Kurzkritiken zu den Kinostarts der Woche:Wilde Pool-Orgien

Alice Cooper, Michael Douglas, Sylvester Stallone: Shep Gordon war ihr Berater, ihr Vertrauter. Eine schräge Doku über ihn funktioniert als Hommage an die Gründerzeit des modernen Starsystems. Für welche Filme sich der Kinobesuch lohnt - und für welche nicht.

Von den SZ-Kinokritikern

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Der Anständige

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Quelle: Edition Salzgeber

Kann in einem Massenmörder ein Durchschnittsmensch stecken? Die israelische Regisseurin Vanessa Lapa geht dieser Frage in ihrem Dokumentarfilm über den Reichsführer-SS Heinrich Himmler nach. Dessen private Dokumente zeichnen das Porträt eines reaktionären Geistes, der von soldatischer Pflichterfüllung und Disziplin besessen war. Ein Film, der erzählt, wie Himmler war. Was er auslässt, ist die quälende Frage nach dem Warum.

Julian Dörr

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Concerning Violence

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Quelle: Lennart Malmer

Ein Doku-Mixtape - nach seinem Film "Black Power Mixtape 1967-1975" beschäftigt sich der schwedische Filmemacher Göran Hugo Olsson nun mit den afrikanischen Befreiungsbewegungen der 60er, 70er und 80er Jahre. Er lässt die Musikerin Lauryn Hill aus Frantz Fanons Dekolonialisierungs-Klassiker "Die Verdammten dieser Erde" vorlesen, dazu montiert er Archivmaterial. Ein kluger, aufwühlender Filmessay.

Martina Knoben

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Gemma Bovery

Kinostart - Gemma Bovery

Quelle: dpa

Luftig und geistreich zugleich, wie das nur die Franzosen beherrschen, ist Anne Fontaines Adaption einer Graphic Novel von Posy Simmonds. Angeregt durch den klingenden Namen seiner neuen Nachbarin (Gemma Arterton) projiziert der Familienvater Martin (Fabrice Luchini) Flauberts Drama um Ehe und Affären aufs wirkliche Leben, wobei er gerne auch mal intrigenspinnend nachhilft. Nach "In ihrem Haus" und "Molière auf dem Fahrrad" erweist sich Luchini zum dritten Mal als Meister im vieldeutigen Spiel mit literarischen Phantasien.

Zoom: "Gemma Bovery" vorgestellt im Video.

Im Bild: Gemma Arterton und Fabrice Luchini.

Anke Sterneborg

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Heli

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Quelle: Temperclayfilm

Ein vollkommen klarer, ungeschützter, nur schwer erträglichen Blick auf die Drogen-, Polizei- und Kartellgewalt, die Mexiko seit Jahren zerfrisst. Der einfache Fabrikarbeiter Heli wird mit seiner Familie unschuldig in einen Kokaindiebstahl verwickelt und überlebt eine entsetzliche Folternacht, die auch dem Zuschauer den Magen umdrehen kann. Danach, sagt der mexikanische Regisseur Amat Esacalante, bleibt nur noch eine Zombiewelt - zu stumpf für Angst oder Mitgefühl.

Eine ausführliche Filmrezension lesen Sie hier.

Im Bild: Andrea Vergara, Juan Eduardo Palacios.

Tobias Kniebe

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Istanbul United

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Quelle: Olli_Waldhauer2013

Auf dem Höhepunkt der türkischen Gezi-Proteste schließen sich die verfeindeten Ultra-Fans der drei großen Istanbuler Fußballclubs zusammen. Die Dokumentarfilmer Olli Waldhauer und Farid Eslam sind mittendrin, auf der pulsierenden Stadiontribüne, im Tränengas-Chaos des besetzten Parks. Zwischen Kamera und Protagonisten passt kein Bengalo. Die Einstellungen wackeln, die Szenerien verschmelzen. Taksim ist überall. Ein Lehrstück über Ohnmacht und Widerstand.

Julian Dörr

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Mea Culpa

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Quelle: Gaumont Distribution

Simon und Franck, Cops in Toulon, Buddies. Nach einem erfolgreichen Coup bauen sie einen Unfall, zwei Menschen sterben. Simon (Vincent Lindon) muss ins Gefängnis, verliert Job, Familie, Selbstachtung. Sechs Jahre später, immer noch mit dem Stigma der Schuld, muss er seinen Sohn retten, der eine Mafia-Aktion unfreiwillig beobachtete. Fred Cavayé inszeniert eine unglaubliche Spirale von Terror und Treibjagd, in der Franck - besessen! - versucht, seinen Buddy & Familie zu retten.

Im Bild: Max Baissette de Malglaive, Vincent Lindon.

Fritz Göttler

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Dirk Nowitzki. Der große Wurf

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Quelle: NFP*

Es gibt Dinge in der Karriere des Basketballers Dirk Nowitzki, die hat Dirk Nowitzki selbst nicht gewusst. Zum Beispiel, dass sein Mentor Holger Geschwindner einmal wirklich eine Computer-Animation gebastelt hat, mit der sich der perfekte Wurf darstellen lässt: ein Strichmännchen, dem man Hände und Füße langziehen kann. Es gehört nebst griseligen Filmaufnahmen aus Nowitzkis Jugend zu den Pretiosen dieses Dokumentarfilms von Sebastian Dehnhardt, der selbst für jene sehenswert ist, die glauben, schon alles über Nowitzki und seine unglaubliche Karriere in den Vereinigten Staaten zu wissen.

Eine ausführliche Filmrezension lesen Sie hier.

"Dirk Nowitzki. Der große Wurf" vorgestellt im Video.

Im Bild: Dirk Nowitzki, Holger Geschwindner.

Joachim Mölter

8 / 15

Schönefeld Boulevard

´Schönefeld Boulevard"

Quelle: dpa

Der Berliner Großflughafen ist eine Dauerbaustelle - genau wie Cindys Leben. Die 18-Jährige ist mollig und wird in der Schule gemobbt; sie sehnt sich nach Liebe, Sex, der großen weiten Welt - aber nichts geht voran in ihrem Leben. Sylke Enders ("Kroko") porträtiert ein weiteres Mal eine eigenwillige junge Frau, mitreißend gespielt von Julia Jendroßek. Das ist bitter und komisch, aber auch zu erwartbar und gefällig: die Berliner Tristesse als Lebensstartrampe.

Im Bild: Julia Jendroßek (rechts) als Cindy.

Martina Knoben

9 / 15

Schoßgebete

Kinostart - Schoßgebete

Quelle: dpa

Was die Hämorrhoiden für die "Feuchtgebiete"-Heldin waren, ist für Elizabeth (Lavinia Wilson) ein Unfalltod-Trauma: Vorwand für manische Selbstentblößung. Charlotte Roches zweiten "Es ist eklig, aber erregt mich!"-Roman haben Sönke Wortmann (Regie) und Oliver Berben (Drehbuch) in den Sexpassagen gekürzt und geglättet, sodass sich nun das gnadenlose Spießertum der Geschichte in aller Banalität offenbart.

Neu im Kino: "Schoßgebete" vorgestellt im Video.

Im Bild: Lavinia Wilson, Jürgen Vogel und Pauletta Pollmann (von links nach rechts).

Rainer Gansera

10 / 15

Shirley - Der Maler Edward Hopper in 13 Bildern

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Quelle: KMBO

Gibt es ein Leben in den Bildern von Edward Hopper? Gustav Deutsch, der ingeniöse Wiener Filmemacher, sagt Ja. Er öffnet die Ausweglosigkeit der berühmten - längst Ikonen gewordenen - Bilder, indem er ihnen eine narrative Perspektive gibt, ein Frauenleben quer durchs 20. Jahrhundert erzählt: Depression, Weltkrieg, Hexenjagd. Die Ausweglosigkeit der Historie. Sackgasse. Dead End.

Fritz Göttler

11 / 15

Sin City 2: A Dame To Kill For

Kinostart - Sin City 2: A Dame To Kill For

Quelle: dpa

Ein zweites Mal zeigen uns Robert Rodriguez und Frank Miller die Welt des Noir-Comics, in der die Nutten auf der Bar tanzen, die Männer melancholisch sind und Krawall auf der Tagesordnung steht. Teils gezeichnet, teils Realfilm sind die Kämpfe mit Schwertern und Fäusten brillant anzusehen, was nichts am Los der Protagonisten ändert, die sich von sexy Ladies tragisch in die Irre führen lassen.

Im Bild: Rosario Dawson.

Doris Kuhn

12 / 15

Supermensch - Wer ist Shep Gordon?

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Quelle: Rapid Eye Movies

Eine schräge Dokumentation über Shep Gordon, Manager, Berater und Vertrauter dutzender Superstars - von Alice Cooper über Michael Douglas bis Sylvester Stallone. Schauspieler Mike Myers, ebenfalls ein Klient, legt sein Regiedebüt als Hommage an die Gründerzeit des modernen Starsystems an, mit nostalgischen Erinnerungen an wilde Pool-Orgien und demütigen Beichten über harte Entzugskuren.

Im Bild: Shep Gordon.

David Steinitz

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War of the Worlds: Goliath

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Quelle: Kinostar Filmverleih GmbH

Ob Wells mit seiner Sci-Fi-Fabel ein von Samsagvormittags-Cartoons, Transformer-Monstrosität und Computergeballer derart deformierte Adaption im Sinn hatte wie Joe Pearsons Animationsabenteuer ist zweifelhaft. Die retro-futuristischen Details hätte er sicher gemocht, auch das ausgelassene Steampunk-Bilderfest. In einer Zeit der Krisen aber bleibt die malaysisch-amerikanische Koproduktion seltsam sprachlos.

Annett Scheffel

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Wenn ich bleibe

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Quelle: Doane Gregory Caption

Nach einem schrecklichen Autounfall zwischen Leben und Tod schwebend, erinnert Mia (Chloë Grace Moretz) die Glücksmomente ihres siebzehnjährigen Lebens. R.J.Cutlers Jugendroman-Adaption zieht sämtliche Sentimental-Register einer tragisch durchwirkten Teenie-Romanze, und kann gleichwohl mit Intelligenz, wahrer Liebe zur Musik (klassisches Cello plus fetzige Rock-Gitarre) und einer feenhaft schönen Heldin bezaubern.

Im Bild: Chloë Grace Moretz, Jamie Blackley.

Rainer Gansera

15 / 15

A World Not Ours

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Quelle: Mec Film

Ain El-Helweh ist das größte palästinensische Flüchtlingslager im Libanon, seit 1948 leben hier auf einem Quadratkilometer 70000 Flüchtlinge mit ihren Familien. Das Leben ist trostlos und ärmlich, die Kinder spielen mit Kalaschnikows, die Eltern schlagen Kakerlaken und die Zeit tot. Trotzdem sagt Mahdi Fleifel, die Sommer seiner Kindheit dort waren "besser als Disneyland." Der Regisseur, der in Ain El-Helweh aufwuchs, verwebt in seinem Dokumentarfilm private Familienszenen mit historischen Aufnahmen. Sein Porträt eines Orts, an dem das Exil zur Heimat wurde, ist humorvoll und sensibel und eröffnet eine neue Sicht auf den Nahost-Konflikt.

Anna Steinbauer

© SZ vom 18.09.2014/tgl
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