Kurzkritiken:Dreifach manipuliert

Brad Parks schreibt über fiese Pharmakonzerne und Tom Hillenbrand denkt darüber nach, was wäre, wenn sich das Hirn einfach kopieren ließe.

Sprachlos in Washington

Kurzkritiken: Brad Parks: Nicht ein Wort. Fischer, Frankfurt a. M. 2018, 496 Seiten, 14,99 Euro, E-Book 12,99 Euro.

Brad Parks: Nicht ein Wort. Fischer, Frankfurt a. M. 2018, 496 Seiten, 14,99 Euro, E-Book 12,99 Euro.

Man muss keine eigenen Kinder haben, um das Grauen nachvollziehen zu können, das Scott Sampson ereilt. Der Mittwochnachmittag des Richters ist eigentlich für das gemeinsame Schwimmen mit seinen sechsjährigen Zwillingen reserviert. Doch "Nicht ein Wort" beginnt damit, dass seine Frau das Treffen wegen eines Arzttermins der Kinder absagt. Als Sampson am Abend nach Hause kommt, stellt sich jedoch heraus, dass die erhaltene Nachricht nicht von ihr stammte. Nach und nach wird klar, dass die Zwillinge entführt wurden, um einen Pharmaindustrie-Fall, der an Sampsons Gericht verhandelt wird, zu manipulieren.

Autor Brad Parks arbeitete als Journalist, bevor er sich dem Schreiben von Thrillern zuwandte. Das merkt man seinem Buch an: Der Gerichtsstreit um das Patent für das Medikament hat sich wirklich zugetragen und auch die Entwicklung des Hemmers PCSK9, um Cholesterinwerte zu senken, beruht auf wahren Begebenheiten. In der fiktionalisierten Version wird dieser in den Medien diskutierte Fall mit einer Entführungsgeschichte, Geldgier und Machtmissbrauch angereichert.

Blick ins Buch

Der Roman taucht tief in die Psyche seiner Protagonisten ein, während er ihre Angst genauestens seziert und ihre Hilflosigkeit ausstellt. Während sich die Ereignisse zuspitzen, ist weder den Figuren noch dem Leser eine Erholungspause vergönnt. Parks gelingt es mit seinem neuen Buch, an die mit Preisen überhäuften Vorgänger anzuknüpfen.

Tatjana Michel

Gefährliche Recherche

Kurzkritiken: Elisabeth Herrmann: Zart Bitter Tod. Cbj Verlag, München 2018. 475 Seiten, 18 Euro.

Elisabeth Herrmann: Zart Bitter Tod. Cbj Verlag, München 2018. 475 Seiten, 18 Euro.

Ein lebensgroßes Nashorn aus Schokolade: Mia ist fasziniert von einem alten Familienfoto. Die Tochter der Besitzer einer kleinen Schokoladenmanufaktur will herausfinden, welche Geschichte die zwei Menschen verbindet, die außerdem auf dem Bild zu sehen sind - den weißen Mann und den schwarzen Jungen, der ihr Urgroßvater ist. Der Junge war der Sohn eines Soldaten, der in Deutsch-Südwestafrika im Krieg gegen die Hereros umgekommen war. Der weiße Mann hatte ihn als schwarzen Boy aus Namibia mitgebracht, in Deutschland hatte er eine Schokoladenfabrik gegründet. Als Mia dessen Familie besucht, um Nachforschungen anzustellen, gerät sie nicht nur in Lebensgefahr, sondern in eine alte Geschichte von Schuld und Rache. Sie erlebt, welche Auswirkungen diese Vergangenheit und der Herero-Krieg bis heute auf ihr eigenes Leben haben.

Elisabeth Herrmann nutzt in ihrem Jugendthriller "Zart Bitter Tod" den klassischen Krimi-Plot, in dem Mord und seine Aufklärung im Mittelpunkt stehen, als Gerüst für eine politische Geschichte. Die beginnt zwar in der Gegenwart, reicht aber bis tief in Deutschlands düstere Kolonialzeit am Anfang des 19. Jahrhunderts, die immer wieder durch Zitate aus Originaltexten dieser Zeit belegt wird.

Als Mia während ihrer gefährlichen Recherche junge schwarze Verwandte trifft, von denen sie vorher nichts wusste, erlebt sie, wie die Kolonialzeit sich weiter auf die Wirtschaft und Politik Namibias auswirkt. Sie lernt die Gefühle der jungen Leute kennen, und diese Begegnungen versprechen durchaus Hoffnung auf eine bessere Zukunft für das Land. (ab 13 Jahre)

Roswitha Budeus-Budde

Alle Menschen werden Fake News

Kurzkritiken: Tom Hillenbrand: Hologrammatica. Kiwi, Köln 2018, 560 Seiten, 12 Euro, E-Book 9,99 Euro.

Tom Hillenbrand: Hologrammatica. Kiwi, Köln 2018, 560 Seiten, 12 Euro, E-Book 9,99 Euro.

Was wäre, wenn wir "Copy&Paste"-Verfahren, die wir heute ständig mit Digitaldateien anstellen, auch mit jenem Datensatz vollziehen könnten, den wir Geist nennen? Wenn also nicht nur Körper geklont, sondern das Hirn kopiert, verlustfrei vervielfältigt, auf Platten oder in Clouds gespeichert, verschlüsselt und gehackt werden könnte? Wenn diese Hirndatei auch noch die Klonkörper wechseln könnte wie unsere Daten heute ihre Träger? Dann liefe man sofort ins Messer eines alten philosophischen Problems, das Descartes als den Dualismus von "res cogitans" und "res extensa" bezeichnet hat: als strikte, aber unerträgliche Trennung von denkender und leiblicher Substanz.

Tom Hillenbrand hat mit "Hologrammatica" einen dystopischen Thriller vorgelegt, der am Ende unseres Jahrhunderts spielt, aber durchtränkt ist vom Subjektfindungsgeist des 17. Jahrhunderts. Er malt eine Blade-Runner-Matrix-Welt, in der nichts ist, wie es scheint: Holgramme übertünchen städtischen Schmutz und Verfall, die Menschen wechseln dauernd Gestalt, Gesicht, Geschlecht. Geld, Sex und Macht sind Motive, auch die Flucht nach Verbrechen. Der Privatdetektiv Galahad Singh, der sich mit Stimmungsaufhellern durch seine gefakten Tage bringt, soll eine Frau finden, die an der Verschlüsselung digitaler Gehirne arbeitet. In einer Welt aber, in der alles Fake ist, auch die Larven der Menschen, ist das keine leichte Aufgabe. Hillenbrand verrückt äußerst spannend den schwankenden Grund des kartesianischen Zweifels in eine Zukunft, die uns schon heute fordert: Was spricht eigentlich, wenn es "Ich" sagt.

Bernd Graff

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