"La Grande Bellezza" im Kino:Rom, geschlossene Stadt

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Wohlwollende Langeweile - mehr zeigt Toni Servillo als Jep Gambardella den ganzen Film über nicht. (Foto: DCM Filmverleih)

Die Stadt als Fotoshooting: In "La Grande Bellezza" begibt sich Paolo Sorrentino auf eine imaginäre Reise durch Rom. Doch der Film besteht aus einer Parade austauschbarer Motive. Schamlos klaut Sorrentino aus dem Werk von Federico Fellini.

Von Philipp Stadelmaier

Die Stadt ist heiß. Furchtbar heiß, furchtbar schön - und furchtbar leer. Mitten im Sommer, in der prallen Mittagshitze, ist Rom ausgestorben. Fast schwerelos gleitet die Touristengruppe aus Japan über menschenleere Straßen, Plätze, Brunnen, Monumente. Ob sie unter ihren Sonnenschirmen und hinter den Linsen ihrer Digitalkameras überhaupt noch Kontakt haben mit der Ewigen Stadt? Ist das, was wir da sehen, noch die Ewige Stadt oder schon ihr ewiges Nachbild?

Die Touristen machen brav ihre Fotos, in einem Säulengang über einem Brunnen singt ein Frauenchor ein Requiem. Plötzlich bleibt einer der Japaner, den Fotoapparat in der Hand, erschrocken stehen, fasst sich ans Herz - und kippt um. Zu viel Hitze, zu viel Schönheit und auch zu viel Leere. Rom, das ist in "La Grande Bellezza - Die große Schönheit" von Paolo Sorrentino von Anfang an ein Sarkophag: ein Ort für sich zu Tode fotografierende Touristen und ein selbst zu Tode fotografierter Ort. An dem die große Schönheit die große Leere, das Nichts, den Tod trifft.

Weniger Partylöwe als Zeremonienmeister

Nach diesem ruhigen Prolog brennt Sorrentino dann erst mal ein irres Feuerwerk ab. Eine wilde Party tobt in einem Club, farbsattes Licht pulsiert durch die römische Nacht, man tanzt zur Clubversion von "Tu vuò fà l'americano". Die Körper kreischen sich ihre Geilheit zu, man wackelt narzisstisch, lässt Bittsteller zappeln.

Inmitten der Menge thront Jep Gambardella, alternder Schönling und Frauenheld, Besitzer dieser exklusiven Location, Mitte sechzig, sehr gepflegt in seinen zurückgekämmten Haaren, seinen meerblauen Augen und teuren Maßanzügen. Alles dreht sich um ihn, den "König des mondänen Rom". Bis sich seine innere Stimme über den Rausch erhebt und darüber sinniert, was er immer als das Schönste im Leben empfunden habe. Nicht etwa, wie so viele, "die Möse". Sondern "den Geruch in den Wohnungen alter Leute". Jep, das ist weniger ein großer Partylöwe als der Zeremonienmeister einer einzigen Vanitas-Show.

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Die Feier könnte auch ein Werbespot für Martini sein, dessen Leuchtlogo groß gegenüber von Jeps Loft prangt. Später wird er, der Fürst in seinem Reich, dann mit Foto- und Touristenblick durch ein dekadentes Bilderbuch- und Postkartenreich flanieren, in dem sich ihm allerlei Attraktionen darbieten: Mal ist es Fanny Ardant oder das Wrack der Costa Concordia, mal eine Künstlerparty, ein verborgenes Palais, ein Zauberer, der nur für ihn eine Giraffe verschwinden lässt.

Es ist wie bei einem einzigen Fotoshooting. Als würden die Bilder extra für die Kamera oder für Jep posieren. Tatsächlich gehen sie niemanden irgendetwas an. Hinter ihnen lauert das große Nichts. Alles wird nur einmal gezeigt, verschwindet von der Bildfläche, spielt bald keine Rolle mehr. Der Film besteht in einer einzigen Parade von austauschbaren Motiven, die Jep wohlwollend, aber stets gelangweilt abnimmt.

Seinen kulturbourgeoisen Freunden verkündet er, wie kaputt sie alle seien, die einfachen und "alten Leutchen" bewundert er für ihre Authentizität. Aber das wirkt nur um so herablassender: Wenn er auch die Dekadenz, die den Wohlhabenden umgibt, wenn er bei einer alten Ordensschwester oder in der Erinnerung an eine alte erste Liebe Erlösung sucht - so bleibt das ohne jede Folge.

So steht er bald fasziniert vor dem Werk eines Künstlers, der sich tausendfach selbst fotografiert hat. Ganz Rom wird hier gigantisches Monument einer Selbstherrlichkeit, die völlig ausgehöhlt ist. Früher war Jep mal ein erfolgreicher Schriftsteller, einen einzigen Bestseller hat er geschrieben, danach nie wieder etwas.

Tote Bilderurnen und Vergangenheitskonserven

Im letzten Film von Sorrentino, "Cheyenne", hatte Sean Penn einen ausgedienten ehemaligen Emo-Rockstar gespielt, einen anderen schrillen, aber lethargischen und ausgedienten Künstler. Und ebenso wie Penn zeigt uns auch Toni Servillo im neuen Film eine leblose, roboterartige Karikatur mit monoton näselndem Tonfall, reduziert auf einen einzigen Gesichtsausdruck, eine einzige Attitüde. Eine Überzeichnung, die beinahe schon ihr Nicht-Dasein spürbar macht.

Sorrentino scheint mit Vorliebe solche Nullen zu zeigen und sie mit einer glänzenden, posierenden, gefälligen Bilderwelt zu umgeben. Die ihrerseits zu nichts zerfällt. Wozu also der ganze Aufwand? Weil Sorrentino, ebenso wie Jep, auf eine wirklich schamlose Art unbegabt ist? Weil seine einzige Begabung darin besteht, diese doppelt zu unterstreichen - und damit ihre Nichtigkeit?

Ebenso wie Jep Gambardella seine Stadt aussaugt, um über die eigene Leere hinwegzukommen, ebenso plündert Sorrentino die Filmografie von Federico Fellini, in dessen Werk Rom eine zentrale Rolle einnahm. Jep könnte ein gealterter Marcello Mastroianni aus "La dolce vita" sein. Schon da war ein Journalist durch das mondäne Leben der Stadt gestolpert. Aber Jep stolpert nur noch durch eine Reihe von Fellini-Anspielungen.

Die Möse ist ja auch ein Eingang

Da ist etwa die Gartenparty mit einer Schaukel, die vom Himmel zu hängen scheint, die Sitzung in den Gemächern eines scharlatanischen Heilers, der Besuch bei einigen "Principessas", die wie Geister im Hinterzimmer eines Palazzo Karten spielen, die Giraffe in antiken Ruinen, die steinalte, weise Missionarin, die sich nur von Wurzeln ernährt: alles Postkarten aus Fellinis Universum, von "Julia und die Geister" bis "Roma".

So verspricht uns mit einem Céline-Zitat Sorrentino am Anfang eine "imaginäre Reise" - wie in einem Film von Fellini. Bei dem war jeder skurrile Moment dazu da, um zu einem nächsten zu führen, war ein Eingang zu einem weiteren, zu einer steten Neuöffnung der Welt. Das machte ihre Lebendigkeit aus. Das Vergangene war bei Fellini nie nostalgisch verklärt, sondern stets Keim der Lebendigkeit und der Frische im unvermeidlichen Zulauf der Gegenwart auf den Tod. Und wenn "La dolce vita" auch eine leere und nihilistische Welt zeigte, dann war er doch selbst nie ein nihilistischer Film.

Bei Sorrentino aber gibt es keine Reise, keine Öffnung. Die Möse - auch ein Eingang - lässt Sorrentino und seine Hauptfigur eben eher kalt. Wenn er Fellini zitiert, dann, um die einzelnen Stationen seines Fellini-Katalogs aufgereiht wie tote Bilderurnen ohne Verbindung zu präsentieren, wie geschlossene Vergangenheitskonserven.

Fellini ist nie der große Meister der Opulenz und Nostalgie gewesen, als der er bis heute gerne vulgär verkitscht wird. Im Gegensatz zu Sorrentino. Einmal spricht Jep von der Beerdigung als "dem mondänen Ereignis überhaupt", während er gerade für eine Frau in einer Luxusboutique ein Trauerkleid aussucht. Auf der Suche nach der letzten großen Einkleidung, dem letzten Schick des großen alten Kinos, kommt man wohl zwangsläufig dazu, ihm ein opulentes Totengewand überzustreifen.

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La Grande Bellezza, I 2013 - Regie: Paolo Sorrentino. Buch: Paolo Sorrentino, Umberto Contarello. Kamera: Luca Bigazzi. Musik: Lele Marchitelli. Schnitt: Cristiano Travaglioli. Produktionsdesign: Stefania Cella. Kostümdesign: Daniela Ciancio. Mit: Serena Grandi, Vernon Dobtcheff, Sabrina Ferilli, Toni Servillo, Isabella Ferrari, Carlo Verdone, Giorgio Pasotti, Luca Marinelli, Giulia Di Quilio, Roberto Herlitzka, Pamela Villoresi, Massimo Popolizio, Ivan Franek, Carlo Buccirosso, Gianpiero Cognoli, Stefano Fregni, Pasquale Petrolo. DCM, 142 Min .

© SZ vom 25.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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