld der größten Herausforderungen der Gegenwart befindet. Riesige, megalomane Städte entstehen, zugleich veröden ganze Landstriche. Das Ökosystem wankt, und im Zeitalter des Anthropozäns verformt der Mensch die Welt als Ganzes. Echte Freiräume, unberührte Natur gar, gibt es längst nicht mehr. Und sattschön gestaltete Gartenkunst ist eher ein Luxusphänomen als Ausdruck globaler Realität. Der Freiraumplaner wird deshalb jenseits der Gartencenter vom Grüngestalter zum generalistischen Ingenieur im Maschinenraum der Verstädterung.

Es ist verblüffend, aber eigentlich könnte man durchaus behaupten: Ein Orchideen-Beruf, der historisch auf die Gartenkunst seit der Antike zurückgeht (und den es in vielen Ländern dieser Erde gar nicht so recht gibt) ist unter der Hand zu einer aufregenden, in gewisser Weise sogar wirkmächtigen Profession geworden. Lösungen gehen damit nicht immer einher, aber die genaue Analyse des Problems ist meist der erste Schritt. Landschaftsarchitekten, die sich um den Wasserhaushalt ganzer Städte mühen oder der Frage nachgehen, welche Moose gegen Feinstaub helfen, sind deshalb auch Grundlagenforscher. Und mit einem kennen sie sich aus wie sonst nur Gärtner, mit der Dimension der Zeit. "Nichts ist zugleich im Entstehen begriffen und schon vollkommen." Diese Sentenz von Alberti beschreibt auch eine Branche, die sich - anders als Politik und Wirtschaft es tun - in Geduld zu üben hat.

Es geht also nicht lediglich um ein "ästhetisch-künstlerisches Berufsfeld", beschrieben wird auch die Kunst des Überlebens. Nicht allein die Formen machen die Bedeutung der Landschaftarchitektur aus, sondern die Folgen unseres Tuns. Weil sich aber das ökologische Gesamtsystem mit immer größerer Komplexität infolge zunehmender menschlicher Eingriffe dramatisch wandelt, verändert sich logischerweise auch der Beruf der Landschaftsarchitekten. Man hat sich die neue Allzuständigkeit sicher nicht gewünscht, nur kann man sich ihr auch nicht entziehen.

Landschaftsarchitekten sind keine Gärtner, das waren sie nie, sondern Zukunftsgestalter und Berater. Idealerweise macht die Kunst der Freiraumplanung die Welt ja auch schöner, aber erst einmal müsste sie halbwegs funktionieren, die schöne Welt.

Draußen. Architekturmuseum der Technischen Universität München in der Pinakothek der Moderne. Bis 20. August. Informationen unter: www.architekturmuseum.de

© SZ vom 28.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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