Süddeutsche Zeitung

Kurzkritiken zu den Kinostarts der Woche:Dichterrüpel und alte Herren

Schlöndorffs toller "Baal" mit Rainer Werner Fassbinder kommt mit Jahrzehnten Verspätung ins Kino, während die Verfilmung des Bestsellers "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" nicht lange brauchte. Für welche Filme sich der Kinobesuch lohnt - und für welche nicht.

Von den SZ-Kinokritikern

Schlöndorffs toller "Baal" mit Rainer Werner Fassbinder kommt mit Jahrzehnten Verspätung ins Kino, während die Verfilmung von "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" nicht lange brauchte. Für welche Filme sich der Kinobesuch lohnt - und für welche nicht. Baal Anarchischer Geniestreich von 1970. Fassbinder spielt den Dichterrüpel Baal, der die Natur durcheilt und sich durch die Gesellschaft pflügt. Die RWF-Crew - von Schygulla bis Sedlmayr - verleibt sich Brechts irre Sätze ein, Regisseur Volker Schlöndorff kommt mit der Kamera ihrer Spiellust kaum hinterher. Jahrzehnte von den Brecht-Erben gesperrt, jetzt im Kino. Fritz Göttler Im Bild: Rainer Werner Fassbinder als Baal (M.) und seine Crew

Die Dinos sind los Aus Versehen reist der Dinosaurierfan Ernie per Zeitmaschine mit seiner Schwester und seinem besten Freund in die Kreidezeit zurück. Zufällig landen sie im Nest einer freundlichen alleinerziehenden T-Rex-Dame mit Kinderwunsch. Der 3D-Film von Yoon S. Choi und John Kafka bietet mit einfachen Animationen eher unkomplizierte Familienunterhaltung. Sara Lienemann

Die Frau des Polizisten Kleinstadtleben, das Haus wie ein Familienfort abgeschottet zur Außenwelt, der Mann, ein Polizist, will die Realität ausschließen, die Frau pflanzt mit dem Töchterchen Blumen im Hof. Aber Gewalt herrscht längst im Innern, häuslich, und Philip Gröning folgt ihr in einem bedrückenden Bilderbogen. Fritz Göttler Im Bild: David Zimmerschied als Uwe Perkinger, Alexandra Finder als Christine Perkinger und Chiara Kleemann als Tochter Clara.

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand Sehr alter Herr türmt aus dem Seniorenstift und dezimiert unabsichtlich die schwedische Gangsterszene - so wie er schon ein Leben lang unabsichtlich in alles mögliche hineingerät. Felix Herngrens Bestseller-Verfilmung hat durchaus Charme, vor allem in der zweiten Hälfte - wenn sie den Mut findet, sich von der Romanvorlage zu lösen. Susan Vahabzadeh Im Bild: Robert Gustafsson als Allan Karlsson

In Sarmatien Leben am Rande Europas. Zwischen den Systemen. Den Zeiten. Moldawien. Ukraine. Czernowitz. Rauschen in Baumkronen. Junge Frauen erzählen. Orte zerfallen. Die Jungen zieht's nach Deutschland. Russland will den Griff nicht lockern. Volker Koepp filmt Sarmatische Zeit. Keuschheit der Erinnerung, schmerzlich aktuell. Fritz Göttler

Journey to Jah Noël Domesch und Moritz Springer begleiten die beiden europäischen Reggae-Musiker Gentleman und Alborosie nach Jamaika. Sie treffen auf einheimische Musiker, den Rastafari-Glauben und intellektuelle Perspektiven, auf Gemeinschaft und Lebensfreude, aber auch auf Armut, Gewalt und Diskriminierung. Es entsteht das vielschichtige Bild eines Landes, in dem Musik Spiritualität und Hoffnung schafft. Sara Lienemann Im Bild: der deutsche Reggae-Musiker Gentleman.

Kreuzweg Die Stationen des Kreuzwegs, nachgelitten von einem 14-jährigen Mädchen. Formal streng - so streng wie der Katholizismus, von dem erzählt wird -, zeichnen Dietrich Brüggemann und seine Ko-Autorin und Schwester Anna Brüggemann das Bild eines Glaubens, der Menschen die Luft zum Atmen nimmt. Martina Knoben Im Bild: Lea van Acken als Maria und Florian Stetter als Pater Weber.

Lone Survivor Basierend auf den Memoiren eines Ex-Elitesoldaten erzählt Peter Berg die Geschichte eines gescheiterten US-Einsatzes in den afghanischen Bergen. Bei der Jagd auf einen Taliban-Führer scheuchen die Soldaten ihre Feinde auf und werden durchs Gebirge gehetzt bis - der Titel verrät es - nur noch einer lebt. Inszenatorisch schwankt Berg dabei zwischen meisterlichem Actionkino und Militärporno. David Steinitz Im Bild: Mark Wahlberg (r.) als Marcus Luttrell.

Die Moskauer Prozesse Der Schweizer Theatermacher Milo Rau lässt die Protagonisten der Prozesse um die Band Pussy Riot und die Ausstellungen "Achtung! Religion" und "Verbotene Kunst" neu verhandeln, auf der Bühne - und zeigt so den Konflikt zwischen religiösen Gefühlen und der Freiheit der Kunst. Spannendes Doku-Theater, das viel über Russlands Demokratieverständnis erzählt. Martina Knoben

My Dog Killer Die beklemmende Chronik eines Tages im Leben des 18-jährigen Marek und seines Kampfhunds Killer. Marek ist hin- und hergerissen zwischen Loyalität zu seinen Neonazikumpels und zarter Annäherung an einen Roma-Jungen - seinen Halbbruder. Mira Fornay zeigt die im Umbruch befindliche Slowakei mit wortkargem Realismus, ihre Laiendarsteller bringen dafür das richtige Lebensgefühl mit. Anke Sterneborg Im Bild: Adam Mihál als Marek

Need for Speed Freundlicher Automechaniker kommt unschuldig ins Gefängnis und will nach seiner Freilassung in einem spektakulären Autorennen den wahren Täter bloßstellen. Scott Waugh eifert in seiner Computerspielverfilmung eifrig den legendären Steve- McQueen-Rennfilmen nach, inszeniert aber Menschen so mechanisch wie Autos - und deren Erotik lässt spätestens nach der fünften Verfolgungsjagd nach. David Steinitz

Die schöne Krista Der amüsante, anrührende Dokumentarfilm über die schönste Kuh Deutschlands zeigt weniger Bauernhofidylle als absurde Realität zwischen Melkstall, Schönheitsschau und Embryotransfer. Antje Schneiders und Carsten Waldbauers sensibles Alltagsporträt eines Milchbauern erzählt eine zutiefst moderne Geschichte vom Überleben zwischen Tradition und knallhartem Hochleistungs-Business. Annett Scheffel

Wer ist Thomas Müller? Ein Dokumentarfilm zum Thema: Was ist typisch deutsch? Ist jeder Thomas Müller typisch deutsch, weil er den häufigsten deutschen Namen trägt? Die Frage ist seltsam, die Antworten sind unterhaltsam, weil einerseits die Thomas Müllers, die Regisseur Christian Heynen besucht, kaum Durchschnittsdeutsche sind, weil andererseits die beigefügten Statistiken, die typisch Deutsches belegen sollen, für Überraschungen sorgen. Doris Kuhn Im Bild: Fußballspieler Thomas Müller

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