Lagebericht:Wünsch dir was!

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Die Besetzer wollen drei Monate bleiben und machen täglich ein Programm. Die Politik ist tatenlos und der Intendant in seinem Büro.

Von Mounia Meiborg

Die am Freitag von dem Kollektiv "Staub zu Glitzer" begonnene Besetzung der Berliner Volksbühne dauert an. Im Haus am Rosa-Luxemburg-Platz wurden am Montag die Partyspuren beseitigt. Seit Samstagabend war im Roten Salon, einer Spielstätte des Hauses, durchgefeiert worden. Etwa 100 Leute waren am Montagvormittag im Gebäude. Die Kasse blieb geschlossen. Die Vorstellungen der Volksbühne in der Außenspielstätte Tempelhof fanden ohne Zwischenfälle statt.

Am Montagvormittag liefen Gespräche zwischen dem Kultursenat und dem Team um den Intendanten Chris Dercon, am Nachmittag mit den Besetzern des Hauses. Die geben sich selbstbewusst. Sarah Waterfeld, eine Sprecherin der Gruppe, sagte, sie hoffe, dass die Premiere von Tino Sehgal, der das Haus am 10. November eröffnen soll, wie geplant stattfinden könne. Sehgal konnte am Montag nicht proben. Eine technische Einrichtungsprobe war geplant, die ebenso wenig stattfinden konnte wie die Probe von Susanne Kennedy auf der großen Bühne. Seghals Arbeit bespielt den gesamten Raum des Hauses, inklusive der besetzten Foyers und Treppenhäuser.

Sie würde sich wünschen, dass Künstler wie Tino Sehgal weiter im Haus probten, sagt Sarah Waterfeld. "Aber falls es ihnen zu laut oder sonst wie unangenehm ist, können wir ihnen helfen, andere Probenräume zu finden." Probenräume der Ernst-Busch-Schauspielschule stünden bereit. Die Besetzer als Unterstützer des Dercon-Teams - eine krude Verdrehung.

Geprobt wurde in der Volksbühne dann doch: für das eigene Kulturprogramm der Besetzer, das täglich von nachmittags bis in die Nacht stattfindet (https://b6112.de). Die Veranstaltungen reichen von einer Einführung in die Marx'sche Kapitalismuskritik über eine szenische Lesung bis zu einem Film zu Studentenprotesten gegen Studiengebühren. Der Fokus bleibt damit politisch. Und auch die Kunstprojekte tragen Titel wie "Is this a revolution we can dance to?"

Es gab auch eine Performance, in welcher der einstige Volksbühnen-Schauspieler Mex Schlüpfer sich als Intendant bewarb - nicht ohne gegen Chris Dercons Tanztheater auszuteilen. Bei einem Projekt mit dem Titel "Volksbegehren" durfte jeder einen Wunsch auf einen Zettel schreiben, der von einem anderen Gast vorgelesen wurde. "Soziale Gerechtigkeit" fällt oft, "Mitbestimmung" oder "Politik, losgelöst von Kommerz". Einer der Besetzer wünscht sich einfach nur ein Einhorn.

"Als in Bochum Opel geschlossen wurde, sind die Arbeiter auch vors Schauspielhaus gezogen."

Am Sonntag hatte Dercons Team die Politik aufgefordert zu handeln. Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) lehnte eine Räumung bisher ab. Für eine Stellungnahme war er am Montag wegen Terminen im Koalitionsausschuss nicht zu erreichen. Sein Pressesprecher Daniel Bartsch sagt: "Eine Räumung ist nicht das Mittel der Wahl. Solange Gespräche geführt werden, ist das keine Option für uns." Mitarbeiter der Kulturverwaltung würden sich vor Ort ein Bild der Lage machen. Dass die Besetzung auch durch die anhaltende Kritik Lederers an der Berufung Dercons befeuert worden sein könnte, weist er zurück: "Da sehe ich keinen Zusammenhang."

Inzwischen wird aber auch Kritik an Chris Dercon und seinem Team laut. Anfangs hatten sie sich souverän verhalten - und über Facebook die Besetzer aufgefordert, doch bitte einmal zu lüften. Christophe Knoch, Kulturmanager und Sprecher der Koalition der Freien Szene, eines Interessenverbands freischaffender Künstler in Berlin, kritisiert die Volksbühnenleitung: "Chris Dercon kommt nicht raus und diskutiert mit den Leuten, er verbarrikadiert sich in seinem Intendantenbüro."

Knoch war einer von vielen, die am Freitag bis spät in die Nacht über einen möglichen Neubeginn an der Volksbühne diskutierten - und einer der eher wenigen Theaterleute. Auf Twitter wurde berichtet, Knoch habe eine "kollektive Intendanz" gefordert. Das stimme so nicht, sagt er. Aber er finde die Besetzung "sehr, sehr spannend". Dass sie zum großen Teil von einer theaterfernen Szene komme, ist für ihn kein Problem. Die Volksbühne habe offenbar eine solche Strahlkraft, dass viele Menschen ihre Träume und Hoffnungen auf diesen Ort richteten. "Als in Bochum die Opelwerke geschlossen wurden, sind die Arbeiter auch vors Schauspielhaus gezogen, obwohl sie da vielleicht sonst nicht hingegangen sind." Frank Castorfs Theater stehe für eine andere Utopie von Stadt: "Diese Stadt, die bisher jeder als seine empfunden hat, ist nicht mehr unsere."

Er schwärmt von der 50-prozentigen Frauenquote der Besetzer, die auch in Diskussionen gilt. "All die testosterongesteuerten Männer müssen warten, bis sich eine Frau meldet. Die schlucken dann erst mal. Manches an dieser Besetzung ist vielleicht etwas naiv. Aber es sind doch interessante neue Versuche. Vieles muss man erst mal einüben, bevor es in Strukturen übergeht." Auch bei der Besetzung des Pariser Odéon-Theaters 1968 habe es gedauert, bis klare Forderungen gestellt worden seien.

Nun, so Knoch, gehe es darum, substantielle Fragen zu klären und die Arbeit mit mehr intellektueller Substanz zu unterfüttern. Er wünscht sich, dass die Besetzer drei Monate bleiben, wie sie es fordern. Auf Twitter ruft das Kollektiv zu Spenden auf. Gesucht werden Tische, Sessel, Sofas: "Alles, was es hier noch schöner macht."

© SZ vom 26.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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