"Norman Fucking Rockwell":Zwischen Meisterwerk und Mittagsschlaf

Lana Del Rey

Nicht nur auf den ersten Blick, sondern auch beim ersten Hören ist sie ganz Oberfläche: Lana Del Rey.

(Foto: dpa)
  • In Lana Del Reys neuem Album "Norman Fucking Rockwell" geht es um Sex, Politik, Tanzen und natürlich immer wieder um Amerika.
  • Trotzdem beweist die Sängerin, dass sie für die Musik so etwas ist wie Walt Disney für den Film: oberflächlich, aber unverzichtbar.

Von Juliane Liebert

Man kann viele komplexe Fragen zu Lana Del Reys neuem Album "Norman Fucking Rockwell" stellen; Fragen, die den amerikanischen Traum, Metoo, Identität, das weibliche Altern, Vaterkomplexe und anderes betreffen. Die eigentliche Frage aber ist, ob Lana Del Rey ein Bot oder ein Turbomixer ist? "Norman Fucking Rockwell" kann man als ein vielschichtig mit Anspielungen an 100 Jahre amerikanische Kulturgeschichte spielendes Meisterwerk deuten. Oder als: "Elizabeth Woolridge Grant schreibt alle berühmten Lyrics auf, die ihr aus anderen Songs so einfallen, wirbelt sie einmal durcheinander, Geigen drunter, Klavier drüber, Mittagsschlaf." Die Wahrheit liegt wie üblich irgendwo in der Mitte.

Oder, wenn sie überhaupt irgendwo liegt, dann am Pool. Denn wenn in Lana Del Rey Songs jemand liegt, hatte er oder sie wahrscheinlich gerade Sex mit einem Biker, in einem schnellen Wagen oder einem Truck. Und es geht um Amerika, immer Amerika, das aufgeblasen, glamourös, fahnenbehängt eine ewige Poolparty ist, auf der trotzdem alle traurig sind.

"Goddamn, Manchild" hebt del Rey dann auch im ersten Song an, seufzend über ihren Cocktail schauend "You fucked me so good I almost said I love you." Ein interessantes Kompliment. Wen sie damit meint? War es Amerika, dass sie gefickt hat? Die Politik? Die Hitze? Sie setzt fort mit "Your poetry is bad and you blame the news". Morrissey? Die Rechten? Sie kann es nicht ändern, haucht-singt Lana und lässt die lackierten Fußnägel im Chlorwasser baumeln. Schenkt diesem Amerika ein "Yu-huhuhu", herablassend schwelgend, ganz freundliche Überlegenheit des weiblichen Geschlechts: "Cause you're just a Man / That's just what you do." Die Streicher legen noch mal los "I don't get bored I just see it through / why wait for the best if I could have youhuhu." Man muss nehmen, was man kriegen kann. Sie bläst den Song mit minimalen Mitteln auf und befördert ihn dann durch simples Rausfiltern der Höhen in die Ewigkeit.

Die Platte passt zu diesem Sommer, in dem Tarantinos "Once upon a time in Hollywood" das Kino dominiert. Mit "Venice Bitch" leistet Del Rey sich (zum Missfallen ihrer Manager) eine zehnminütige Single inklusive einer fünfminütigen Reverb-Orgie à la Pink Floyd. In "Fuck it I love you" torkelt das Schlagzeug durch den Song wie ein Statist, der aus Versehen durch die falsche Filmszene läuft. "California" suggeriert, dass jeder, der nach Kalifornien kommt, von Lana Del Rey persönlich am Straßenrand abgeholt wird. Das ganze Album ist eine Meta-Traumfabrik. Ihr Produzent Jack Antonoff schafft es, makellos poppig kompositorische Ideen aus dem Spektrum einfacher Kadenzen mit einer warmen, fast klassischen Klangästhetik zu verbinden. Obwohl er erkennbar Spaß daran hat, animierende Soundverzierungen einzubauen, weiß er, wann es aufs Weglassen ankommt. Irgendwo hängen immer die Beach Boys rum. "If he's a serial killer then what's the worst / that can happen to a girl who's already hurt?"

Außer Traurigsein und leidenschaftlichen destruktiven Sex haben hat sie noch eine dritte Passion: Tanzen. Immer will sie tanzen. Am liebsten zu Sachen, die sie schon kennt. Ihre Songs sind mit einigen der bekanntesten Zitate der Popwelt durchwebt, von "Dream a little dream of me" über Cohens "I'm your man" bis zu Cindy Laupers "Girls Just wanna have fun", um nur wenige zu nennen. Radiohead sagten nach ihrem letzten Album, Lana del Reys "Get Free" sei eine Kopie von "Creep". Ist es ein freundlicher Diss an Radiohead, dass sich auf NFR ein Song namens "How to disappear" findet? Wo doch "How to disappear completely" einer der bekanntesten Radioheadsongs ist?

Sie ist auf den ersten Blick ganz Oberfläche - Leinwand eben

Norman Rockwell, der Namensgeber des Albums prägte mit seinen Illustrationen das amerikanische Bildgedächtnis und damit die Identität der USA tief. Er hat einmal gesagt: "Die Sicht auf das Leben, die ich in meinen Bildern kommuniziere, schließt das Schmutzige und Hässliche aus. Ich male das Leben so, wie ich es gerne hätte." Womit wir wieder bei Tarantino wären. Der die Welt so erzählt, als müssten die magischen Stunden im Kino niemals enden. Ein Walt Disney des blutigen Genrefilms. Oder ein Norman Rockwell eben. Was die beiden für Film und Malerei sind, ist für die Musik Lana Del Rey.

Sie macht klugen Pop mit allem, was dazu gehört. Sie ist auf den ersten Blick ganz Oberfläche - Leinwand eben -, aber durchbricht die Oberfläche immer wieder mit surrealem Sarkasmus. Sie stiefelt im Video zu "Doin' Time" als Godzilla-Variante ihrer selbst durch die Stadt der Träume, bricht dann in die "Wirklichkeit" ein und randaliert. Oder schießt in "High By The Beach" einen Hubschrauber mit einer martialisch aussehenden Wasserpistole ab.

Nicht nur "How to Disappear", ihre gesamte Karriere ist ein Mittelfinger gegen das Showbusiness. Das gibt ihrer Musik, ihrer Persona diesen Vexierbildcharakter: Wo sie am künstlichsten ist, am sichersten versteckt im Zitatwald, wo ihre Ästhetik so optimiert scheint wie ihr Gesicht — da ist man schon wieder geneigt, das alles für bare Münze zu nehmen. Und Geld, daraus macht sie kein Geheimnis, ist immerhin ihre vierte Passion.

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