Landsberg:Land in Sicht

Spannendes Kino, Diskussionen und ein Manifest: Das "Snowdance Independent Filmfestival" zeigt die Vielfalt des unabhängigen Films und kämpft für mehr Aufmerksamkeit

Von Yvonne Poppek

So nah war Leo Kaserer noch nie dran. Auf elf Festivals hat er seinen Film "Last Fisherman" gezeigt, begonnen in Hof, dann auf mehreren Festivals in England, in San Francisco und Nevada. Nun ist er auf seinem letzten, dem "Snowdance Independent Filmfestival" in Landsberg am Lech und er hört diesen Satz, auf den vermutlich alle Independent-Filmer warten: "Schicken Sie mir Ihren Film." Den hört Kaserer nicht von irgendwem, sondern von Ulrich Herrmann, SWR-Redakteur, verantwortlich für Fernsehfilme und Kinoproduktionen. Und auch nicht irgendwo, sondern mitten in einer öffentlichen Diskussion. Gut 20 andere Filmschaffende und -interessierte können ihn auch hören. Und auch Kaserers glücksgetränkte Antwort: "Das ist für mich ein Highlight, Sie zu treffen und Sie das sagen zu hören."

Kaserers Schritt nach vorne, hin zum größeren Publikum, ist exemplarisch für das diesjährige "Snowdance", das am Sonntag zu Ende ging. Es ist die fünfte Ausgabe des Festivals, das der Regisseur Tom Bohn mit dem Marketingagent Jürgen Farenholtz gegründet hat und für das sich in diesem Jahr 320 Filmemacher aus 54 Ländern mit ihren Produktion beworben haben. 23 Langfilme und 50 Kurzfilme haben es in die Auswahl geschafft. Zu sehen sind zudem Serien, es gibt Schauspiel-Workshops, Speed-Casting und Partys. Auf denen kann dann um Mitternacht auch schon Mal eine Punk-Band spielen. Landsberg ist cool, ungezwungen, wenngleich auch nicht im Kern Punk. "Snowdance" soll unabhängigen Filmemachern eine Plattform bieten und über das Festival hinaus wirksam sein. Die Organisatoren sind engagiert, die Szene weiß das zu schätzen.

Das ist eben an diesem Samstagvormittag zu sehen. In Landsberg soll ein Manifest entstehen, das die Schwierigkeiten und Anliegen der Independent-Filmer beschreibt und an relevante Stellen adressiert. Auf dem Podium sitzen Ulrich Herrmann und Sky-Unternehmenssprecher Ralph Fürther. Sie diskutieren mit den Filmschaffenden über Chancen für Indie-Filme in den Sendern. Die Sender-Vertreter zeigen sich offen, konstatieren, dass aktuell ohnehin viel Bewegung in der Branche sei. Sie formulieren aber auch Forderungen an die Künstler.

Landsberg: Keineswegs trübe Aussichten: Die Dokumentation "Last Fisherman", die vom letzten traditionellen Fischer in Cawsand und von einem rauen Ort in Cornwall erzählt, stieß in Landsberg auf großes Interesse.

Keineswegs trübe Aussichten: Die Dokumentation "Last Fisherman", die vom letzten traditionellen Fischer in Cawsand und von einem rauen Ort in Cornwall erzählt, stieß in Landsberg auf großes Interesse.

(Foto: Last Fisherman)

Der Journalist Werner Lauff fasst die Ergebnisse der Diskussion später in dem Manifest zusammen. Da steht dann etwa drin, dass die unabhängigen Filmemacher vorschlagen, im Öffentlich-Rechtlichen "feste Sendeplätze für unabhängig produzierte Filme einzurichten". Ein kleiner Durchbruch ist schließlich eine Idee, die in einer Diskussion mit Lisa Giehl vom Filmfernsehfonds Bayern entsteht: Die Gründung eines Verleihs für unabhängige Filmemacher. Diese könnte vielen hier, die im Low- oder No-Budget-Bereich arbeiten, einiges erleichtern - auch den Weg in die Förderung. Am Ende umfasst das Manifest vier Seiten, ein Plädoyer für künstlerische Vielfalt, das aber nicht allein Appellcharakter hat, sondern - dank der praktischen Analyse in den Landsberger Diskussionen - Lösungswege aufzeigt.

Dass Independent-Filme eine größere Aufmerksamkeit verdienen und der Förderung wert sind, dafür liefert "Snowdance" dann auch gleich die Begründung. Es sind tolle Filme, die in Landsberg gezeigt werden, die weit weg sind von Filmbasteleien in Hinterhöfen. Tatsächlich spannend ist ihre große Unterschiedlichkeit. Das unterstreicht auch der diesjährige Schirmherr, der Schauspieler Götz Otto, der "Snowdance" zusätzliche Aufmerksamkeit verschafft, indem er, wie er selbst sagt, "den Grüß-Gott-Onkel" gibt. Otto hat am meisten Publikum erreicht, als er einmal als Bösewicht im James-Bond-Film "Der Morgen stirbt nie" mit Pierce Brosnan spielte. Absolutes Mainstream-Kino. Dennoch kennt er sich im Independent-Bereich aus, hat selbst dort schon einiges gemacht. "In Deutschland gibt es eigentlich nur ein Genre: den Krimi", sagt Otto. Kontrapunkt seien die Indie-Filme in Landsberg. Horror, Kammerspiel, Komödie, Doku, Thriller - das Festival zeichne sich dieses Mal durch die vielen Genrefilme geradezu aus.

Zu ihnen zählt etwa der packend erzählte Film "Poor Agnes" des kanadischen Regisseurs Navin Ramaswaran, der in Landsberg dann auch für die beste Regie ausgezeichnet wird. Serienkiller ist in diesem Film eine Frau, die sich eines ihrer Opfer perfide durch ihre Quälereien untertan macht. Oder die abgedrehte Komödie "Maybe, Baby!" von Julia Becker. Becker ist hier Drehbuchautorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin in einem und überspitzt amüsant die Themen Kinderwunsch, Partnerschaftslangeweile und Affäre.

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Prominenter Grüß-Gott-Onkel: Schauspieler Götz Otto übernahm die Schirmherrschaft von "Snowdance".

(Foto: Getty)

Toll ist auch Mascha Schilinskis still erzähltes Drama "Die Tochter", das vom schwierigen Versuch einer Familie erzählt, sich wiederzufinden. Schilinskis Figuren sind komplex und lebensnah, verneinen jegliche Hochglanz-Idylle, ohne in die Falle langweiliger Alltagsrealität zu tappen. Witzig und zugleich spannend ist wiederum der US-Thriller "Nowhere, Michigan" von Robert Vornkahl.

Und dann gibt es auch Filme wie die von Leo Kaserer, die nicht ganz zu fassen sind: Dokumentation, aber auch Filmgedicht. Kaserer ist Produzent von "Last Fisherman", die Filmidee ist seine. Kaserer ist eigentlich Sozialarbeiter, kommt aus Tirol und hat sieben Jahre seines Lebens als Krabbenfischer in Cornwall verbracht. "Last Fisherman" erzählt vom 70-jährigen Malcom Baker, letzter traditioneller Fischer des Ortes Cawsand, ein raues Eck in Cornwall, das droht, vom Tourismus vereinnahmt zu werden.

Den Film, sagt Kaserer, habe er für seine Kinder gemacht. Ihnen wollte er die Geschichte erzählen. Statt ein Haus zu bauen, steckte er sein Geld also in die Produktion. Der Tiroler ist kein typischer Vertreter der Filmbranche, auch nicht der Indie-Szene. Dennoch will er - wie alle anderen - seinen Film gezeigt wissen. Dem ist er nun einen Schritt näher gekommen. Näher als je zuvor. "Aber entscheidend", sagt Kaserer dann noch, "ist die Frage: Was bleibt von uns, wenn wir einmal gehen?"

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