"La La Land" in der SZ-Cinemathek:Jeder tanzt für sich allein

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Soll Kunst lebendig sein, muss sie aus dem Leben entstehen. Emma Stone und Ryan Gosling beim Balztanz auf den Hollywood Hills. (Foto: AP)

Emma Stone und Ryan Gosling tanzen und singen in "La La Land" fast wie im alten Hollywood. Aber funktionieren die Träume von früher im Zeitalter von Social Media überhaupt noch?

Filmkritik von Philipp Stadelmaier

Unter einem Himmel, der in ein violett-blau-gelbes Licht getaucht ist, schlendern Sebastian und Mia auf dem Heimweg von einer Party auf eine Straßenkurve zu. Unterhalb der Kurve liegt Los Angeles, die Stadt der Träume.

Vom Träumen verstehen die beiden einiges. Sie liebt das Kino und will Filmschauspielerin werden. Deshalb rennt Mia von einem Casting zum nächsten, während sie sich ihr Geld in einem Coffee Shop auf dem Warner Brothers Studiogelände verdient. Er wiederum liebt den Jazz und träumt von einem eigenen Club, ist aber zum Broterwerb dazu verdammt, in einem Restaurant den Gästen Fahrstuhlmusik vorzuklimpern.

Die beiden haben sich gerade erst kennengelernt. Sie wissen noch nicht, ob sie sich leiden können und was sie miteinander anfangen sollen. Also muss man es halt ausprobieren, zum Beispiel, indem man miteinander tanzt. Und so ergreift Sebastian mitten im Laufen einen Laternenmast, schwingt sich um ihn herum und eröffnet eine Tanznummer.

Die Szene ruft Erinnerungen wach an den Musicalfilm "Band Wagon" von Vincente Minnelli (1953). Auch hier gab es diesen Moment, in dem sich unvermittelt das Bein von Cyd Charisse hebt, während sie mit Fred Astaire im Central Park spazieren geht.

Ein Moment, in dem das Gehen aufhört und aus der Bewegung heraus der Tanz beginnt. Die beiden spielen zwei Schauspieler, die zusammen in einem Musical auftreten sollen und dazu lernen müssen, miteinander zu tanzen. Und zwar ohne die steife Choreografie der Bühne, sondern aus dem Leben heraus, einer plötzlichen Eingebung folgend, einer Lust, einer kleinen Melodie.

Das große Vorbild für den Film ist der Musical-Meister Vincente Minnelli

Das Musical "La La Land" von Damien Chazelle, das am vergangenen Sonntag mit sieben Golden Globes ausgezeichnet wurde (unter anderem für die beiden Darsteller und den Regisseur), und das auch als heißer Oscar-Kandidat gilt, ist eine Hommage ans klassische Hollywood-Musical.

Speziell aber ist es ein Kommentar zu Minnellis Tanzfilmen, zu "American in Paris" und vor allem eben "Band Wagon". Statt Fred Astaire und Cyd Charisse tanzen Ryan Gosling und Emma Stone, während der bunte Studiohimmel, unter dem sie ihre Tanznummer auf den Hollywood Hills absolvieren, wie das zeitlose Studiodekor strahlt, in dem man wie ein Echo von früher noch immer die berühmten Zeilen aus "Band Wagon" zu hören meint: "The world is a stage, the stage is a world of entertainment. . .". Das war gewissermaßen das Credo der großen Kunst Minnellis, auf dessen Grabstein "Traumweber" zu lesen ist.

Kinotrailer "La La Land", Das ist der Traum! (Video: Studiocanal)

Um Träume zu weben, muss die Kunst lebendig sein, muss die Welt eine Bühne werden und die Bühne eine Welt, müssen die in Gesang und Tanz gekleideten Traumszenen fiktiv und real zugleich wirken. Soll Kunst lebendig sein, muss sie aus dem Leben entstehen. In Minnellis Filmen wurde daher überall getanzt und gesungen, und daran hat sich auch Chazelle orientiert.

Nur sind im Jahre 2017 die Träume in der Eleganz, die Fred Astaire und Cyd Charisse bei Minnelli hatten, nicht mehr zu haben. Der Tanz wirkt noch beschwingt, aber er ist auch millimetergenau choreografiert. Er erzeugt ein Gefühl der Befreiung, aber er ist auch ein Korsett.

Das Glück mit der Kunst lässt sich mit dem privaten Glück nicht mehr vereinbaren

Das zeigt schon die erste Tanznummer des Films, gefilmt in einer einzigen Einstellung. Ein Stau auf der Autobahn in Los Angeles, nichts geht mehr, und schon bald steigen die Leute aus ihren Wagen, wirbeln fröhlich und befreit über die in der Sonne glänzenden Karossen. Bis sie dann doch alle wieder einsteigen, die Kamera zum Stillstand kommt und das Gehupe wieder losgeht.

"Für alle, die zu träumen wagen" steht auf den "La La Land"-Postern. Klar, Mia und Sebastian sind Träumer, sie träumt vom alten Hollywood, er vom alten Jazz. Aber so romantisch und nostalgisch, wie das klingt, läuft es hier nicht. Denn tanzen, singen, träumen - all das muss man heute "wagen", weil es eine enorme Anstrengung bedeutet.

Träumen ist eine Frage der Virtuosität, und die ist ebenso die Voraussetzung zum Träumen wie auch ihr drohender Erstickungstod. Darum ging es schon in Chazelles letztem Film, seinem Überraschungserfolg "Whiplash" von 2014.

Dort wurde ein Schlagzeugschüler von einem sadistischen Lehrer bis zur Besinnungslosigkeit gequält, um ihn zum Genie zu machen, ihn seinen Rhythmus finden zu lassen. Genie, Inspiration, Musikalität, der spontane Funke, der Traum von der ganz großen Karriere.

All das geht nur aus eingeprügelter Technik hervor, gegen die aber auch irgendwann rebelliert werden muss. J. K. Simmons, der in "Whiplash" die Rhythmusdrillmaschine spielte, hat nun auch in "La La Land" einen Kurzauftritt, als Saalchef des Restaurants, in dem Sebastian anfangs arbeitet. Free Jazz gehe hier gar nicht, bellt er ihn an, er solle gefälligst seine Setlist spielen. Irgendwann beginnt Sebastian dennoch zu improvisieren.

Dieses Spiel zwischen virtuoser Kontrolle und Befreiung ist das Wesen von Chazelles Kino. Die enorme Musikalität der Kamerabewegungen und Schnitte, die schon "Whiplash" getragen hatte, ist Ausdruck eines fast zwanghaften Perfektionismus des 32-jährigen Autorenfilmers.

Die Setlist, die Disziplin, das ist auch ein Programm der Kinogeschichte, das hier durchgearbeitet und mit dem dann dennoch improvisiert werden muss. Letztlich verfolgt Chazelle die Vorstellung einer intakten Kinogeschichte, die nicht einfach zitiert, sondern an die jederzeit ganz real wieder angeknüpft werden kann, um sie fortzusetzen.

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Einmal gehen Sebastian und Mia ins Kino und sehen Nicholas Rays "Rebel Without a Cause". Der Film reißt während der Vorführung, in der Szene, in der James Dean und Natalie Wood zur Sternwarte fahren, was Sebastian und Mia zum Anlass nehmen, ihrerseits dorthin zu fahren. James Dean hatte sich dort noch von unten die Sterne angeschaut, Ryan Gosling und Emma Stone werden darin tanzen.

Aber hinter dieser Kontinuität steckt auch ein Bruch zu früher. Im goldenen Zeitalter von Minnelli waren Glück, Erfolg und Liebe auf der Bühne und im Leben noch gekoppelt. Das ist hier anders. Sebastian und Mia werden ein Liebespaar und versuchen, Karriere zu machen, aber das Glück in der Kunst, der Erfolg als Musiker oder als Schauspielerin ist mit dem privaten Glück schwer vereinbar.

Eines Abends sitzen sie einander gegenüber und fauchen sich an, während hinter ihnen die Wandfarbe giftgrün funkelt wie in einem OP-Saal. Die gemeinsame Operation droht zu scheitern. Man muss sich irgendwann entscheiden: entweder gemeinsam leben oder Erfolg haben, jeder für sich. Im Jahr 2017 sind gemeinsame Träume fragile Patienten.

Die artifizielle Welt, die Chazelle zeigt, ist nicht einfach irgendeine Traumblase, sie gleicht unserer Zeit. Die Welt ist heute mehr denn je Bühne. Singen und tanzen tun heute viele, nicht nur Stars wie Fred Astaire. Man könnte auch sagen: Im Zeitalter von Social Media, in der überall Kameras und Bildschirme sind, hat die Bühne über die Welt gesiegt.

Das Kino als Kuppler: Erst als einmal der Film reißt, können die beiden sich küssen

Jeder ist nunmehr Schauspieler seines eigenen Lebens. So ist das Theaterstück, das Mia schließlich schreibt, ein Ein-Frau-Stück für sie allein. Und der Jazzclub, von dem Sebastian träumt, fühlt sich an wie ein Tempel für ihn allein; und den Barhocker einer alten Jazzlegende, den er wie einen Fetisch verehrt, wie eine Leidenschaft, die nur ihn etwas angeht.

Letztlich tanzt und träumt 2017 niemand mehr zusammen und jeder für sich. Bei Minnelli verbanden noch lange Kamerabewegungen die Kunst mit dem Leben und die Tänzer untereinander. Bei Chazelle hingegen fängt das anfängliche Kunststück in einer Einstellung auf der Autobahn nur die Virtuosität jedes Einzelnen ein, der aus seinem Leben eine Bühne, eine Show machen muss, um glücklich zu werden.

Woher kommt aber das Glück, das einen dennoch über den Film hinweg begleitet? Nicht nur aus der Freude, mit der hier jede Einstellung gedreht, jeder Ton gesetzt wird. Sondern vor allem daher, dass in einer Welt, in der sich die Welt der Bühne unterworfen hat und sich jeder sein eigenes Kino macht, das mechanische Band der Träume unterbrochen wird.

Es ist im Kino, während der Ray-Film läuft und reißt, dass sich Sebastian und Mia näher kommen und zum ersten Mal küssen. Als bräuchte es diese Unterbrechung des Films im Film, einen Sprung im Filmstreifen oder zwischen zwei Tönen, um zu zeigen dass immer noch eine echte Verbindung möglich ist, zwischen den Figuren und zu den Figuren, zwischen Bühne und Welt, Kunst und Leben, dem Film und uns.

La La Land , USA 2016 - Buch und Regie: Damian Chazelle. Kamera: Linus Sandgren. Schnitt: Tom Cross. Musik: Justin Hurwitz. Mit Emma Stone, Ryan Gosling, J.K. Simmons, Jessica Rothe, Rosemarie DeWitt , Cinda Adams, Callie Hernandez, Amiée Conn, Terry Walters, Jason Fuchs. Studiocanal, 128 Minuten.

© SZ vom 11.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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