Ausstellung zur Geschichte Europas:Die Gefürchteten

Ausstellung zur Geschichte Europas: Krieger auf einem Goldkrug aus dem 8. Jahrhundert, der zu einem Goldschatz gehört, den man 1799 in Sannicolau Mare/ Nagyszentmiklós fand.

Krieger auf einem Goldkrug aus dem 8. Jahrhundert, der zu einem Goldschatz gehört, den man 1799 in Sannicolau Mare/ Nagyszentmiklós fand.

(Foto: KHM-Museumsverband)

Der Hunnen-Anführer Attila galt als "Geißel Gottes" - und auch sonst flößten die Reiternomaden im 8. Jahrhundert ganz Europa Respekt ein. In Halle zeigt eine opulente Ausstellung, warum.

Von Harald Eggebrecht

Da reitet er im Rund des goldenen Medaillons auf einem goldenen Krug, selbst in Gold getrieben, gepanzert, die Lanze mit der Rechten über der Schulter haltend, mit der Linken einen Gefangenen am Schopf führend neben dem Pferd, ein abgeschlagener Kopf ist am Sattel befestigt - so reitet der bärtige Krieger dahin in seinem ganzen Siegerstolz. Der imponierende, noch mit anderen figürlichen Darstellungen geschmückte Krug aus dem 8. Jahrhundert gehört zum strahlend leuchtenden Goldschatz, den man 1799 fand in Sannicolau Mare/ Nagyszentmiklós, damals in Ungarn, heute in Rumänien. Die Motive, die hier womöglich für einen awarischen Herrscher, den Kaghan, ausgewählt wurden, stammen aus den Mythen des ganzen Mittelmeerraums. Doch die erzählerischen Hintergründe bleiben rätselhaft. Denn die Reiternomaden kannten keine Schriftkultur, ihre Sagen und Legenden ebenso wie ihre religiösen Ansichten und Bräuche wurden berichtet, besungen, aber nicht schriftlich festgehalten. Nähern kann man sich ihnen nun in einer Ausstellung in Halle.

Ausstellung zur Geschichte Europas: Rekonstruktion eines awarischen Reiterkriegers von Derecske-Bikás-dulo aus dem Déri Múzeum, Debrecen.

Rekonstruktion eines awarischen Reiterkriegers von Derecske-Bikás-dulo aus dem Déri Múzeum, Debrecen.

(Foto: Andrea Hörentrup/Landesamt für Denkmalpflege und Achäologie Sachsen-Anhalt.)

Ein ganz anders gearteter Fund: ein raffiniert in viele Eisenlamellen aufgeteilter Panzer, der schützt und doch volle Beweglichkeit garantiert, eine Sensation von 2017, im ungarischen Derecske ausgegraben. Erstmals wurde dort diese komplette Rüstung eines awarischen Reiterkriegers aus dem 8. Jahrhundert entdeckt. Neben den Originalfundstücken hat man als Blickfang den ganzen Mann samt Pferd in seiner Panzermontur lebensgroß und -echt rekonstruiert. Da reitet er nun ins Atrium der Ausstellung, die Lanze gereckt, auf einem mit Ornamenten versehenen Sattel, sein Ross mit edel verziertem Zaumzeug: ein imposanter Kerl mit langen Zöpfen, ohne Furcht und mit Entschlossenheit im Gesicht.

Noch ein drittes, viel älteres Exponat: ein elegant zylindrischer Kessel mit Fuß, alles aus Bronze. Daran Handgriffe, aus denen Pilze hervorzuwachsen scheinen. Um den Kesselrand zieht sich eine feine Bronzebordüre. Solcherart Kessel wie diesen, der ins frühe 5. Jahrhundert datiert wird, fand man in vielen Gräbern der Hunnen. Ihr Zweck bleibt geheimnisvoll, doch vermuten die Archäologen, dass sie bei Ritualhandlungen wohl als Opfergefäße genutzt wurden. Die drei spektakulären Stücke werden in der bestechend vielfältigen Schau über die Reiternomaden der Hunnen, Awaren und Ungarn im Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte in Halle präsentiert, dort, wo auch die Weltsensation der Himmelsscheibe von Nebra aufbewahrt wird.

Ausstellung zur Geschichte Europas: Füßchenschale mit Kopf eines gehörnten Löwen aus dem Goldschatz von Sânnicolau Mare/Nagyszentmiklós (Rumänien), 8. Jahrhundert.

Füßchenschale mit Kopf eines gehörnten Löwen aus dem Goldschatz von Sânnicolau Mare/Nagyszentmiklós (Rumänien), 8. Jahrhundert.

(Foto: Andrea Hörentrup./Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt.)

Der Ruf von Reiterscharen aus den Steppen des Ostens klingt bis heute immer noch nicht angstfrei durch die westliche Geschichte. Das begann schon in der Antike mit den Kimmeriern und den so kunstreichen wie kriegerischen Skythen, die Herodot durchaus nicht ohne Faszination beschrieben hat. Besonders im fünften nachchristlichen Jahrhundert setzte sich der Schrecken fort bei den Hunnen mit ihrem legendären Anführer Attila, der von katholischer Seite als "Geißel Gottes" verteufelt wurde. 451 wurden er und seine "Horden", zu denen sich auch slawische und germanische Völkerschaften gesellten, in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern von einem ebenfalls gemischten römisch-germanischen Heer unter Aëtius und Theoderich so geschlagen, dass er sich bald danach ins Karpatenbecken zurückzog. Spuren seines dortigen Herrschaftssitzes konnten bisher nicht entdeckt werden, denn die organischen Materialien Holz, Leder, Filz und andere Stoffe, aus denen die Nomaden ihre Häuser und Jurten bauten und aus denen auch die meisten Habseligkeiten bestanden haben, waren vergänglich.

Nur Metallisches wie Schwerter, Lanzen- und Pfeilspitzen, Verzierungen an Waffen oder die goldenen und silbernen Applikationen, mit denen man Zaumzeug und vor allem Gürtel schmückte, oder auch Scherben künden noch von jenen so mächtigen, aber dann in der Geschichte sich gleichsam verflüchtigenden Reitern, die einst in den großen Steppen westlich von China aufbrachen, um Glück und Beute gen Sonnenuntergang zu suchen.

Etwa hundert Jahre nach dem Zerfall der Hunnenherrschaft ritten die Awaren heran und gründeten ebenfalls im Karpatenbecken ein Reich, das schon mehr als zweihundert Jahre bestand, ehe es an Karl dem Großen und dessen fränkischen Kämpfern scheiterte. Ihnen folgten schließlich die Ungarn, die Otto der Große auf dem Lechfeld besiegte. Im 12. und 13. Jahrhundert errichteten die siegreichen Reiterschwärme der Mongolen das größte Reich der Weltgeschichte. Ähnlich erfolgreich waren die Osmanen, die 1453 Konstantinopel eroberten und ihre Macht bis nach Ungarn ausdehnten. Jedenfalls leuchtete lange in der europäischen Erzählung von den Steppenreitern aus dem Osten nicht ex oriente lux, sondern aus den Tiefen Eurasiens drohten aus westeuropäischer Sicht zuerst einmal Raub, Tod, Plünderung und Versklavung.

Man brachte den Reitern Bewunderung entgegen, gleichzeitig verbreiteten sie Angst

Doch wer in diese Ausstellung geht, dem öffnet dort die glanzvolle Schau von archäologischen Funden und ihrer historischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Einordnung die Augen für einen vielfältigen Blick auf Hunnen, Awaren und Ungarn. Selbstverständlich wird die zähe Kampfkraft, gepaart mit räuberischer Rücksichtslosigkeit, dargestellt, ohne die die Reiternomaden kaum so nachhaltig in die europäische Geschichte gestürmt wären und jene nachwirkende Ambivalenz aus Bewunderung und Schrecken ausgelöst hätten. Doch die Ausstellung versachlicht wohltuend dieses hin und her schwankende Bild mit konkreten Zeugnissen der Nomadenvölker, die letztlich in den Zivilisationen der Sesshaften ein- und auch in ihr aufgingen oder sich so assimilierten, dass sie selbst zu Kämpfern gegen Bedrohungen aus dem Osten wurden wie die Ungarn gegen die herandrängenden Türken.

Historische Fotografien von nomadischem Leben in den großen Steppen zeigen jene Lebensweisen mit Viehherden, die bei allem geschichtlichem Abstand vergleichbar gewesen sein müssen. Man sieht die leicht auf- und abzubauenden Jurten, Reiter mit schön geschmückten Gürteln als Statussymbol, an denen Schwerter, Säbel und Dolche hängen. Im Zentrum steht natürlich das Pferd, auf dessen Rücken die Nomaden ihr Glück in der Ferne suchten. Dabei revolutionierten sie auch Reittechniken. Die Awaren erfanden den Steigbügel, der den Sitz des Reiters so stabilisiert, dass er den Oberkörper in nahezu alle Richtungen frei bewegen kann. Ein Video zeigt, wie viele Pfeile ein Awarenkrieger in kürzester Zeit mit seinem durchschlagskräftigen Reflexbogen abschießen konnte. Außerdem konnten sie am Gegner vorbeireiten und sich im Sattel drehend ihn dann von hinten mit Geschossen attackieren.

Rasch wird klar, dass hier nicht homogene Ethnien unterwegs waren, sondern dass sich den Steppenreitern andere anschlossen mit Aussicht auf reiche Beute, ob gegen Westrom oder gegen Byzanz. Es waren Verbände, an denen auch germanische und slawische Gruppen sich beteiligten. Solange der Erfolg der Beutezüge anhielt, die üppigen Tributforderungen klappten, die Byzantiner oder Weströmer mehr oder weniger zähneknirschend ableisteten, hielt sich auch der Verbund einigermaßen. Gleichwohl gab es ständig destabilisierende Bewegungen. Mal wechselte hier ein Germanentrupp die Seiten oder es revoltierte eine andere Gruppe, um auf eigene Faust weiterzumachen.

Irgendwann gingen Hunnen, Awaren und Ungarn in Vielvölkerschaften auf

Am Ende aber, vorbeiziehend an herrlich filigranen Tier- und Pflanzendarstellungen, in Gold und Silber einst am Gürtel appliziert, an effektiven Waffen, raffiniert ausgetüftelten Sätteln und anderen Reitutensilien, vorbei an den künstlich gelängten hochstirnigen Schädeln, einem Schönheitsideal der Hunnen, fühlt man sich auch als Zeuge eines Jahrhunderte dauernden Transformationsprozesses, der die Reiternomaden ergriff, als sie losritten und auf den Reichtum, die Pracht und auch die Macht der beiden Roms stießen und damit auch diese Welt veränderten. Mochte die Strategie aus kriegerischer Bedrohung und daraus folgenden Tributzahlungen anfangs Erfolg haben, so wurden die Reiter dann zunehmend sesshaft. Ihre Oberklasse pflegte eine Weile aus gesellschaftlicher Unterscheidung noch alte Traditionen. Aber irgendwann waren Hunnen, Awaren und Ungarn doch in Vielvölkerschaften aufgegangen und selbst sesshafte Gegenspieler neuer Reitergefahren aus den Steppen geworden.

Bis 25. Juni 2023. Landesmuseum für Vorgeschichte Halle. Katalog 244 Seiten, 35,90 Euro.

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