Süddeutsche Zeitung

"Labor Day" im Kino:Mann im Haus

Bislang hat er Rollenbilder lustvoll zerstört, doch nun sehnt sich Regisseur Jason Reitman in "Labor Day" nostalgisch nach den Dramen der Kleinfamilie zurück. Josh Brolin darf sogar die Allzweckwaffe mimen, die sich Kate Winslet als Single Mom in ihren dunkelsten Stunden wünscht.

Von Tobias Kniebe

Selten hat im Kino ein Mann so ostentativ gefehlt wie hier in den ersten Minuten. Es beginnt mit einem verwunschenen Holzhaus in New Hampshire, etwas abseits gelegen, das dringend einen Handwerker und einen neuen Anstrich braucht. Es geht weiter mit der Mutter und ihrem 13-jährigen Sohn, die darin wohnen. Adele ist schon vor längerer Zeit verlassen worden, sie kämpft mit Depressionen und ihrer Angst vor der Außenwelt.

So allerdings, wie Kate Winslet sie spielt - ihre majestätische Sinnlichkeit greifbar nah, immer nur einmal Haarewaschen entfernt -, vibriert diese Frau geradezu vor unerfüllter Sehnsucht. Und alles gipfelt dann in den quasi-sexuellen Versagensgefühlen, die der Sohn Henry (Gattlin Griffith) bei seinen vergeblichen Versuchen erfährt, den Mann im Haus zu ersetzen.

Im Voiceover blickt er als erwachsener Mann auf die Situation zurück und philosophiert über seine "Unzulänglichkeit" - ein wahrhaftiger Anti-Ödipus.

Zu diesem Beinahe-Idyll mit schmerzlicher Leerstelle verschafft sich nun der entflohene Sträfling Frank (Josh Brolin) Zutritt. Mit eher sanfter Gewalt nötigt er Mutter und Sohn, ihm Unterschlupf zu gewähren. Draußen wird er als verurteilter Mörder gesucht, bei der Flucht hat er sich den Fuß gebrochen, und wenigstens über die Feiertage des Labor Day möchte er sich hier verstecken.

Die anfänglich kühle Aufnahme, die er erfährt, täuscht natürlich niemanden: Er sieht blendend aus, hat eindrucksvolle Muskeln, eine tiefe Gänsehautstimme und trotz seiner Probleme mit dem Gesetz ein sanftes Naturell, wie man leicht erkennen kann. Kurz gesagt ist er der Deckel, der auf diesen speziellen Topf eben passt - im Grunde wird er dringend erwartet.

Halb beleidigt, halb befreit

Wie dringend wirklich, daran lässt schon seine Schöpferin Joyce Maynard in ihrem Roman "Labor Day" keinen Zweifel - genau wie der Film. Noch kaum hat sich das heikle Arrangement des Versteckspiels stabilisiert, da macht Frank schon den Abfluss frei und holt das verrottete Laub aus der Dachrinne, wischt die Küche durch, repariert das Auto und lehrt den jungen Henry, wie man einen Baseball wirft - das allererste Gebot im großen Buch Daddy, der ewigen Bibel des amerikanischen Patriarchats.

Bald wird er auch im Schlafzimmer allen Erwartungen gerecht - so scheint es zumindest. Genauer sieht man das nicht, als Zuschauer bleiben wir dabei ausgesperrt, zusammen mit dem adoleszenten Helden. Der reagiert halb beleidigt auf das neue Glück, halb aber auch befreit.

Wenn die Polizei dem fragilen Glück am Ende doch auf die Spur kommt, liegt das auch an seiner Unentschiedenheit.

So wird Frank nicht nur zur Phantasie vom fehlenden Y-Chromosom und zur Bestätigung des alten Volksglaubens, dass jeder Junge einen Vater braucht - sein Drang zu Küche und Wischmopp weist noch darüber hinaus. Mit beinah machohafter Bestimmtheit beharrt er darauf, mehr als nur seinen Teil der Hausarbeit zu leisten - er ist wirklich die Allzweckwaffe, die sich jede Single Mom in ihren dunkelsten Stunden wünscht.

So erobert man die zerrissenen Frauenherzen der Multitasking-Moderne - allein im Umfeld dieses Kritikers gibt es mehrere hochintelligente weibliche Wesen, die dem Roman ernsthaft verfallen sind. Dass darin zugleich ein böser Angriff auf die trotzig-feministische Option des Alleinerziehens steckt, scheint sie nicht weiter zu stören.

Warum aber hat sich ausgerechnet Jason Reitman dieses Stoffes angenommen? Mit seinen Filmen "Juno", "Up in the Air" und "Young Adult" wirkte er bisher wie ein Filmemacher, der alte Rollenbilder lustvoll zerstört - ein Teenager will beispielsweise sein Kind zur Adoption freigeben und "testet" die Eltern, eine Autorin scheitert an den Lebenslügen, die sie selbst propagiert . . .

Hier aber könnte die Geschichte, die formal im Jahr 1987 spielt, genauso gut eine Halluzination der Fünfzigerjahre sein. Wollte er alles einmal ganz anders machen - echtes, altertümliches Melodram? Auf jeden Fall offenbart er bisher unbekannte Seiten - besonders in einer Szene, wo Mutter und Sohn unter Anleitung des Fremden einen Pfirsichkuchen backen: eine Schüssel, sechs Hände, schmatzender Teig.

Das streift die Grenze zur Komik und lädt zu künftigen Parodien ein - nur vergleichbar mit der notorischen, ebenso glitschigen Töpferszene zwischen Demi Moore und Patrick Swayze in "Ghost". Reitman toppt das am Ende sogar noch dadurch, dass er das Aufgehen des goldleuchtenden Kuchens im Zeitraffer zeigt.

Tolle, minimalistische Momente

Dieser Backporno müsste nun eigentlich in einen billigen Gefühlsporno münden, wären alle Beteiligten nicht doch mit ihrem ganzen Können - und Herzen - bei der Sache. Und sie können halt alle wirklich was. So schafft Reitman immer wieder tolle, auch minimalistische Momente, die gerade nicht so überdeutlich betont sind wie ein Kuchen im Zeitraffer. Besonders Kate Winslet holt wieder alles aus ihrer Rolle heraus, die sie nicht ganz unähnlich schon einmal für Sam Mendes in "Revolutionary Road" gespielt hat.

Damals hieß sie April Wheeler, jetzt heißt sie Adele Wheeler. Zufall ist das wohl kaum - denn Richard Yates' 1961 erschienener Roman "Revolutionary Road" ist wirklich ein Familienbild der Fünfzigerjahre, hinter dem eine Hölle ohne Ausweg lauert. Die Gegenwart träumt sich dorthin zurück, nur den Teil mit der Hölle lässt sie lieber weg - die gestressten Mütter der Gegenwart bekommen sogar ein spätes Happy End serviert.

Labor Day, USA 2014 - Regie und Buch: Jason Reitman. Kamera: Eric Steelberg. Mit Kate Winslet, Josh Brolin, Gattlin Griffith, Tobey Maguire, Maika Monroe, James van der Beek. Paramount, 111 Min.

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Quelle:
SZ vom 07.05.2014
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