Kurzkritik:Zu kühl

Die Göteborger Symphoniker und Alice Sara Ott im Gasteig

Von Paul Schäufele

Der finnische Grübler, der baskische Spieler: Durch die Vorliebe für die Melodien ihrer Heimat wurden Jean Sibelius und Maurice Ravel häufig auf Stereotype dieser Art reduziert. Was die Göteborger Symphoniker unter der Leitung von Santtu-Matias Rouvali und Alice Sara Ott aus den Werken machen, klingt nach einer Kritik am Klischee. Unter Rouvalis plastischem Dirigat wird Sibelius' "Finlandia" so zum dichten Klanggewebe, ohne in expressiven Gesten oder übertriebenen Tempodehnungen zu ersticken - fließendes Melos, zurückhaltendes Pathos.

Dass diese Entschlackungskur beim musikalisch ohnehin dünnen G-Dur-Klavierkonzert Ravels zur klanglichen Anämie führt, wird schmerzlich bewusst, wer dem farblosen Spiel Otts im ersten Satz lauscht. Mehr Charakter, mehr Unterschied zwischen lässigem Blues-Sound und bissigen Gitarren-Akkorden brächte Spaß in dieses Konzert, das Ravel ursprünglich "divertissement" taufen wollte. Auch im Presto-Finale findet sich Witz nur im Orchester, der Solopart gerät zur etüdenhaften Klaviertraktierung, bei der die im Sechzehntelwirbel versteckten Melodien leider versteckt bleiben. Allein der langsame Satz profitiert von der kühlen Herangehensweise Otts und wird zum glasklaren, aber eben auch blassen Gesang zu anschmiegsamer Begleitung - was sich auch auf die Chopin-Zugabe (Es-Dur-Nocturne) münzen ließe.

Wie fantasievoll, wie farbenreich dagegen Rouvalis Interpretation der fünften Sibelius-Symphonie! Den freien Umgang mit dem Ausgangsmaterial kann man nur gespannt verfolgen. Bei aller Klangfülle bleibt der Satz durchsichtig und schlank. Im mittleren, dem Variationensatz zeigen die Göteborger bei exquisiter Klangschichtung, dass sie auch robuste Töne kennen, so in der ersten, der schwungvoll musizierten "Achtelvariation". Nicht weniger schwungvoll dann das Finale, das, dramaturgisch großartig gestaltet, nach den couragiert ausgefochtenen Kämpfen mit Dissonanzen in weiten Klangflächen nur eruptiv enden kann - Es-Dur und Paukenknall. Und nach der hinreißend elegant gespielten "Valse triste" könnte einem der Gedanke kommen, dass der doch eher verschlossen wirkende Sibelius zumindest heimlich ein guter Tänzer war.

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