Süddeutsche Zeitung

Kurzkritiken zu den Kinostarts der Woche:Schuhticks und Schaffenskrisen

"Zeit der Kannibalen" ist eine köstlich böse Groteske über den Turbokapitalismus, "Words and Pictures" zeigt Juliette Binoche in der Schaffenskrise und in "Paris um jeden Preis" geht es um Schuhe. Für welche Filme sich der Kinobesuch lohnt - und für welche nicht.

Von den SZ-Kritikern

"Zeit der Kannibalen" ist eine köstlich böse Groteske über den Turbokapitalismus, "Words and Pictures" zeigt Juliette Binoche in der Schaffenkrise und in "Paris um jeden Preis" geht es hauptsächlich um Schuhe. Für welche Filme sich der Kinobesuch lohnt - und für welche nicht. Enemy Geschichtslehrer Adam lernt seinen Doppelgänger kennen, den Schauspieler Anthony (beide: Jake Gyllenhaal). Denis Villeneuve imitiert in seiner Verfilmung von Saramagos "Doppelgänger" David Fincher und David Lynch, entwirft aber in hochstilisierten Design-Bildern und hermetischen Betonfassaden sein Geheimnis eher wie ein Architekt, nämlich allzu kontrolliert: Wiederholungszwang als Kontrollzwang des Regisseurs. Neu im Kino: "Enemy" vorgestellt per Video. Philipp Stadelmaier Im Bild: Jake Gyllenhaal (in einer Doppelrolle) als Adam und Anthony.

Fräulein Else Für ihre Verfilmung der Novelle von Schnitzler verlegt Anna Martinetz den Schauplatz von Italien ins heutige Indien: In der Finanzkrise soll Else (Korinna Krauss) für ihren Vater bei Herrn Dorshay Geld auftreiben - der verlangt eine Gegenleistung. Auch im ambitionierten Diplomfilm gibt's Schnitzlers Sprache nur für Aktualitätsimpressionen, die nichts mit ihr zu tun haben. Beide Deals enden schlecht. Philipp Stadelmaier Im Bild: Martin Butzke als Dorsday.

Hayatboyu - Lifelong Ela und Can haben sich entfremdet. Das Ehepaar lebt in seinem Townhouse im Istanbuler Nobelbezirk Nişantaşi aneinander vorbei. Viel geredet wird nicht, viel passiert auch nicht in diesem Beziehungsdrama noir, das vor allem durch klare Formgebung und bewusst gestaltete Interieurs beindruckt. Die junge türkische, in Berlin lebende Regisseurin Asli Özge zeigt ein ungewohnt kaltes, stilles und graues Istanbul. Anna Mayrhauser Im Bild: Defne Halman als Ela und Hakan Çimenser als Can.

Love Eternal Ian kommt mit toten Frauen besser klar als mit lebendigen. Also begleitet der versponnene junge Mann selbstmordwillige Frauen bei ihrem Vorhaben. Danach verbringt er noch ein paar Tage mit ihrem Leichnam in trauter Zweisamkeit in seinem Haus. Was nach Horrorfilm klingt, erweist sich eher als eine Art Romantic Comedy für sehr traurige Menschen - die Idee des Manic Pixie Dream Girls treibt der irische Regisseur Brendan Muldowney hier auf jeden Fall auf die Spitze. Eine ausführliche SZ-Rezension im Video sehen Sie hier. Anna Mayrhauser Im Bild: Robert de Hoog als Ian Harding und Pollyanna McIntosh als Naomi Clarke.

Das magische Haus Von außen sieht es wie ein schauriges Spukhaus aus, doch im Innern waltet das fröhliche Erfinderchaos des Magiers Lawrence. Als sein Neffe sich anschickt, die Villa zu verkaufen, beginnt ein rasantes Animations-Abenteuer, eine charmante Kreuzung aus "Toy Story" und "Kevin - Allein zu Haus". Der belgische Regisseur Ben Stassen erweist sich als ernsthafter Pixar-Konkurrent. Neu im Kino: "Das magische Haus" vorgestellt per Video. Anke Sterneborg

One Chance Du musst das Herz deines Publikums stehlen, und dazu, erklärt der Meister Pavarotti, brauchst du die Nerven eines Diebs. An diesem Dreh bastelt der Film von David Frankel ("Der Teufel trägt Prada") um den geliebten naiven Gesangsstar Paul Potts. James Corden als Paul will nicht stehlen, das Publikum soll bitte freiwillig rausrücken. So zeigt er wahren Löwenhöhlenmut, geht im lächerlichen Bajazzokostüm in den finstersten, grölendsten Pub. Fritz Göttler Im Bild: James Corden als Paul Potts und Julie Walters als Yvonne Potts .

Paris um jeden Preis Willkommen im Königreich der Schuhe: Maya ist Stylistin in einem Haute Couture-Haus, hat einen ganz schlimmen Schuhtick und viel zu viel zu tun, um sich mit Kleinigkeiten auf Behörden herumzuschlagen. Auf ihre Ausweisung - dass sie eigentlich Marokkanerin ist, hatte sie glatt vergessen - reagiert sie zickig, die Rückkehr zur Familie geht ihr gegen den Strich, bis sie einen Fashion-Inspirations-Trip daraus macht. Charmant-komisches, manchmal etwas holpriges Regiedebüt der Hauptdarstellerin Reem Kherici. Susan Vahabzadeh Im Bild: Reem Kherici als Maya.

Urlaubsreif Nach einem missglückten Blind Date werden die Mutter von zwei Jungs und der Vater von drei Mädchen umständlich zum Patchwork- Familienurlaub im südafrikanischen Luxus-Resort zusammengezurrt. Nach "Wedding Singer" und "50 First Dates" treten Adam Sandler und Drew Barrymore unter der Regie von Frank Coraci in die Elternphase ein. Im weiten Meer kindischer Peinlichkeiten und hölzerner Konstruktionen finden sich nur wenige kleine Wogen schlagfertiger Komik und warmherziger Gefühle. Eine ausführliche SZ-Rezension im Video sehen Sie hier. Anke Sterneborg Im Bild: Drew Barrymore als Lauren Reynolds und Adam Sandler als Jim Friedman.

Words and Pictures Sie fetzen und sie küssen sich. Zwei Künstler in der Krise, die sich als Internatslehrer verdingen. Dina unterrichtet Kunst, Jack Literatur, und sie hauen sich die scharfzüngigsten Beleidigungen herzallerliebst um die Ohren. Fred Schepisi formt Clive Owen und Juliette Binoche zu einem derart bezaubernden Duo der widerspenstigen Zähmung, dass manche Rührseligkeiten schnell vergessen sind. Rainer Gansera Im Bild: Clive Owen als Jack Marcus und Juliette Binoche als Dina Delsanto.

X-Men: Zukunft ist Vergangenheit Für die vielen X-Männer und Frauen bräuchte man mittlerweile fast ein Handbuch, um nicht den Überblick zu verlieren. In der neuesten Folge verteilt Bryan Singer seine Superheldenschar auf diverse Zeitebenen, zwischen Zukunfts-Dystopie und Seventies-Nostalgie, was die Sache noch vertrackter macht. Neu im Kino: "X-Men: Zukunft ist Vergangenheit" vorgestellt per Video. David Steinitz Im Bild: Hugh Jackman als Logan / Wolverine.

Zeit der Kannibalen Johannes Naber leiht dem Raubtierkapitalismus unserer Tage die Gesichter von Devid Striesow und Sebastian Blomberg, denen er als junge Kollegin Katharina Schüttler an die Seite stellt. Sie und ein Bürgerkrieg vor den Hotelzimmern der Unternehmensberater streuen zunehmend Sand ins Getriebe der Turbokapitalisten. Toll gespielte, köstlich böse Groteske. Martina Knoben Im Bild: Devid Striesow als Frank Öllers und Katharina Schüttler als Bianca März.

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